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Das Konsumschloss

In Braunschweig werden heute die Schloss-Arkaden eröffnet – ein gigantisches Einkaufszentrum, das mit der rekonstruierten Fassade des 1960 abgerissenen Stadtschlosses verkleidet ist. Gegner des Projekts befürchten: „Schloss wird in Braunschweig ein anderer Name für Kaufhaus sein“

„Du sollst falsch Zeugnis reden wider alle Kritiker der Schlosspark-Zerstörung“

AUS BRAUNSCHWEIG KARIN CHRISTMANN

Die Braunschweiger Schloss-Arkaden sind „eines der größten und spektakulärsten Wiederaufbauprojekte in Europa“, sagt der Betreiber ECE. Die Schloss-Arkaden sind ein „scheußlicher Moloch mit historisierendem Anstrich“, sagt die Geschäftsführerin der grünen Ratsfraktion, Barbara Schulze. In Braunschweig werden heute die Schloss-Arkaden eröffnet – ein gigantisches Einkaufszentrum, das mit einer Schlossfassade verkleidet ist.

Wer durch das Schlossportal geht, findet sich unmittelbar in der Heimat des Königs Konsum. Wer eines der modernen Einkaufszentren kennt, die sich über Deutschland verteilen, fühlt sich sofort heimisch: Ein Brunnen ist da, vereinzelte Pflanzen dienen als Farbklecks und der gesamte Bau ist in Kunstlicht getaucht. Neben der Tagesvariante gibt es davon noch die Version „Dämmerung“ – so bilden die Betreiber die Außenwelt nach. Überall locken Schaufenster, und die meisten kennt man schon: Klamotten, Kosmetik, Bücher.

Viele Braunschweiger werden den Atem anhalten, wenn sie die Schloss-Arkaden heute zum ersten Mal betreten: Die schiere Größe ist beeindruckend, allein die größte Ladenstraße ist 150 Meter lang. Die Rolltreppen türmen sich über dem Besucher in die Höhe, und die verschiedenen Bereiche des Baus dehnen sich in alle Richtungen aus: Museumspassage, Theaterpassage, Rotunde. 200 Millionen Euro hat das Konsumschloss gekostet.

150 Läden verkaufen ab heute auf mehr als 30.000 Quadratmeter Fläche. Eine Million potentieller Kunden im Einzugsgebiet haben die Betreiber mit ihrem Mega-Bau anvisiert. Im Einkaufszentrum bekommen sie alles, was sie brauchen oder von dem sie glauben, sie bräuchten es. Zur Eröffnung rechnet ECE heute mit rund 100 000 Besuchern.

Eine der großen Sorgen der Gegner des Projekts ist, dass die Innenstadt veröden wird. „Die Kunden shoppen im ECE-Center und das war‘s“, sagt die Grüne Schulze. Das sieht ECE natürlich anders und schwärmt von einem „lebendigen Marktplatz“, dessen Besucher auch durch die übrige Innenstadt flanieren werden. Mit der „einzigartigen Shopping-Welt“ und dem „unvergleichlichen Ambiente“ will ECE das „Angebot der Innenstadt nachhaltig bereichern“. ECE-Chef Alexander Otto glaubt, seine Firma habe „städtebauliche Verantwortung“ bewiesen. Seiner Meinung nach werde es nicht zu einem Verdrängungswettbewerb zu Lasten des ortsansässigen Einzelhandels kommen.

Wer vom Schloss in Richtung Innenstadt aufbrechen will, stößt als erstes auf den Bohlweg. An der verkehrsreichen Straße bieten „Kebab Haus“ und „Döner King“ neben Sonnenstudios und einer Schlecker-Filiale ihre Dienste an. „Der Bohlweg schneidet das Einkaufszentrum von der Innenstadt ab“, sagt deshalb Michael Kaps. Er hat mit der Initiative „Schlossparkfreunde“ gegen den Bau gekämpft – und verloren. 30.000 BraunschweigerInnen haben gegen die ECE-Pläne unterschrieben, doch genutzt hat es nichts: Der frühere Schlosspark ist unter den Schloss-Arkaden verschwunden.

Früher stand an dieser Stelle das Braunschweiger Stadtschloss – 1960 wurde es abgerissen. Damals gab eine Ein-Stimmen-Mehrheit im Braunschweiger Rat den Ausschlag für den Abriss. Genau wie 2003, als der Wiederaufbau beschlossen wurde. Nun ist die alte Schlossfassade wiedererrichtet. Gefleckt ist sie, denn sie ist eine Mischung aus dunkleren Originalsteinen und modernem, helleren Sandstein. Hinter ihr verbergen sich heute Douglas-Shops und H&M-Filialen.

Oberbürgermeister Gert Hoffmann (CDU) schwärmt von der „identitätsstiftenden Wirkung“, die von dem Bau ausgehe. „Schloss wird in Braunschweig ein anderer Name für Kaufhaus sein“, hält Michael Kaps dagegen. Ein „einmaliges Ensemble“ sei in Braunschweig entstanden, frohlockt ECE, mit „Vorbildcharakter für andere Städte“. An die Fassade schließt sich das restliche Shopping-Zentrum nahtlos an. Wo die Schlossfassade endet, beginnt die moderne Fassade aus Glas und Stahl. Der gesamte Park musste dem Mega-Projekt weichen, damit neben den Läden auch noch 1.700 Parkplätze Platz finden und außerdem 13.400 Quadratmeter, die die Stadt kulturell nutzen wird: Die Stadtbibliothek und das Kulturamt ziehen bald ein.

Vor der letzten Kommunalwahl warb Oberbürgermeister Gert Hoffmann (CDU) damit, die Stadt werde für die Schloss-Arkaden „keinen Cent“ ausgeben. Später gab seine Stimme im Rat den Ausschlag, als die Stadt 1,2 Millionen Euro für einen verbesserten Innenausbau bereitstellte. Heute sagt Hoffmann, sein Kein-Cent-Versprechen habe sich immer nur auf die äußere Rekonstruktion bezogen, vom Innenausbau sei damals noch nicht die Rede gewesen.

Das empfinden einige BraunschweigerInnen anders, die am Tag vor der Eröffnung schon neugierig sind und sich die Schloss-Arkaden aus der Nähe ansehen. Sie fühlen sich getäuscht, auch deshalb, weil die Stadt in Zukunft pro Jahr eine Million Euro Miete für ihre Räume in den Schloss-Arkaden zahlt.

Um die ECE-Pläne wurde in Braunschweig hart gekämpft: Viele lehnten das Projekt generell ab und wollten den Schlosspark erhalten. „Wozu brauchen wir zusätzliche 30.000 Quadratmeter Verkaufsfläche, wenn in Braunschweig Bevölkerungzahl und Kaufkraft zurückgehen?“ fragt Barbara Schulze. Andere solidarisierten sich mit dem Protest, weil ihnen die Vorgehensweise der Stadt missfiel. Ein Bürgerbegehren gegen den Bau scheiterte an formalen Problemen. Das erfuhren die Initiatoren aber erst, nachdem sie sechs Monate lang Unterschriften gesammelt hatten. Auch Versuche, den Bau mit rechtlichen Mitteln zu stoppen, scheiterten.

Die Arkaden-Gegner um Kaps werden heute bei der Eröffnung da sein, denn sie wollen einen würdigen Abschluss für ihren Protest: ein Aktionstheater „Heiliger Konsum“. Dafür bringen sie um 16 Uhr ein goldenes Kalb mit, das sie in Anlehnung an den Braunschweiger Löwen als neues Wahrzeichen für Braunschweig vorschlagen. Sie wollen um das Kalb herumtanzen, und stellen die „Zehn Gebote des ECE-Centers“ vor: „Du sollst falsch Zeugnis reden wider alle Kritiker der Schlosspark-Zerstörung“ findet sich dort und auch „Du sollst keine anderen Geschäfte haben neben mir“.

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