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Durchgefallen

VON NICK REIMER

Das Urteil aus Brüssel ist vernichtend: In einem blauen Brief hat die EU-Kommission gestern den so genannten Nationalen Allokationsplan (NAP II) der Bundesregierung zurückgewiesen. Dieser Plan – das einzige funktionierende Klimainstrument überhaupt – bestimmt, wie viel Klimakiller welche EU-Mitglieder ausstoßen dürfen.

Dumm für Bundesumweltminister Sigmar Gabriel: Am Morgen hatte er gestern den Umweltausschuss des Bundestages noch über den UN-Klimagipfel von Nairobi unterrichtet. „Die Entwicklungsländer haben uns klar gemacht, dass die Industriestaaten mehr tun müssen“, erklärte Gabriel. In Nairobi selbst hatte der SPD-Politiker auch mehr deutsches Engagement während ihrer EU-Ratspräsidentschaft versprochen.

Doch die Realität sieht anders aus: Nach der Vorgabe der EU darf die deutsche Industrie statt beantragter 465 Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr nur 453,1 Millionen Tonnen in der Atmosphäre blasen. Pläne von neun weiteren Mitgliedsländern ließ die Kommission durchfallen. „Die Entscheidungen zeigen deutlich, dass Europa das Kiotoziel verwirklichen will“, erklärte Umweltkommissar Stavros Dimas.

Konkret fordert die Kommission, dass die deutsche Industrie jährlich knapp 50 Millionen Tonnen CO2 spart. In den drei ersten Handelsjahren von 2005 bis 2007 war die Industrie nur zur Senkung von jährlich einer Million gezwungen. „Es besteht die Gefahr wirtschaftlicher Verwerfungen“, kommentierte NAP-Experte Frank Schwabe (SPD). Viele der auf dem Energiegipfel angekündigten Investitionen in neue Kraftwerke stünden zur Disposition: „Zertifikate werden knapp, dadurch derart teuer, dass sich neue Anlagen nicht mehr rechnen.“ Dies hätte zur Folge, dass es weder mehr Wettbewerb auf dem Strommarkt gebe – besonders Stadtwerke als neue Anbieter können sich die Investitionen nicht leisten. Noch würde die Versorgungssicherheit verbessert – denn die Hälfte des deutschen Kraftwerkparks muss dringend erneuert werden. Und: Strom wird nach dem aus Brüssel vorgegebenen Szenario deutlich teurer.

Das Bundeswirtschaftsministerium ist entsprechend alarmiert. Gabriels Antrag sei nicht mit Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) abgestimmt, erklärte ein führender Vertreter des Hauses, „die Berechnungen des Hauses Gabriel müssen erst einmal von den Rechenmaschinen der Regierung überprüft werden“. Klartext: Das Bundeswirtschaftsministerium zweifelt Gabriels Zahlen an.

Der Umweltminister, selbsterklärte klimapolitische Lokomotive der EU, ist also eingekeilt. „Wir bestehen auf unserer beantragten Menge von 465 Millionen Tonnen“, erläuterte Gabriel gestern vor dem Umweltausschuss. Deutschland hat jetzt drei Monate Zeit, die EU zu überzeugen. Staatssekretär Matthias Machnig hat bereits für morgen ein Flugticket nach Brüssel gebucht. Aus der Führung des Umweltministeriums hieß es gestern: „Der Fehler liegt nicht bei uns, sondern bei der Kommission.“ Diese habe nämlich versäumt, ihre Berechnungsmethode und den Rechenweg transparent zu machen.

Doch die Kommission ließ bereits gestern durchblicken, dass sie nicht zu Zugeständnissen bereit ist. Der Kampf gegen den Klimawandel – Schwerpunkt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft – ist zum Rechenspiel verkommen. Dabei sind die Fakten klar: Deutschland hat 2005 nach Erhebung des DIW 872 Millionen Tonnen Kohlendioxid ausgestoßen. Damit ist die Bundesrepublik größter Klimasünder Europas. Die Regierung Kohl hatte 1997 mit Umweltministerin Angela Merkel ein nationales Reduktionsziel bis 2005 ausgegeben: 25 Prozent. Dieses Ziel, Ende der 90er auch noch von SPD und Grünen propagiert, wurde also um 8 Prozent verfehlt.

Gabriel hat in Nairobi wieder mit einem nationalen Ziel geglänzt: „Deutschland wird seinen Ausstoß bis 2020 um 40 Prozent verringern, wenn die EU 30 Prozent reduziert.“ Würde Deutschland sein Kiotoziel bis 2012 schaffen – minus 21 Prozent gegenüber 1990 – hätte man 21 Prozent in 22 Jahren gesenkt, rechnet SPD-Experte Frank Schwabe vor. „Und dann will Gabriel in den nächsten acht Jahren 19 Prozent sparen?“

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