: Im Visier der heimatlichen Behörden
Murat Kurnaz wäre ohne die vagen Verdächtigungen aus Bremen vielleicht schon 2001 in Kandahar freigelassen worden. Außerdem war eine Fehlleistung des Bremer Verfassungsschutz-Chefs von 2005 geeignet, Kurnaz‘ Freilassung zu verhindern
Am 13. Mai wird in Bremen gewählt, der CDU-Spitzenkandidat Thomas Röwekamp will mit einem neuen, modernen, großstädtischen Profil seine Partei aus dem 20-Prozent-Turm herausführen. Gleichzeitig will er sich nicht mit denen überwerfen, die die CDU für „law and order“ wählen. Deswegen passte ihm der Termin vor dem BND-Untersuchungsausschuss nicht. Aus rein ausländerrechtlichen Gründen habe er 2005 Kurnaz die Wiedereinreise verweigern wollen, versichert der Jurist Röwekamp. Immerhin ließ er, nachdem ihn das Verwaltungsgericht eines Besseren belehrte, nach Ausweisungstatbeständen suchen. Weil ihm der Bremer Verfassungsschutz-Präsident mit einem Dossier zu Dienste sein wollte, kann er ihn jetzt nicht einfach fallen lassen. Immerhin: Walter Wilhelm ist krankgeschrieben und wird wohl nicht mehr in den Dienst zurückkehren. kawe
Aus Berlin Klaus Wolschner
Der Bremer Innensenator Thomas Röwekamp, Spitzenkandidat der CDU in dem anstehenden Wahlkampf, war am Donnerstag Nachmittag sichtlich erleichtert, als er nach zwei Stunden Wartezeit erfuhr, dass er vergeblich nach Berlin gekommen war: Seine Zeugenvernehmung vor dem BND-Untersuchungsausschuss des Bundestages ist verschoben worden. Der Ausschuss hatte sich an den Zeugen von BND und Verfassungsschutz verbissen.
Warum musste der Bremer Murat Kurnaz viereinhalb Jahre im Lager Guantanamo einsitzen? Das war die Frage, um die es gehen sollte. Alles, was der Ausschuss ans Licht der Öffentlichkeit gebracht hat, bestätigt den Verdacht, dass die zweifelhaften „Erkenntnisse“ aus Bremen eine entscheidende Rolle spielten.
Am 1. Dezember 2001 war der damals 19-jährige in Bremen aufgewachsene Türke von pakistanischen Behörden festgenommen und an US-Kräfte übergeben worden. Offenbar hatte es bei der Verhaftung keine belastenden Unterlagen oder Umstände gegeben. Die US-Stellen wandten sich nach vier Wochen an ihre deutschen Kontakt-Leute und fragten, ob die über Kurnaz etwas wüssten. Am 9. Januar 2002 meldete der BND die Festnahme an das Bundeskanzleramt. Und der BND informierte das FBI über das, was die Bremer Kripo zusammengetragen hatte, nachdem Kurnaz nach Pakistan abgereist war: Die panische Mutter hatte der Kripo ihre Sorge über eine Islamisierung des verschwundenen Sohnes geschildert – ihr Murat hatte ihr nicht gesagt, dass er nach Pakistan wollte. Und der Bruder eines Kumpels, mit dem Kurnaz zusammenreisen wollte, hatte gegenüber den Flughafenpolizei am Telefon große Sprüche geklopft: Die beiden hätten doch bloß mit den Taliban kämpfen wollen, sagte er.
Die US-Dienste ließen Kurnaz in Kandahar dann nicht – wie andere aufgegriffene Personen – frei, sondern brachten ihn am 2. Februar 2002, zwei Wochen nach Lieferung der Bremer Erkenntnisse, nach Kuba.
Weil die US-Stellen in Guantanamo nicht wussten, wen sie da gefangen hatten, ließen sie im Oktober 2002 deutsche Ermittler ins Lager zum Verhör. Zwei Tage lang wurde Kurnaz befragt, die Beamten von Verfassungsschutz und BND kamen zu dem Schluss, dass ihm nichts vorzuwerfen war – außer dass er zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen sei. Er habe in Pakistan keine Kontakte zu Terror-Strukturen gesucht. Ein Beamter des Verfassungsschutz berichtete später auch den Bremer VS-Kollegen, „bis Weihnachten“ würden ihn die Amerikaner wohl freilassen.
Er hatte nicht mit der „Präsidentenrunde“ der Nachrichtendienste im Kanzleramt gerechnet, auf der die Chefs am 29. Oktober 2002 über Kurnaz befanden. Klaus-Dieter Fritsche, damals stellvertretender Leiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz, erklärte dem Ausschuss die Einschätzung über Kurnaz als Sicherheitsrisiko so: „Wir standen unter einem unheimlichen Druck“, die USA warfen den deutschen Diensten vor, die Erkenntnisse über die „Hamburger Zelle“ nicht ernst genommen zu haben. Gab es eine Bremer Zelle? „Das war die Situation“, wenige Wochen nach dem Terroranschlag vom 11. September. Kurnaz habe genau in das Raster gepasst: Der lange Bart, der abgebrochene Kontakt zur Familie. Es habe Kontakte von Kurnaz etwa zu Milli Görüs gegeben – einer vom Verfassungsschutz als islamistisch eingestuften Organisation. Und dann die Aussagen der Mutter, die passten in ein „Mosaik“. Innenminister Otto Schily (SPD) ließ den USA nach der Sitzung mitteilen, dass Kurnaz ein „Sicherheitsrisiko“ und seine Rückkehr nach Deutschland nicht erwünscht sei.
Im Dezember 2005 hat derselbe Fritsche geraten, Kurnaz Rückkehr nach Deutschland zu befürwortet. Wie das? Es habe keine neuen Erkenntnisse über Kurnaz gegeben, erklärte er dem Ausschuss. Er halte Kurnaz nach wie vor für ein „Sicherheitsrisiko“. Aber die allgemeine Diskussion über Guantanamo sei eine andere gewesen. Und über Abu Ghraib. Und, ganz wichtig für ihn, das Bremer Verwaltungsgericht habe festgestellt, dass Kurnaz die Rückkehr erlaubt werden müsse.
Der frühere stellvertretende Leiter des Bremer Verfassungsschutzes, Lothar Jachmann, ist ein VS-Mann aus anderem Holz. In dem Bericht der Kollegen, die 2002 in Guantanamo waren, habe alles über das terroristische Lager-System gestanden, sagt er. Wer das 2002 gelesen hat, könne keinen Menschen seinem Schicksal dort überlassen.
An die Öffentlichkeit ist Jachmann gegangen, als das im Dezember 2005 vom Bremer Verfassungsschutz-Chef Walter Wilhelm verfasste Papier über Kurnaz bekannt wurde. Eine „schriftstellerische Fehlleistung“, hatte Wilhelm sich vor dem BND-Ausschuss entschuldigt. Wenn die Amerikaner dieses Papier aus Bremen in die Hand bekommen hätten, meinte Jachmann am Donnerstag am Rande des BND-Untersuchungsausschusses, dann wäre Kurnaz auch 2006 nicht freigekommen.
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