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„Man trägt einen kreativen Geist“

Die wilden Aufbruchszeiten im Prenzlauer Berg sind vorbei. Jetzt geht es ums Detail. Um Proportionen, um ein Zuhause, um die Eichenholzvertäfelung. Ein Porträt dreier unterschiedlicher Frauen, die auf einer Straße drei neue Modegeschäfte betreiben

Endlich keine Sachen mehr Motto: Wir haben Nähmaschinen und zu viel Zeit

VON JUDITH LUIG

Die Stargarder Straße ist die letzte Bastion des Prenzlauer Bergs. Dahinter ist Pankow. Eine andere Welt. Vor ein paar Jahren herrschte hier Frontier-Stimmung. Von der Torstraße aufwärts erfand sich pro Minute ein Individualist mit einem fetzigen Projekt und elterlicher Finanzierung neu: Es kamen Suppenläden, in den man dann gelangweilt abhängen konnte, Friseure, die am Fließband den asymmetrischen Berliner Pony produzierten, und Leute, die in einem Ex-Gemüseladen Taschen aus Zirkuszeltstoff fertigten. Doch irgendwann konnte und kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass überall letztendlich doch das Immergleiche entstand. Natürlich gibt es sie noch, diese klassischen Neuberliner Shops, aber um sie herum entwickeln sich immer mehr ernstzunehmende Läden. Gemacht von Leuten, die einen etwas längeren Atem haben und bei denen mehr dahintersteckt als nur der Wunsch, zu einer Szene zu gehören. Drei Modegeschäfte auf der Stargarder Straße zeigen, wo diese „zweite Generation“ hinwill.

Mode ist Kommunikation. Dieser Satz leuchtet einem schon nach ein paar Minuten in Silvia Lindemanns Laden in der Stargarder 11 ein. „Punkt eins“, so erklärt sie der überraschten Kundin, „du musst mehr auf deine Proportionen achten.“ – „?“ – „Deine Beine sind lang, pass auf, dass dein Oberkörper nicht verschwindet.“ Und dann zieht sie ein schwarzes Top mit geheimnisvollen Falten hervor. „Zieh das mal an. Das ist von Charlotte Høyen. Ich wollte ja eigentlich keine Teile mehr aus Jersey, hatte ich ihr auch gesagt, aber das hier ist einfach umwerfend.“

„Silvia“, sagte ihr Vater, als er zum ersten Mal in dem Laden stand, „das ist kein Geschäft, das ist ein Flur.“ Deswegen hat Silvia Lindemann die Enge in ihrem Schlauchladen einfach ironisch aufgegriffen und es mit dem bombastischen Namen „Hall of Fame Fashion“ bedacht. Lindemann gilt in der Modeszene als Checkerin. Für ihre Kunden inszeniert sie im Handumdrehen eine kleine private Modenschau. „Mein Laden ist eine weibliche Bühne“, sagt sie, und da passt es ganz gut, dass sie selbst wie eine französische Schauspielerin aussieht und sich wie eine Regisseurin benimmt.

Reinreden will Silvia Lindemann aber niemandem. Schon gar nicht den sieben Berliner Designerinnen, die hier in der Stargarder Straße exklusiv ihre Ware anbieten. „Mode ist Kunst, und Kunst ist deren Sache“, erklärt sie resolut und rückt ihren brünetten Pferdeschwanz zurecht. Aber mitreden, das tut sie gern. Über mögliche Anlässe, zu denen man diesen ungewöhnlich blauen Kordrock tragen könnte, über die Machart dieses ausgefallenen Mantels oder die Schönheit dieser knappen Jacke. Jedes Stück in Silvias Laden ist Teil einer größeren Geschichte. Den Tops und Hosen einen Überbau zu verleihen, ist ihre erklärte Mission. „Man trägt kein Produkt, sondern einen kreativen Geist.“

Die Eine-Frau-Boutiquen im Prenzlauer Berg sind deutlich teurer als die Einwegware der globalen Ketten und großen Labels auf der Friedrichstraße. Anders als dort muss man sich hier auch auf den eigenen Stil verlassen, aber dafür erwirbt man in diesen Kleiderkabinetten gleich immer noch einen ganzen Diskurs dazu, einen, der sehr viel mit dem Hier und Jetzt und einem selber zu tun hat. Die Gegend um die Stargarder Straße hat sich in den letzten Jahren schwer verändert. Neben gut genährten Säuglingen in High-End-Kinderwägen taumeln immer häufiger aus dem Leben Gefallene mittags betrunken über die Straße. Spaliere aus Gelegenheits- und Dauerbettlern stehen vor Supermärkten. Die Diskrepanz zwischen Verdienern und Verlierern wird größer.

Über diese Entwicklung hat sich Deniz Frost Gedanken gemacht, als sie ihre erste eigene Boutique vor vier Wochen ein paar hundert Meter die Stargarder rauf eröffnete. Persönlich soll es bei ihr sein, herzlich, kein überteuerter Kram, sondern Liebhaberstücke. „Der Laden ist mein zweites Zuhause“, sagt Deniz Frost und zeigt auf die beiden Stühle, die schon jetzt vor ihrem Laden stehen. „Im Sommer mache ich hier Little Italy.“

Deswegen hat sie auch die „Frost Boutique“ innen so eingerichtet, dass man am liebsten gleich einziehen würde. An den Wänden hängen Krakelzeichnungen ihrer Tochter, in der Mitte des Raumes stehen zwei Tische, die ihr Mann designt hat. „Ich will hier eine Plattform für kreative Menschen schaffen“, erläutert Frost. Demnächst soll die Ausstellung an den Wänden wechseln. Dann kommen Künstler dran, mit denen sie nicht verwandt ist. „Mir haben irgendwie immer Nischen gefehlt“, erklärt Deniz Frost. „Jetzt kann ich endlich lauter Sachen verkaufen, hinter denen ich wirklich stehe“, sagt sie. Das können langgezogene Shirts des Labels ihrer Freundin Michaela Fröhlich sein, aber auch kleine goldene Schmuckkettchen von Nabi Design, „gute Bekannte aus New York“.

Der nüchterne Name „Frost Boutique“ überrascht. Deniz Frost mit ihrem wilden Kraushaar und ihrer leisen Vergnügtheit sieht so gar nicht nach Boutiquedrachen aus. Warum nicht „Tausendschön“ oder „Fräulein Schneider“, so berlinisch nett und niedlich wie diese ganzen anderen Läden mit ihrer Fleddermode und den applizierten Fernsehtürmen? „Frost ist doch ein schöner Name“, antwortet Deniz Frost nur lächelnd.

Das Spielerische ihrer Erscheinung findet sich bei Deniz Frost auch in der Mode wieder, die sie verkauft. Frauen- und Männermode hängen nicht getrennt. „Mir geht es um Individualität, und das ist eine Mischung aus feminin und maskulin. Es muss nicht immer alles so eindeutig, so ernst sein. Mode sollte Spaß machen.“ Der Kundin, die gerade die neue Kollektion von „Merry-go-Round“ begutachtet, gefällt das Konzept. „Endlich mal nicht diese selbstgenähten Sachen nach dem Motto: Wir haben eine Nähmaschine und zu viel Zeit.“

Kirsten Tadics Modeatelier in der Nummer 23 mit seinen dunklen Eichenholztafeln und seinen hochwertigen Kleidern, die ein bisschen an französische Filme erinnern, verleiht der Straße ein neues Glamour-Finish. „kt“ macht jedes ihrer Stücke selbst – von der ersten Idee bis zur letzten Naht. Dabei erscheint die Designerin ein bisschen wir ihr Laden selbst: edel, schön, klassisch und irgendwie anders. Kirsten Tadic schneidert die Modelle ihren Kundinnen nicht nur auf den Leib. „Ich versuche zu erfühlen, was ich für einen Menschen vor mir habe“, erklärt sie. „Ein Kleidungsstück nach Maß anzufertigen, heißt vor allem, das Maß für Körper und Seele zu finden.“ Mit ihrer Mode will sie die Persönlichkeit der Trägerin unterstreichen.

Stammkundinnen hüten die stilsichere Maßdesignerin wie einen versteckten Schatz. Dass man ein Kleid von Kirsten Tadic trägt, flüstert man weiter, man posaunt es nicht hinaus, sonst geht am nächsten Tag da jeder hin. Solche Überlegungen sind Kirsten Tadic selbst fremd. „Ich achte eigentlich gar nicht so sehr auf Trends“, winkt sie lächelnd ab. Oft sind ihre Kleider deswegen auch zeitlos genannt worden. Dabei sind sie eigentlich genau das Gegenteil. Das schlichte weiße Baumwollkleid mit abgesetzter Brust an der Wand hätte auch Audrey Hepburn 1954 in „Sabrina“ tragen können, vorausgesetzt, sie hätte als Tochter des Chauffeurs das nötige Kleingeld gehabt. Im Prenzlauer Berg ist ein so kaufkräftiges Publikum mittlerweile fest etabliert.

„Hall of Fame Fashion“, Stargarder Str. 11; „Frost Boutique“, Stargarder Str. 16; Kirsten Tadic, Stargarder Str. 23

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