: Landeskulturelle Prüfung für Genmais
Ohne „Wertprüfung“ bekommt auch Genmais keine Sortenzulassung. Testflächen aber sind rar. Ausgerechnet der Präsident der Landwirtschaftskammer Niedersachsen gibt nun sein Land dafür her – was Beverstedt morgen seine größte Demo beschert
In Niedersachsen werden dieses Jahr an 13 Standorten auf 22,9 Hektar gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut – alles Genmais vom Typ MON-810, der gegen den Maiszünsler resistent gemacht wurde – einen Schädling, der in Norddeutschland nicht vorkommt. Die Äcker in Bokel, Adelheidsdorf und Neustadt/Rübenberge betreut die Landwirtschaftskammer, die in Beesten und Hohenhameln das Bundessortenamt. Die Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft und die Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft testen in Braunschweig, Mariensee, Sickte und Lehrte. SIM
VON ARMIN SIMON
Er fühlt sich unschuldig und unbeteiligt. Nein, „mit so einem Theater“ habe er nicht gerechnet, sagt Fritz Stegen. Wegen 300 Quadratmetern Gen-Mais, die noch diesen Monat auf seinem Acker in Bokel bei Cuxhaven ausgesät werden sollen.
Der Anbau ist ein Test, sagt Stegen, und zwar ein „gesetzlich vorgeschriebener“: 42 neu gezüchtete Mais-Sorten – sechs davon gentechnisch veränderter so genannter Bt-Mais –, sollen auf Ertrag, Witterungsbeständigkeit und „landeskulturellen Wert“ geprüft werden. Erst wenn diese Bewertung positiv ausfällt, bekommen die Züchtungen eine Zulassung vom Bundessortenamt – Voraussetzung für ihren kommerziellen Anbau.
Von einem Test spricht auch Helga Gorges, Sprecherin der „Bürgerinitiative (BI) Bokel und umzu gegen Genmais“. Die hat sich vor wenigen Wochen gegründet, kurz nachdem die Anbau-Pläne öffentlich wurden, und ist für das von Stegen beklagte „Theater“ verantwortlich. Der Erprobungsanbau in Bokel, sagt Gorges, solle der Agro-Gentechnik in der Region die Tür öffnen – und dass es ausgerechnet Stegen ist, der seinen Acker dafür hergibt, empört sie besonders. Denn der Bokeler Landwirt ist Präsident der Landwirtschaftskammer Niedersachsen. Ein Mann mit „Vorbildfunktion“, sagt Gorges.
In einem offenen Brief hat die BI ihm deswegen ein Ultimatum gestellt. „Selbst in der konventionellen Landwirtschaft stehen viele Bauern Ihrem Anbau ablehnend gegenüber“, heißt es in dem offenen Brief. Als Kammer-Präsident vertrete Stegen daneben auch die Biobauern, für die Gentechnik tabu ist. „Als Christ, Demokrat und für die Natur mitverantwortlicher Landwirt“ müsse er die mehrheitliche Ablehnung seines Vorhabens akzeptieren. Das Ultimatum lief vor einer Woche ab. Stegen teilte mit, er habe „keine Erkenntnisse gewonnen, weshalb ich mir das anders überlegen sollte“.
Zudem, betont er, stelle er nur seinen an drei Seiten von Wald umgebenen Acker zur Verfügung. Den Anbauversuch selbst führe die Landwirtschaftskammer Niedersachsen aus, im Auftrag des Bundessortenamts. Das habe bei der Kammer nach Test-Flächen gefragt – und er, damit man nicht lang suchen musste, seine spontan angeboten.
Den Hilfsdienst weiß man beim Bundessortenamt durchaus zu schätzen. Gerade bei genveränderten Pflanzen habe man „mit Schwierigkeiten zu kämpfen, genügend Standorte zu finden“, räumt der für Sortenprüfungen zuständige Mitarbeiter Volker Klemm ein. Nötig für eine Zulassung sind nämlich erfolgreiche Tests während zweier Vegetationsperioden, und zwar über das ganze Bundesgebiet verstreut, also „auch in Niedersachsen“. Scheitert ein Test – wie im letzten Jahr des Öfteren der Fall – am schlechten Wetter oder weil die Versuchsfelder zerstört werden, muss er wiederholt werden: „ein wirtschaftlicher Schaden für die Züchter“.
Wirtschaftlichen Schaden durch den Genmais-Anbau befürchtet dagegen Ulrike Behrendt. Nur 2,8 Kilometer von Stegens Acker entfernt züchtet sie Zuckermais in Demeter-Qualität. Die gesetzlich vorgeschriebenen Sicherheitsabstände von 150 Metern hält sie für „einen Witz“. Mais sei ein Windbefruchter, dessen Pollen leicht mal einen Kilometer flögen: „Das kann man in jedem Lehrbuch nachlesen.“ Angeblich will die Landwirtschaftskammer die Pollenfahnen abschneiden, um eine Verwehung zu verhindern. Im späteren kommerziellen Anbau ist das nicht mehr möglich. Kreuze sich Genmais in ihre Zuchtlinie ein, gehe ihr Schaden in die Hunderttausende, warnt Behrendt.
Anderthalb Tausend Unterschriften hat die Bürgerinitiative schon gesammelt, „die Leute rennen uns die Bude ein“, sagt Gorges. Zu den drei Podiumsdiskussionen und Infoveranstaltungen kamen mehrere Hundert Zuhörer. Stegen stand auf verlorenem Posten. Er sei „kein Freund von Monsanto“ und habe sich sein „endgültiges Urteil zur Gentechnik noch nicht gebildet“, sagt er inzwischen. Aber: „Landwirtschaft im Schongang – das ist vorbei.“
Morgen wollen die GegnerInnen des Genmais-Anbaus in Beverstedt demonstrieren, der Samtgemeinde sechs Kilometer nördlich von Bokel. Ihr Ziel ist eine gentechnikfreie Region im Elbe-Weser-Dreieck. Stegen hält das für „unrealistisch“. „Da braucht nur ein Landwirt sagen: ‚Ich mach’ da nicht mit‘“, gibt er zu bedenken. Ein Landwirt wie Fritz Stegen etwa.
Die Demonstration gegen den Erprobungsanbau von Genmais in Bokel startet am Samstag um 11 Uhr auf dem Marktplatz in Beverstedt.
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