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Der verlorene Sohn

Rabiye Kurnaz, die Mutter des nach Guantánamo verschleppten Murat Kurnaz, ging zur Polizei, als ihr Sohn verschwand. Wohl auch wegen ihrer gutgläubigen Aussage ist er ins Visier der USA geraten

VON LUKAS WALLRAFF

Noch ist längst nicht alles aufgeklärt im Fall Murat Kurnaz. Der Außenminister muss erst am Donnerstag in den Untersuchungsausschuss. Aber eine Erkenntnis gibt es jetzt schon. Es ist eine ziemlich niederschmetternde Erkenntnis.

Leider muss man feststellen: Eine Mutter, die Angst um ihren Sohn hat, weil er grußlos verschwunden ist, sollte in Deutschland besser nicht zur Polizei gehen. Jedenfalls dann nicht, wenn Mutter und Sohn Muslime sind, die keine deutschen Pässe haben. Aus einer Vermisstenanzeige kann sonst schnell ein Anfangsverdacht entstehen, der drastische Maßnahmen gegen den vermissten Sohn nach sich zieht – und der ewig hängenbleibt.

Keine Hilfe der Behörden

Rabiye Kurnaz hatte damit nicht gerechnet. Sie suchte schlicht und einfach Hilfe, als sie im Oktober 2001 zur Polizei ging. In ihrem Wohnort Bremen, in der Stadt, in der ihr damals 19-jähriger Sohn aufgewachsen war. Sie hoffte, dass sich jemand um Murat kümmert, dass ihn jemand sucht. Gewiss hoffte sie auch, dass ihn jemand von unüberlegten und gefährlichen Taten abhielt, falls Murat, wie sie befürchtete, wirklich auf dem Weg zu den Taliban nach Afghanistan war. Doch es ist ihr nicht geholfen worden. Im Gegenteil.

Inzwischen weiß Rabiye Kurnaz: Alles, was eine Mutter über ihren Sohn berichtet, kann gegen ihn verwendet werden und schlimmstenfalls zu seiner Inhaftierung führen – unter besonders ungünstigen Umständen zu jahrelanger Inhaftierung. In einem Folterlager. Ohne irgendeinen Rechtsschutz. Ohne Kontakt zur Mutter. Ohne jeglichen Kontakt zur Außenwelt.

Ist es übertrieben, von möglicher deutscher Beihilfe zur Verschleppung von Murat Kurnaz nach Guantánamo zu sprechen, wie es der FDP-Abgeordnete im Untersuchungsausschuss, Max Stadler, in dieser Woche tat? Muss Rabiye Kurnaz wirklich befürchten, dass ihre Aussagen den Ausschlag dafür gaben, dass ihr Sohn nach Kuba gebracht wurde, wo er dann vier Jahre blieb?

Einiges spricht dafür. Fast nebenbei, aber unmissverständlich bestätigte der Vizepräsident des Bundeskriminalamts, Bernhard Falk, am Donnerstag im Ausschuss, dass seine Behörde kurz nach Kurnaz’ Festnahme in Pakistan alle Informationen, die sie über ihn gesammelt hatte, an die USA weitergeleitet hat – wohlgemerkt Anfang 2002, als Kurnaz noch nicht in Guantánamo war, sondern in einem US-Lager in Afghanistan festgehalten wurde. Es war damals unklar, was die USA mit Kurnaz machen würden. Wahrscheinlich war auch den USA unklar, mit wem sie es zu tun hatten. Wer dieser junge Mann war, den Kopfgeldjäger aus Pakistan angeschleppt hatten. Die deutschen Behörden wiederum wussten, dass Kurnaz’ „Verlagerung“ (Falk) nach Guantánamo erwogen wurde. In dieser Situation gaben die deutschen Behörden den US-Kollegen ihre Einschätzung weiter, dass der junge Mann gefährlich sei. Zu den Verdachtsmomenten zählte neben V-Mann-Berichten vom Hörensagen laut Falk auch „was die Mutter in Bremen gesagt hat“. Diese hatte der Polizei unter anderem berichtet, ihr Sohn habe sich in letzter Zeit „einen langen Vollbart wachsen lassen und seine Essgewohnheiten strengeren islamischen Regeln angepasst“. Außerdem habe er sich nach den Anschlägen vom 11. September dicke Stiefel und zwei Ferngläser gekauft. Und, ja, sie selbst äußerte den Verdacht, dass der Vorbeter einer Bremer Moschee Murat zum Kämpfen nach Afghanistan schicken wollte. Dort war er jedoch, wie schon Anfang 2002 klar war, nie angekommen. Er blieb in Pakistan und hat nirgends gegen die USA gekämpft. Das half ihm nichts. Was für die Behörden zählte – und was für die Vertreter der Bundesregierung bis heute zählt –, war der vermeintliche Vorsatz, den – als wichtigste Zeugin – seine eigene Mutter nahelegt hatte.

Es wird sich wohl niemals klären lassen, was die USA mit Murat Kurnaz gemacht hätten, hätten sie diese Informationen aus Deutschland nicht erhalten. Klar ist nur, dass die deutschen Behörden Belastungsmaterial weitergaben und keinerlei Anstrengung unternahmen, Kurnaz vor der Verschleppung nach Guantánamo zu bewahren, etwa durch eine Bitte um Auslieferung nach Deutschland.

Klar ist auch: Nachdem Murat Kurnaz in Guantánamo gelandet war, waren alle Anstrengungen der deutschen Behörden und der Politik darauf ausgerichtet, den gebürtigen Bremer aus Deutschland fernzuhalten. Als die USA seine Freilassung erwogen, erfolgte die Einreisesperre.

Für Rabiye Kurnaz eine bittere Lehre: Auch wenn sich herausstellt, dass der Sohn unschuldig ist, hat eine besorgte Mutter vom deutschen Staat keine Hilfe zu erwarten. Im Gegenteil: Sie muss damit rechnen, dass der deutsche Staat ihren Sohn wegen angeblicher Gefährlichkeit verbannt. Und sie muss einkalkulieren, dass jene Aussagen, die sie in ihrer spontanen Verzweiflung bei der Polizei gemacht hat, an amerikanische Folterknechte weitergegeben werden – ohne Rücksicht auf die Folgen.

Das Verhalten der deutschen Behörden mag sich mit übersteigertem Sicherheitsdenken erklären lassen. Niederträchtig aber ist, wie hemmungslos die Verteidiger des Außenministers auch jetzt noch, nachdem sämtliche Ermittlungsverfahren gegen Murat Kurnaz eingestellt wurden, die Aussagen seiner Mutter missbrauchen. Als die Vorwürfe gegen Frank-Walter Steinmeier lauter wurden, erklärte die Bild-Zeitung, „wie der Türke Kurnaz zum radikalen Moslem wurde“. Einziges Indiz: das Polizeiprotokoll vom Oktober 2001 mit den Aussagen der Mutter. Von wem Bild es wohl bekommen hatte?

In Strafprozessen können Verwandte aus gutem Grund die Aussage verweigern. Aber sie können sich nicht dagegen wehren, wenn ihre früheren Aussagen in der Politik verwendet werden. Es ist eine Schande.

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