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Feiern gegen die Angst

REVOLUTION Wie bewegt man sich durch Damaskus, wenn um einen alles brodelt? Ein syrisches Tagebuch

Der Syrische Frühling

■  Die Autorin: Die 35-Jährige berichtet unter Pseudonymen aus dem Nahen Osten und hat sich einen Freundeskreis aus engagierten Damaszenern aufgebaut.

■  Die Reise: Mitte März, als die Aufstände in Syrien gegen das Regime von Baschar al-Assad begannen, reiste sie für die taz undercover nach Damaskus, wo sie sechs Wochen lang als eine der letzten ausländischen Journalisten berichtete. Die syrische Presse ist staatlich streng reglementiert, ausländische Journalisten werden derzeit nicht offiziell akkreditiert.

■  Die Situation: Seit März sollen mehr als 1.000 Menschen erschossen worden sein. Die EU beschloss ein Einreiseverbot gegen al-Assad und sperrte sein Vermögen.

VON LEILA DJAMILA

Liebes Tagebuch,

hätte ich gedacht, dass der Alltag im Syrischen Frühling derart angespannt ist? Dass er sich in meinen Damaszener Freundes- und Bekanntenkreis hineinzieht, Gräben aufreißt, wo es vorher Verständnis, bedingungslose Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft gab? Dass niemand die Spannung gewohnt ist und alle so ausflippen, wie ich es nur aus dem Tel Aviver Nachtleben bei der Intifada kannte?

Vorhin ging ich zu meiner Freundin Asisa, natürlich in farblosen, unauffälligen Studentenklamotten, schlabberig und ausgewaschen, sah also aus wie alle ausländischen Studenten in Syrien. War schon ein bisschen komisch: An jeder Ecke standen Geheimagenten, zu fünft oder zu zehnt, trotz der untergehenden Sonne alle mit Sonnenbrillen, Schnurrbart und dem Erkennungsmerkmal Lederimitat-Blouson. Gab jetzt ja die ersten Demoaufrufe auch in Damaskus. Wenn ich Lieferwagen sah, wechselte ich die Straßenseite, es gibt einfach zu viele Geschichten, wie „verdächtige Ausländer“, vermeintliche Spione, einfach in diese Wagen gezerrt werden und erst mal verschwinden.

Als ich bei meiner Freundin klopfte, schrie sie panisch hinter der Tür, in ihrer Stimme die Angst vor dem Geheimdienst. Erleichterung, als sie mich sah. „Deine Klamotten sind gut“, kommentierte sie trocken. „Aber deine Tasche … bist du wahnsinnig, hier mit deiner Reportertasche anzukommen?“, kreischte sie mir entgegen. Ja, ich hatte Gemüse und Fleisch für die anstehende Party in eine Kameratasche gepackt, aber keine Kamera dabei, kein Aufnahmegerät, nichts, das mich als Journalistin entlarven hätte können. Mit strengem Blick befahl sie mir, nicht noch einmal mit der verräterischen Tasche aufzukreuzen.

Obwohl wir Essen zubereiten wollten und in einer Stunde die ersten Gäste kommen sollten, setzte sie sich, ungeduscht und in schmuddeligem Hausanzug, sofort wieder vor den Fernseher, ihren Laptop auf den Knien, Festnetz- und Mobiltelefon in Reichweite. „Fuck shit, ich kann nicht glauben, was hier los sein soll!“, rief sie, eine Zigarette nach der anderen rauchend. Ständig schaltete sie zwischen al-Dschasira und al-Arabia hin und her, die verwackelte Handybilder aus der Unruhestadt Daraa zeigten, in der auf friedliche Demonstranten geschossen wurde. Dann Wechsel zum Staats-TV, das immer weiter ruhige Bilder von blühenden Landschaften und glücklichen Bauern zu nationalistischer Musik zeigte und von Aufständen nichts meldete.

Seit über vier Wochen sitzt Asisa nun schon zu Hause, geht nur raus, um das Nötigste einzukaufen. Zu groß ist ihre Angst, wegen ihrer zahlreichen Kontakte zu Ausländern, besonders zu Journalisten und NGO-Mitarbeitern, auch einfach mal weggeschnappt zu werden. Freunde von ihr, Bekannte von mir, sind verprügelt und verhaftet worden, weil sie zur falschen Zeit – freitags nach dem Gebet – am falschen Ort, da wo Demos angekündigt waren, in Cafés saßen oder telefonierten. Asisa davon zu überzeugen, dass eine Party in dieser Situation das Beste sei, um sich von den Ängsten ablenken zu lassen, war mir nicht leicht gefallen. Aber ich konnte nicht mehr mit ansehen, wie sie stundenlang mit Verstopfung auf dem Klo hockte, sich nicht mehr aus dem Haus traute, kaum noch E-Mail-Kontakt zu ihren Freunden hielt und Anrufe aus Angst vor Überwachung wegdrückte. Dabei Kette rauchte und Unmengen von Brot mit Hummus oder kiloweise ölige Kartoffeln verschlang, die sie sich von mir einkaufen ließ.

Als die ersten Gäste kamen, saß Asisa immer noch im Hausanzug vor der Glotze. „Ich kenne diese Frauen nicht, sag besser nichts!“, zischte sie mir zu. Die beiden packten sofort ihre Laptops aus, fragten nach dem Passwort für Asisas W-Lan – normal auf Studentenparties, auch in Syrien – und begannen auf Facebook die einschlägigen Seiten „Syrian Youth for Revolution“ und „Syrian News Network“ zu checken. Asisa herrschte die Mittzwanzigerinnen an, dass sie das sofort zu lassen hätten, wenn die Dienste sie überwachen würden, dann würde der Aufruf über ihre IP-Adresse ja reichen, um sie als Oppositionelle in den Knast zu stecken! „Und das, wo ich den Präsidenten liebe!“, fügte sie zur Sicherheit hinzu.

Die nächsten Gäste kamen, fröhlich ausgelassene Sprachstudenten aus Japan, Frankreich, Australien. Da nichts gekocht war, bestellten wir Pizza. Alle sollten leise sprechen, wies Asisa an. Sie trug immer noch Hausanzug und vermutete hinter jedem Gast einen Spion, bis ein irakisches Flüchtlingspaar kam, das ebenfalls seit Tagen das Haus nicht verlassen hatte. Auch sie hatten eine Heidenangst, zwar nicht vor den Agenten, aber vor der Entwicklung der beginnenden Revolution. Falls der Staat zerfallen sollte, falls Hass zwischen den Religionen aufflammen würde, wären sie dann noch sicher im Exil? Würde dann in Syrien nicht das beginnen, wovor sie mit ihren drei Kindern vor Kurzem erst aus dem Irak geflüchtet waren? Er Schiit, sie Sunnitin, eine Verbindung, die dann angefeindet werden würde? Seine Frau hatte ihre sonst so sorgsam gelackten roten Fingernägel abgeknabbert, er sah aus, als hätte er Tage nicht geschlafen.

Ein Engländer, der mit seiner syrischen Verlobten kam, hatte gute Laune und Gin und Tonic dabei. Bis dahin hatten wir noch keinen Tropfen Alkohol angerührt, obwohl alle Rotwein oder Bier mitgebracht hatten. Als er fragte, ob jemand einen Drink wolle, wurde das Gespräch erstmals politisch: „In dieser Situation willst du Alkohol trinken?“, wollte der Iraker wissen, „was, wenn sie kommen und du nicht nüchtern bist und dich in schlimme Situationen hineinredest?“ Ach Quatsch, meinte er. Die Agenten hätten doch jetzt anderes zu tun, als uns harmlose Devisenbringer zu überwachen. Alle seien Studenten, könnten das nachweisen, wir machten hier Kulturaustausch! „Also“, rief er „ihr stolzen jungen Syrer aller Religionen, wollt ihr einen Drink? Für solch angespannte Situationen wie diese hier haben wir Briten nämlich Gin & Tonic erfunden! Lasst uns auf den Präsidenten trinken!“

Alle mussten lachen, die Pizzen kamen und wurden mit G & T, Wein und Bier hinuntergespült. Klar, das Thema war jetzt nur noch „die Situation“, und ich kam mir vor wie in Beirut, wenn die Hisbollah mal wieder ihre militärische Kraft gezeigt hat. Jeder hatte eine Geschichte zu erzählen, und Asisa staunte, wie viele Bekannte aktiv an der Cyber-Revolution beteiligt waren. Ohne dass die Agenten sie gleich einkassiert hätten.

Allerdings hörten wir auch andere Storys: von Sprachstudenten, die bei den Demos fotografiert hatten und dann so lange festgehalten wurden, bis sie ihre E-Mail-, Skype- und Facebook-Passwörter verraten hatten. Und jeder kannte jemanden, der verschwunden war. Asisa hörte gebannt zu und zischte, dass im Hause nur geflüstert werden dürfe.

Es ging auf Mitternacht zu, alle waren mehr oder weniger betrunken, als eine junge Irakerin plötzlich aufstand, die Faust reckte und schrie: „Verdammt, wovor habt ihr alle Angst, ich komme aus dem Irak und weiß, was Angst ist! Hier sind keine Amis, hier ist nur ein beschissener Präsident, yalla, morgen gehen wir auf die Straße und stürzen ihn! Revolution!“ Noch nie hatte ich Asisas Augen so weit aufgerissen gesehen – todernst. „Party is over“, zischte sie in das betrunkene Studentengelächter. Nur ich durfte bleiben, hinter ihr liegen und sie die ganze Nacht lang halten. Größer noch als die Angst, von Agenten geschnappt zu werden, war in dieser Nacht nur ihre Angst, allein zu sein, wenn sie denn käme.

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