: Die Botenstoffe des Sozialismus
PRESTIGE Gastgeber des Moskauer Restaurants „Pjöngjang Kore“ ist die Volksrepublik Nordkorea. Die Diktatur will ihr Image aufpolieren – mit würzigen Speisen und dem Imperativ des Lächelns
■ Die Variationen: Es gibt hunderte Arten von Kimchi, dem eingelegten Chinakohl. Fast jede Familie hat ihr eigenes Rezept. Kimchi ist für Korea so typisch, dass man dem Geruch überall begegnet.
■ Die Zutaten: Für ein Wasserkimchi braucht man einen großen Chinakohl, 160 Gramm Steinsalz, 1/2 Teelöffel Cheyenne-Pfeffer, 5 fein gehackte Frühlingszwiebeln und 2 Knoblauchzehen. 5 Zentimeter geriebenen Ingwer, 2 Esslöffel frische gehackte Chilischoten, 1 Esslöffel feinen Zucker, 600 Milliliter kaltes Wasser.
■ Die Zubereitung: Den Kohl in mundgerechte Stücke schneiden. In Lagen in eine Schüssel schichten und mit Salz bestreuen. Die Salz-Kohl-Lagen mit einem Teller abdecken, den Teller beschweren. Vier bis fünf Tage an einem kühlen, dunklen Ort lagern. Dann die Flüssigkeit abgießen, den Kohl gründlich waschen, das Wasser vorsichtig ausdrücken. Mit Pfeffer, Zwiebeln, Knoblauch, Ingwer, Chili und Zucker mischen. Durchrühren. Alles in ein steriles Einmachglas füllen, Wasser darüber gießen und mit einem dicht schließenden Deckel versiegeln. Im Kühlschrank lagern. Mindestens einen Tag muss der Kimchi durchziehen, dann kann man ihn verzehren. Länger als zwei bis drei Wochen sollte man den Kimchi nicht aufbewahren.
VON KLAUS-HELGE DONATH
Pjöngjang ist eine Oase der Beschaulichkeit. Der Besucher hört leise Kuckucksrufe, Kraniche ziehen vorbei. Die Vögel sind auf weißes Tuch gemalt, das Tuch schwingt im Zugwind und ist raffiniert beleuchtet. Schwebende Märchenfeen in hellen Gewändern mit langen Schleppen geleiten den Gast in das Innere des Restaurants. Es ist nicht mehr geheim, aber noch ein Geheimtipp. Das nordkoreanische Restaurant „Pjöngjang Kore“ in Moskau.
Wirt ist die Volksrepublik Nordkorea. Genauer wohl das „Büro 39“, das für Valutabeschaffung zuständig ist, seit China und Russland das totalitäre Regime der Kim Jong Ils nicht mehr unterstützen. Westlicher Beklommenheit tritt die anmutige Bedienung sogleich mit ausgesuchter Höflichkeit entgegen. „Darf ich bei der Auswahl behilflich sein?“, fragt Jin Kim. Die 21-Jährige stammt aus Pjöngjang und ist erst seit Kurzem in Moskau. Jin Kim empfiehlt zum Einstieg das koreanische Hausgericht Kimchi, gesprochen Gimdschi, einen sauer eingelegten Chinakohl mit Knoblauch, Ingwer und Chili.
Besonders am Herzen liegt ihr aber das Yukhae, ein koreanisches Tatar. „Unbedingt probieren“, sagt sie mit einem Imperativ des Lächelns. Unter die dünnen Rindsstreifen mit hauchfeinen Birnenhäppchen schlägt Jin das Eigelb später am Tisch. „Yukhae gibt es in Nordkorea sicherlich nur an Feiertagen?“, fragt der Gast vorsichtig auf der Suche nach einem Gran Verhältnismäßigkeit. Hatte der Norden nicht mit hungernden, unterentwickelten Kindern auf sich aufmerksam gemacht? „Aber nein doch, Tatar kann man bei uns immer essen“, lächelt Jin.
Sie sei nach Russland geschickt worden, da sie daheim schon russische Gäste betreute. Dass der geliebte Führer Kim Jong Il nur handverlesene, anmutige Uniabsolventinnen ins Ausland entlässt, ist bei aller Verschlossenheit des Systems kein Geheimnis. Kim Jong Il ist Ästhet und kein Kostverächter. Mehrere Kompanien singender und tanzender Mädchen hält sich der Führer zur Kurzweil. Koreanische Geishas, die die Sinne stimulieren wie das betörende Bulbutiun Tschan-o gui: glasierte Makrelenhäppchen, die in einer Süßsauersauce am Tisch flambiert werden. Kein üppiges und kein billiges Vergnügen.
„Was halten Sie von meiner Aussprache?“, möchte Jin Kim wissen, ihr Russisch ist ausgezeichnet. Sie lernt auch jeden Tag, hört Radio und liest sehr viel. Jin Kim heiße auf Russisch Lena, erzählt sie. Etwas stimmt hier nicht, denkt der Gast: Ihre Aufgeschlossenheit passt nicht zum düsteren Bild, das wir von der Volksrepublik haben.
Die Überlegenheit des Sozialismus in den Speisen
Auch Kim Jong Il schaut nicht wie erwartet von den Wänden in jede Schüssel. In einer Unterweisung von Funktionären im Jahr 2003 empfahl der Gourmet, „die Überlegenheit des Sozialismus gerade bei den Speisen der Menschen“ unter Beweis zu stellen und „Gewürzmittel verstärkt einzusetzen“. Das Kulturniveau des Speiseplans des Volkes sei entschieden zu erhöhen, da er sehr eintönig und nicht abwechslungsreich sei, stellt Kim Jong Il fest.
Genaueres ist der Schrift „Zur Herstellung einer dem Songun-Zeitalter entsprechenden sozialistischen Lebenskultur“ zu entnehmen. Songun, die Ideologie des Militarismus, bedeutet „zuerst die Armee“ und löste das ideologische Postulat der Autarkie, Juche (Koreanisch für Selbstständigkeit), ab.
Die nordkoreanische Küche ist nicht so scharf wie die südkoreanische. Angeblich soll das am kälteren Klima liegen, es dürfte aber auch eine Kostenfrage im armen Norden sein. Der kulinarische Vorteil: Gemüse behält so auch im Rindfleischeintopf Guk mit Bap, also Reis, seinen natürlichen Geschmack – wie auch in der Tempelküche üblich. Würze ist jedenfalls Staatsangelegenheit und entscheidendes Ingredienz der Systemstabilität. So etwas wie ein sensibler Botenstoff. Kim Jong Il warnt denn auch vorm Überwürzen: „Bei stark gewürzten Speisen isst man nur unnötig viel, und das ist gesundheitsschädlich.“ Spricht daraus nun Sorge um die Volksgesundheit oder Furcht vor nicht mehr zu stillendem Appetit?
Kim Jong Ils Vater Kim Il Sung stand auch schon vor dem Problem knurrender Mägen. Der Staatsgründer bewältigte den Engpass durch Kreation der Gesundheitssuppe „Boshintang“ und der Verabreichung von „Dangogi“, dem „hervorragenden Fleisch“, Hundefleisch, dessen Konsistenz dem menschlichen sehr ähnlich ist und das als besonders nahrhaft gilt. Nordkorea pries die Hundesuppe als „bestes Gericht für verschwitzte Arbeiter in heißer Jahreszeit“.
Die Nahrungsmittelknappheit machte indes auch den Hund zur seltenen Delikatesse. Sie steht im „Pjöngjang Kore“ nicht auf der Speisekarte. Stattdessen bestellen Gäste dort seit dem Reaktorunglück in Fukushima häufiger Miok, eine Algensuppe mit erhöhtem Jodgehalt.
Für Unterhaltung sorgen Videos aus dem Leben der Republik. Fröhliche Menschen, üppige Tafeln. Liebenswerte Gattinnen verwöhnen heimkehrende Männer. Hohe Militärs eilen Soldaten freudig entgegen. Lachende Werktätige spazieren durch Neubauviertel mit überglücklichen Kindern. Zwischendurch, als Pausenzeichen: Bilder vom sagenumwobenen Berg Paektu. In der reinen Bergwelt, so ein jüngerer Mythos, soll der unbefleckte Führer Kim Jong Il das Licht der Welt erblickt haben.
Gäste aus dem Vaterland begrüßt die Chefin persönlich. Sie verschwinden in Separees, in denen laut gelacht und Karaoke gesungen wird. Ein Herr mit Parteiabzeichen am Revers schaut gelegentlich nach dem Rechten.
Russische Gäste kommen noch selten. Aber Japaner fühlen sich wohl im „Pjöngjang“. Als der Kolonialherr 1945 aus Korea vertrieben wurde, ließ er den Rassismus zurück. Von einer den Japanern immerhin schon gleichwertigen „Parallelrasse“ erhoben sich die Nordkoreaner zur „reinsten Rasse“ schlechthin, sodass sich schon DDR-Diplomaten in den 1960er Jahren wunderten, was das mit Marxismus zu tun habe. Gar nichts. Auch Kim Jong Il lässt sich nicht wie Stalin als omnipotenter Übermensch feiern. Der rundlich wohlgenährte Diktator erinnert an einen Hermaphroditen, gerade mal männlich genug, um seine hilflosen Schäflein zu schützen, aber so mütterlich, dass er sie symbolisch nähren kann.
„Wenn ich keine Lust mehr habe, fahre ich nach Hause“, sagt Jin zum Abschied. Sie sei doch ein freier Mensch. Mutigen Gourmets seien zum Abschluss noch die kleinen Tintenfische, Sebal Nak Tsi, empfohlen. Sie werden lebendig gegessen, und damit sie sich nicht festsaugen in Sesamöl und Salz getunkt. Sonst droht Erstickungstod.
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