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Frauenchor gegen Nazis

Im brandenburgischen Hohen Neuendorf hat sich ein umfassendes Bündnis gegen rechts etabliert: Mehr als 25 Gruppen – vom Gesangsverein bis zum Jugendclub – wehren sich gegen NPD-Kader

Das Bündnis ist ein Paradebeispiel für eine funktionierende Zivilgesellschaft

VON KONRAD LITSCHKO

Es ist, als hätte eine ganze Region der NPD den Kampf angesagt. Mehr als 25 Vereine, Schulen und Parteien aus dem oberhavelländischen Hohen Neuendorf, nördlich von Reinickendorf, haben sich zu einem in seiner Breite erstaunlichen Anti-rechts-Bündnis zusammengeschlossen. Sein Name: „Nordbahngemeinden mit Courage“. Mit dabei sind so unterschiedliche Gruppen wie der Frauenchor und der Fußballverein, die Stadtverwaltung, der Gaststättenverband, mehrere Jugendclubs, die Kirchengemeinden und Parteien beinah jeglicher politischer Couleur.

„Ein kommunales Bündnis in dieser Art habe ich selten erlebt“, sagt Nicola Scuteri, der mit seinem Mobilen Beratungsteam (MBT) der Initiative beratend zur Seite steht. Dass sich diese bunte Truppe zusammenschloss, kommt nicht von ungefähr: Zogen doch vor gut einem Jahr mit Stella Palau und Jörg Hähnel zwei prominente Spitzenkader des NPD-Bundesparteivorstands nach Hohen Neuendorf. Dort finden sie sich in bester Gesellschaft. Denn in der Stadt und in den Nachbarorten Birkenwerder und Oranienburg wohnt weitere rechte Prominenz, darunter der Szeneanwalt Wolfram Nahrath, NPD-Bundeslehrgangsleiter und Landespressesprecher Thomas Salomon und der Chef des rechtsextremen Deutschen Rechtsbüros, Richard Miosga.

Die Ziele des Bündnisses? „Wir wollen eine Informationsoffensive starten, über Rechtsextremismus aufklären und die Menschen vor Ort animieren demokratisch zu wählen“, sagt Hiram Villalobos, Mitbegründer der Initiative. Dabei habe man vor allem die Kommunalwahl 2008 im Blick: Man wolle es der NPD „so schwer wie möglich machen“, in die Parlamente einzuziehen. Im Sommer will das Bündnis eine Info-Broschüre über die neue Saubermann-Strategie und regionale Strukturen der Rechtsextremen an die Haushalte in Hohen Neuendorf verteilen. Auch die Gründung einer Jugendabteilung ihrer Initiative wird überlegt. Und schon jetzt werden eifrig Info-Stände in der Stadt aufgebaut, wie zuletzt beim Sonntagskick der Hohen Neuendorfer Fußballer. „Wir versuchen gerade überall zu sein“, sagt Villalobos schmunzelnd. Man wolle die Initiative im Stadtbild verankern – künftig auch mit Bannern und Buttons.

Villalobos und seine Mitstreiter strotzen nur so vor Tatendrang. In die lokalen Vereine werde man gehen, zusammen mit diesen und dem MBT über Rechtsextremismus diskutieren: Wo engagieren sich Rechte vor Ort? Wie begegnet man ihren Argumenten? Dabei dürfe sich jedes Bündnis-Mitglied nach eigener Façon einbringen. So könnte beispielsweise der Frauenchor den musikalischen Rahmen setzen, überlegt Villalobos. Bei einem der nächsten Vereins-Treffen ist man auch im Hohen Neuendorfer Familienzentrum zu Gast – dort, wo NPD-Funktionärin Stella Palau ein Jahr lang unerkannt ein und aus ging.

Letztlicher Auslöser zur Gründung des Bündnisses gegen Rechts war der Brandenburger NPD-Landesparteitag im Oktober vergangenen Jahres – im Hohen Neuendorfer Stadtteil Borgsdorf. Zuerst unbemerkt abgehalten, hatten Bürger die lokale Gastwirtschaft auf Bildern der NPD im Internet entdeckt. „Rechtsextremismus war immer irgendwo anders. Aber mit dem Parteitag haben wir gemerkt, dass er auch mitten unter uns ist“, erinnert sich Hiram Villalobos. Spontan hätten sich 20 Gemeindemitglieder zusammengefunden und den Plan für ein Bündnis geschmiedet. „Wenn man hier als rechte Hochburg gestempelt wird, verlieren alle“, so der gebürtige Chilene.

Inzwischen hat die Initiative reichlich Zulauf erhalten – darunter auch von dem Fußballverein, in dem die Kinder von Nazi-Anwalt Wolfram Nahrath bolzen. Auf einer Unterschriftenliste positionieren sich bisher gut 560 Einwohner gegen rechts, zu einer ersten großen Informationsveranstaltung Ende März drängelten sich über 250 Zuhörer in die proppevolle Aula des Hohen Neuendorfer Gymnasiums. Die Organistoren waren überrascht: „Wir hatten ursprünglich mit 80 gerechnet.“

Was sich derzeit in der oberhavelländischen Region etabliere, sei ein „Paradebeispiel, wie Zivilgesellschaft funktioniert“, lobt denn auch Nicola Scuteri vom MBT. Dahinter stecke ein „ehrliches“ und sehr professionelles Engagement. „Hier gibt es noch eine Bürgergesellschaft, die in manch ländlichen Gegenden inzwischen fehlt.“

Unterstützung erhalten die Aktivisten auch von den BürgermeisterInnen aus den Nordbahngemeinden – Hohen Neuendorf, Birkenwerder, Mühlenbeck und Glienicke. Räumlichkeiten oder Drucklogistik werde er zur Verfügung stellen, versichert Kurt Vetter, Stadtoberhaupt Birkenwerders und Schirmherr der Initiative. „Darauf können Sie zählen, solange ich im Amt bin.“ Auch suche er bewusst das Gespräch mit einzelnen Rechten. Selbst mit Wolfram Nahrath habe er schon geplaudert. „Aber der hütet sich schwer, über politische Dinge zu sprechen“, sagt Vetter.

Bei der NPD wollen Scuteri und Villalobos zumindest eine „gewisse Verunsicherung“ erkannt haben. „Sie haben gemerkt, dass sie hier Gegenwind bekommen“, berichtet Scuteri. Als Beispiel nennt er eine Informationsveranstaltung des Bündnisses, bei der sich auch NPDler unter die Zuhörer gemischt hätten. Sie hätten jedoch keine Chance gehabt, von ihrer „Wortergreifungsstrategie“ Gebrauch zu machen.

Das entschlossene Engagement der Hohen Neuendorfer hat inzwischen andere Brandenburger Kommunen aufmerksam gemacht. Bürger aus Fürstenberg hätten das Bündnis um Hilfe gebeten – ihr Heimatverein sei von Rechten unterwandert worden, berichtet Hiram Villalobos. Er hat sie zur nächsten Sitzung der Nordbahngemeinden-Initiative eingeladen.

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