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Brasilien bricht erstmals Arznei-Patent

Mit der Zwangslizenzierung eines Anti-Aids-Medikamentes will Brasilien HIV-Patienten besser behandeln. Betroffen ist der US-Pharmakonzern Mercks Sharp & Dohme. Die US-Regierung zeigt sich enttäuscht, Aktivisten drängen auf weitere Patentbrüche

AUS PORTO ALEGRE GERHARD DILGER

Brasilien hat zum ersten Mal das Patent eines Anti-Aids-Medikaments gebrochen. Präsident Luiz Inácio Lula da Silva unterzeichnete am vergangenen Freitag ein Dekret, wonach das Arzneimittel Stocrin des US-Konzerns Merck Sharp & Dohme mit dem Wirkstoff Efavirenz künftig durch ein Nachahmerpräparat ersetzt werden kann. Zunächst werde Brasilien antiretrovirale Generika aus Indien importieren, sagte Gesundheitsminister José Gomes Temporão, der Efavirenz zuvor zum „Medikament von öffentlichem Interesse“ erklärt hatte.

Die indischen Generika werden umgerechnet 44 US-Cent pro Kapsel kosten, der US-Multi erhält eine Abgabe von 1,5 Prozent. Dies bedeute eine Ersparnis von 237 Millionen Dollar bis 2012, so Temporão. Das letzte Angebot von Merck, den Preis von Efavirenz von den bisher berechneten 1,59 Dollar auf umgerechnet 1,10 Dollar pro Kapsel zu reduzieren, hatte die Regierung als ungenügend zurückgewiesen.

Lula bezeichnete die Preispolitik Mercks als „Respektlosigkeit“ gegenüber brasilianischen Aids-Kranken und sagte, künftig könnten auch andere Medikamente zwangslizenziert werden. Thailand, das im November 2006 das Patent von Efavirenz und 2007 von zwei weiteren Arzneien gebrochen hatte, wird bereits von dem Pharmakonzern Abbott und der US-Regierung unter Druck gesetzt. Malaysia, Indonesien und Mosambik haben ebenfalls antiretrovirale Medikamente zwangslizenziert.

Ebenso wie Merck zeigte sich die US-Außenhandelsvertretung „enttäuscht“ darüber, dass es zwischen der Regierung Lula und dem Multi zu keiner Einigung gekommen sei. Ein Sprecher der US-Handelskammer sagte, der Patentbruch sei „ein großer Schritt rückwärts“ und werde Investoren verschrecken.

Brasilien sei zu dieser so genannten Zwangslizenzierung berechtigt, erklärte hingegen die Weltgesundheitsorganisation in Genf. „Seit 2001 drängen wir auf diese Maßnahme“, sagte Mário Scheffer von der Nichtregierungsorganisation Pela Vidda in São Paulo. „Wir bleiben wachsam, damit bald mehr Generika in Brasilien hergestellt und Patente nicht nur von Medikamenten gegen Aids, sondern auch von solchen gegen Krebs und Hepatitis C gebrochen werden“, kündigte der Aktivist an.

Brasilien garantiert rund 200.000 HIV-Infizierten eine kostenlose Behandlung. Im Rahmen eines von der UNO als vorbildlich bezeichneten Programms erhalten die Patienten einen „Anti-Aids-Cocktail“ aus bis zu 17 Medikamenten, von denen 8 im Lande selbst hergestellt werden. 75.000 Menschen sollen bis Ende des Jahres mit Efavirenz versorgt werden, dem bislang teuersten Anti-Aids-Präparat.

In der Vergangenheit hatte Brasilien immer wieder mit Patentbruch gedroht. Daraufhin senkten 2001 Roche und 2006 Abbott die Preise für Anti-Aids-Medikamente deutlich. Seit 1999 sind deswegen die Behandlungskosten pro Aids-Patient um mehr als die Hälfte gefallen. Mit der Anzahl der Begünstigten stiegen jedoch die Gesamtausgaben für antiretrovirale Medikamente auf zuletzt 495 Millionen Dollar im Jahr 2005. Patentbrüche und der Rückgriff auf preiswerte Generika sind durch einen Beschluss der Welthandelsorganisation vom 2001 in Doha in Fällen „öffentlichen Interesses“ oder eines „nationalen Gesundheitsnotstands“ ausdrücklich gedeckt.

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