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Knapp erstickt im Weser-Schlick

Für immer dickere Schiffe soll die Weser erneut tiefer werden. Viele fürchten die Hochwassergefahr, die dadurch steigt. Fedderwardersiel aber bangt um sein Wasser: Der letzte Nordseehafen zwischen Jade und Weser könnte trocken fallen. Ein Besuch am Priel

AUS FEDDERWARDERSIEL ARMIN SIMON

Es klingt, als zeige er sein Wohnzimmer. „Das ist unser Hafen“, sagt Gerhard Bruns, und sein Arm wandert von den Kuttern bis zur grünen Tonne. Deren Glocke, wellenbetrieben, wies einst im Nebel den Weg – eine Rarität. Das zweite Exemplar steht im Deutschen Museum.

Fedderwardersiel, an der Nordseeküste zwischen Jade und Weser, soll kein Museum werden. Es ist, betont Herr Bruns, ein „Arbeitshafen“. Ein Dutzend Fischerboote sind hier stationiert, in der Halle der Fischereigenossenschaft kippt ein Arbeiter kistenweise Krabben auf ein Band, gegenüber hat eine Wasserbaufirma ihre Anlegestelle, und das einzige Ausflugsschiff, das im Wattenmeer trockenfallen darf, geht von Fedderwardersiel aus auf Fahrt. Selbst bei trübem, kühlem Wetter flanieren hier TouristInnen die Kaje entlang. „Im Sommer ist hier jeden Tag der Bär los“, sagt Bruns. Der Laden hat das ganze Jahr geöffnet.

Gerhard Bruns, der Gründer der Bürgerinitiative Butjadingen (BIBu), hat nichts gegen Containerschiffe. Aber dass Bremen und Niedersachsen die Außen- und Unterweser erneut vertiefen wollen, um noch größeren Pötten die Zufahrt zu ermöglichen und „Planungssicherheit“ für Hafenbetreiber und Reedereien zu schaffen, das geht ihm gegen den Strich. „Wir brauchen auch Planungssicherheit“, sagt er. Und mit dem „wir“ meint er nicht nur die BIBu, die binnen sechs Jahren 60.000 Euro in den kleinen Hafen investiert hat und inzwischen 200 Mitglieder zählt. Er meint die ganze Region Butjadingen. Eine Million Übernachtungen im Jahr, bei 6.500 EinwohnerInnen: Längst hat der Tourismus die Landwirtschaft überflügelt. Der Hafen aber, der letzte hier oben, ist bedroht. Immer mehr setzt sich die Zufahrt zu, ganze vier Stunden ist das Flutfenster noch offen. Die Weservertiefer, schimpft Bruns, „die graben uns das Wasser ab“.

Es gab mal einen aufstrebenden Oppositionsführer in Niedersachsen. Christian Wulff hieß der und er wollte für die CDU die Wahl gewinnen. „Schlickexperte“ sei er geworden, gestand er den ButjenterInnen, nachdem er einmal mit der „Wera“ von Fedderwardersiel aus in See gestochen war. Knapp nach der Hafenausfahrt lief das Schiff auf Sand, und bis es die Flut wieder flott machte, hatten Bruns und seine MitstreiterInnen genügend Zeit für eine Einführung in Morphologie: Je tiefer die Fahrrinne in der Außenweser ausgebaggert wird, desto schneller fließt dort das Wasser, desto mehr Schlick lagert sich links und rechts davon ab, desto weniger Flut passt oben drauf. Folglich wird der Spülstrom, der bei Ebbe durch die Gräben im Watt wieder abfließt, immer schwächer, die Priele verschlicken. Der Fedderwarder reichte noch 1930 bis Langlütjen II, 30 Jahre später nur noch bis Waddensersiel, 1976 verließ der letzte Fischer den Hafen in Burhaversiel. Am Strand von Burhave, zwei Kilometer östlich von Fedderwardersiel, hat Bruns als Kind noch gebadet, im Priel, wie alle hier. Heute kann er durchlaufen bei Ebbe. Ist das noch ein Seebad?

Gerd Bruns zieht eine Mappe hervor, die Seiten eingeschweißt. Der Mann mit der blau-weiß geringelten Mütze ist routiniert im Erklären. Satellitenbilder beweisen: Der Priel schrumpft auch heute noch.

Einen „Pfropfendurchstich“ durch eine der Sandbänke hatte Wulff damals versprochen, einen Hafenzugang unabhängig vom Priel. Wulff gewann die Wahl, der Durchstich kam nicht. Stattdessen ließ die Landesregierung im Priel baggern. „Dat is aber schiet gegangen“, sagt Bruns, und er weiß auch, warum: Weil sich Ebb- und Flutstrom vor Fedderwardersiel unterschiedliche Wege bahnen. Was die Ebbe noch wegschafft an Schlick aus der Rinne drückt die Flut von der Seite wieder hinein: Baggern zwecklos.

Schon 1997, vor der letzten Weservertiefung, protestierten die ButjenterInnen. Der Landtag reagierte mit einer einstimmigen Entschließung: Es werde „durch geeignete Maßnahmen sichergestellt, dass die durch ständige Weservertiefung eingetretene und zukünftig entstehende Verschlickung der Strände und Hafeneinfahrten in Butjadingen beseitigt“ würden – „damit ein ungehinderter Badebetrieb und eine uneingeschränkte Hafennutzung möglich bleiben“. Acht Jahre später, im Raumordnerischen Konzept für das niedersächsische Küstenmeer, ist der Hafen Fedderwardersiel gar nicht mehr eingezeichnet. Er sei „nicht betriebsnotwendig“, teilte Wirtschaftsminister Walter Hirche (FDP) der BIBu auf Nachfrage mit. Und dass, was die Schiffbarkeit des Priels angehe, „die seinerzeit festgelegten Eckwerte für Wassertiefe und Fahrwasserbreite einer kritischen Prüfung zu unterziehen“ seien.

Er habe „erhebliche Zweifel“, dass die Landesregierung zur Landtags-Entschließung stehe, sagt Bruns. Rund die Hälfte der 1.000 Einwendungen gegen die Weservertiefung, die die Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nordwest in den letzten Tagen erörtert hat, kam aus Butjadingen. Die Pflicht, die Hafenzufahrt freizuhalten, müsse im Planfeststellungsbeschluss festgeschrieben werden, fordert Bruns. Und dass die Behörden die „Summenwirkung“ aller Weserausbauten berücksichtigen müssten. Zur Not will er bis vor den Europäischen Gerichtshof ziehen.

Um die Hafenzufahrt dauerhaft einigermaßen frei zu halten, sagt Bruns, bedürfe es einer Buhne, die Flut- und Ebbstrom wieder in eine Bahn zwänge. Ob die irgendwann kommt? Bruns hofft: „Der Hafen ist ein Muss.“

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