piwik no script img

Putin setzt in Rede antiwestliche Akzente

In seiner Ansprache zur Lage der Nation stellt Russlands Präsident den Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Frage und verschärft den Raketenstreit mit der Nato. In Anspielung auf die Opposition kritisiert er Einmischung in innere Angelegenheiten

AUS MOSKAU KLAUS-HELGE DONATH

Die Überraschung im jährlichen Bericht zur Lage der Nation hob sich Russlands Präsident Wladimir Putin fast bis zum Ende der über einstündigen Rede vor den im Kreml versammelten Duma-Abgeordneten und Senatoren auf. Putin regte an, den Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag) mit einem Moratorium zu belegen. Der Vertrag regelt den Abbau von Streitkräften und schwerem Militärgerät. Russland wolle die Erfüllung der Vertragsverpflichtungen Russland so lange aussetzen, bis alle Nato-Mitgliedsstaaten den KSE-Vertrag ratifiziert und mit der Umsetzung der Verpflichtungen begonnen hätten, sagte Putin.

Russland behauptet, durch den Abzug von Truppen und schwerem Gerät aus dem nordwestlichen Wehrkreis im europäischen Teil des Landes erhebliche Vorleistungen erfüllt zu haben. Die Gegenseite hätte das Abkommen weder ratifiziert noch sich indirekt an die Auflagen gehalten. Sollten Gespräche im Nato-Russland-Rat zu keiner Lösung führen, werde man sich überlegen, aus dem Vertrag ganz auszusteigen.

Die Kritik des Kremls richtet sich zunächst gegen die neuen Nato-Mitgliedsstaaten im Baltikum und Osteuropa sowie Moldawien und Georgien. Moskaus Beziehungen zu den ehemaligen Satellitenstaaten der UdSSR haben seit langem den Gefrierpunkt erreicht. Putin verknüpfte den KSE-Vertrag überdies auch mit dem Vorhaben der USA, in Tschechien und Polen strategische Raketenabwehrsysteme zu errichten. Dies sei eine Bedrohung der nationalen Sicherheit, meinte Putin und ließ durchblicken, dass er in dem Vorhaben eine Verletzung des KSE-Vertrags sehe. Angebote der USA, an der Vorbereitung des Abwehrsystems mitzuwirken, hatte Moskau brüsk abgelehnt.

Putins harsches und kompromissloses Auftreten galt in erster Linie dem heimischen Publikum. Der Aufbau von Feindbildern und vermeintlichen Bedrohungsszenarios dient dem Ziel, das Land mit strikt antiwestlicher Propaganda hinter dem Kreml einzuschwören. Es geht um Machtsicherung der Elite über die Präsidentschaftswahlen im nächsten Frühjahr hinaus.

Der antiwestliche Impetus zog sich durch die ganze Rede. „Es gibt einen wachsenden Zufluss ausländischer Gelder, die genutzt werden, um sich in unsere inneren Angelegenheiten einzumischen“, sagte Putin und forderte die Abgeordneten auf, die vorhandenen Gesetze gegen extremistische Umtriebe noch einmal zu verschärfen. Es gebe in Russland Kräfte, denen Stabilität und stetes Wirtschaftswachstum nicht zusagten.

Die Anspielung auf die Demonstrationen der Opposition des „Anderen Russland“ und deren Frontfigur Garri Kasparow vor zwei Wochen war kaum verschlüsselt. Diese Kräfte spielten in die Hände fremder „Kolonisatoren“, die Russland nur kontrollieren wollten. Putin sagte es nicht, aber alle verstanden es, weil sie sich an die ideologischen Versatzstücke aus der kommunistischen Jugend erinnerten: Das böse Ausland schickt die Opposition als „Fünfte Kolonne“.

„Selbst in der Epoche des Kolonialismus gab es eine These, die von der sogenannten zivilisierenden Rolle der Kolonialstaaten ausging“, fuhr der Kremlchef fort. Heute verbreiteten sie unterdessen „demokratische Slogans, verfolgen aber nur ein wahres Ziel: die Erlangung einseitiger Vorteile und die Verteidigung eigener Interessen“. Soweit der Seitenhieb gegen die USA. Die Rede hätte aus dem Lehrbuch der Verschwörungstheorien abgeschrieben sein können. Anders, glaubt der Kreml wohl, könne er das Volk auf Dauer nicht an sich binden.

Besonders stürmischen Applaus erntete der Kremlherr zum Abschluss. Die zweite Amtszeit laufe aus, und die Rede zur nationalen Lage werde schon jemand anders halten. Dennoch sei es viel zu früh, um Bilanz zu ziehen, meinte Putin sibyllinisch. Für die Zweideutigkeit war ihm der Saal überdankbar und spendete stehend minutenlange Ovationen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen