: „Bloße Appelle reichen nicht“
Die rechten Straftaten haben wieder zugenommen. Doch was kann man dagegen tun? Mehr noch als schärfere Gesetze hilft ein höherer Verfolgungsdruck, sagt der Bremer Rechtswissenschaftler Felix Herzog
FELIX HERZOG, 48, lehrt seit 2005 als Professor für Strafrecht an der Universität Bremen.
taz: In Mecklenburg-Vorpommern möchte das Innenministerium mit einen Radikalen-Ehrenamt-Erlass einer weiteren Verankerung der Neonazis entgegenwirken.
Felix Herzog: Eine sehr problematische Idee. Solch ein verordneter Antifaschismus kann in den Vereinen oder Gemeinden zu Solidarisierungen mit den Neonazis führen. Nach der Logik: Den Heinz kennen wird doch, was wollen die denn jetzt. In diesen Strukturen muss eine Sensibilisierung für die problematischen Aussagen von Heinz geschaffen werden, so dass er erst gar nicht ein Amt anstreben würde. Der Eingriff der Zuständigen verpufft ohne den Aufstand der Anständigen.
Ein Einwurf, der auch eine Abwehr von Verantwortung sein kann.
Ja, doch nur eine Doppelstrategie von Präventionsmaßnahmen und Strafrecht kann greifen. Das Strafrecht hat ja auch die wichtige Funktion, ein Symbol zu setzen, dass bestimmte Verhaltensweisen nicht akzeptiert werden. Dass Faschismus, wie es so schön heißt, keine Meinung ist, die man tolerieren kann, sondern ein Verbrechen. Solch eine symbolische Markierung haben die Verfolgungsinstitutionen bislang vielleicht zu wenig angestrebt.
Mangelndes Verfolgungsinteresse beklagen oft Betroffene rechter Gewalt. Bloß eine subjektive Wahrnehmung?
Nein! Insofern macht es Sinn, rassistische, fremdenfeindliche Hassmotivationen als ein strafverschärfendes Moment in die einzelnen Tatbestände oder in die Strafzumessungsregeln zu integrieren. Auf mehreren Ebenen wirkt sich das aus. Bei der Polizei würde das Bewusstsein, was am Tatort und bei den Tatzeugen zu ermitteln ist, geschärft. Bei den Staatsanwaltschaften kann diese Verdeutlichung verhindern, dass Verfahren gegen rechte Gewalt und Hetze wegen Geringfügigkeit eingestellt werden. Im Strafgesetzbuch sollten diese Delikte über bestimmte Regeln an exponierte Stelle gebracht werden. Das würde für die Gerichte bedeuten, dass dies dann bei der Beweiserhebung und Strafzumessung zu würdigen ist
Sie plädieren also für schärfere Gesetze?
Nicht das Strafmaß schreckt ab, das ist eine alte Erkenntnis der Strafrechtswissenschaft. Die Entdeckungswahrscheinlichkeit und Verfolgungsintensität wirken wesentlich stärker. Das heißt, die Polizeikräfte müssen sensibilisiert werden, entsprechen sorgfältig zu ermitteln. Doch das ist nur dann möglich, wenn dem auf der gesetzlichen Ebene ein entsprechendes Gewicht gegeben wird. Bloße Appelle wie „Kümmert euch mehr darum“ reichen nicht. Die Strafrahmen, so wie sie sind, sind im Grunde ausreichend. In Großbritannien steigen die Strafmaße allerdings extrem an, wenn die Tat rassistisch motiviert ist, und da gibt es auch Straftatbestände, die wir in Deutschland gar nicht kennen, wie Belästigung, die verfolgt wird, wenn etwa eine Gruppe vor einen Dönerimbiss immer wieder rassistische Lieder singt.
Sie sehen das englische Modell im Vorteil?
Das englische Modell sensibilisiert die Polizei jedenfalls, rassistische Tathintergründe wahrzunehmen und entsprechend zu handeln. Den Polizeibeamten in Deutschland müssen Regelbeispiele für Hasskriminalität in die Hand gegeben werden. Polizeibeamte, das weiß man, sind autoritätsfixiert, die ermitteln nur ordentlich, wenn sie wissen, es wird von den Staatsanwaltschaften nicht bagatellisiert, und vor Gericht wird verurteilt.
Der lange Abstand zwischen Tat und Verurteilung weckt bei rechten Jugendlichen nicht gerade ein Schuldbewusstsein.
Das ist ein grundsätzliches Problem des Justizsystems. Das lässt sich nur ändern, wenn Sie spezielle Strukturen schaffen: Sonderzuständigkeiten bei der Polizei oder bei den Staatsanwaltschaften. Sie können sicher sein, dass rund um den G-8-Gipfel eine gigantische justizielle Infrastruktur aufgebaut wird, um die Leute zügig vor Gericht zu stellen. Wenn man die Dinge schnell erledigen will, gibt es Wege. Das wäre eine Überlegung wert.
Interview: ANDREAS SPEIT
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