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Abstrakte Terrorgefahr für Deutschland

Das Bundeskriminalamt soll laut einem Zeitungsbericht vor einer erhöhten Terrorgefahr gewarnt haben. Das Innenministerium von Wolfgang Schäuble bestreitet das und stellt stattdessen nach islamistischen Drohvideos eine „abstrakte Gefährdung“ fest

AUS BERLIN KATHARINA KOUFEN

Das Innenministerium hat die Behauptung relativiert, das Bundeskriminalamt rate dazu, die Terrorgefahr höher einzuschätzen. „Es gibt keine Empfehlung des BKA, die Gefährdungseinschätzung heraufzusetzen und es gibt keine konkreten Anschlagshinweise“, sagte ein Sprecher des Ministerium gestern. Die „abstrakte Gefährdung Deutschlands“ sei aber weiter angestiegen. Die Financial Times Deutschland hatte berichtet, die Terrorgefahr in Deutschland sei nach BKA-Einschätzung so hoch wie seit Jahren nicht mehr.

Hintergrund der derzeitigen Terrorangst sind Drohungen, die per Videoaufzeichnung im Internet verbreitet werden. Die „Stimme des Kalifats“, eine mutmaßliche Unterorganisation des Terrornetzwerks al-Qaida, fordert darin einen vollständigen Abzug der deutschen Truppen aus Afghanistan und droht mit Terroranschlägen. Hinzu kommt: Mittlerweile gilt als sicher, dass die beiden Deutschen Hannelore und Sinan Krause am 6. Februar in Bagdad aus politischen Gründen entführt worden sind. Die Terroristen haben ein Ultimatum gestellt. Ihre Forderungen decken sich mit denen der „Stimme des Kalifats“: Wenn Deutschland bis zum nächsten Dienstag nicht mit dem Abzug seiner Soldaten aus Afghanistan begonnen hat, drohen die Entführer mit der Ermordung der Geiseln.

Das Drohvideo interpretieren die Experten des Bundeskriminalamts laut Financial Times Deutschland als eine direkte Warnung an Deutschland. Vom Grad der Gefährdung her liege Deutschland inzwischen in der Nähe der USA, Großbritanniens und Israels.

„Das Neue an dem Video ist, dass es sich direkt an die deutsche Bevölkerung richtet“, erklärt der Berliner Terrorismusexperte Berndt Georg Thamm. „Das lässt darauf schließen, dass es eine gut funktionierende Kommunikation zwischen Unterstützern der Islamisten in Deutschland und den Kämpfern im Nahen Osten gibt.“

Für eine erhöhte Terrorgefahr spricht nach Einschätzung von Experten auch, dass frühere Anschläge ebenfalls im Internet angekündigt wurden. Joachim Kraus, Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik in Kiel, verwies im MDR auf Parallelen zu den Anschlägen von Madrid 2004. Wenn man diese sehe, werde einem „mulmig“. Der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft, Konrad Freiberg, erinnerte gestern bei N 24 daran, dass bereits in sechs Fällen Anschläge verhindert worden seien. FDP-Sicherheitsexperte Max Stadler sagte der taz, problematisch sei die personelle Ausstattung der Polizei. Sie sei nicht in der Lage, „alle Verdächtigen, die auffällig geworden sind, zu überwachen“.

Scharf kritisierte Stadler die Universität München. Sie hatte ihre Mitarbeiter in einer E-Mail aufgefordert, islamistische Studenten und Kollegen unverzüglich zu melden. „Die Universität ist ein Ort des freien Lernens. Wir dürfen keine Stätte des Misstrauens aus ihr machen.“ Dem designierten bayrischen Ministerpräsidenten Günther Beckstein, der die E-Mail verteidigt hatte, riet er: „Er soll sich zurücknehmen.“

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