: Ein längerer Ausflug
Die Bienen sind weg, ihre Stöcke leer. Was steckt hinter dem geheimnisvollen Verschwinden der Tiere? Und was bedeutet es für den Menschen?
Um der Ursache dessen auf die Spur zu kommen, was Forscher „Colony Collapse Disorder“ nennen, verfolgt die CCD-Arbeitsgruppe von der Universität Pennsylvania derzeit die unterschiedlichsten Spuren (sowie deren Wechselwirkungen) – mit einer Gründlichkeit, über die „jeder deutsche Kassenpatient“ froh wäre, wie Bienenforscher Peter Rosenkranz von der Universität Hohenheim der Zeit sagte. Störungen durch gentechnisch manipulierte Pflanzen oder die elektromagnetische Strahlung von Mobilfunk-Sendestationen konnten so bereits weitgehend ausgeschlossen werden. Die wichtigsten Forschungsbereiche umfassen: 1. chemische Rückstände im Wachs, in den Vorräten und in den Körpern der Bienen selbst 2. bekannte oder unbekannte Krankheitserreger der Bienen oder ihrer Brut 3. Parasiten der Brut oder der ausgewachsenen Bienen (wie etwa die Varroa-Milbe und die von ihr übertragenen Krankheiten) 4. nahrungsbedingte Mangelerscheinungen durch einseitige Fütterung 5. Stress-Symptome in kritischer Konzentration, worauf bestimmte Stress-induzierte Proteine hinweisen 6. vererbte Immunschwäche aus Mangel an genetischer Vielfalt. Beim aktuellen Erkenntnisstand wird angenommen, dass eine kritische Kombination dieser Gründe zum Verschwinden der Bienen führt bzw. dazu, dass ihr Immunsystem den Belastungen nicht mehr gewachsen ist (Bienen-Aids). Verdächtig ist hier vor allem die Varroa-Milbe im Verein mit Pilzen, Viren und Bakterien. FRA
VON ARNO FRANK
Die gute Nachricht ist, dass offenbar die Hirschkäfer wiederkommen. Schön für die Hirschkäfer und alle, die dicke Brummer mögen. Schlecht für den Menschen allerdings ist die Nachricht, dass die Bienen verschwinden.
Allein in der Schweiz sind im letzten Winter 3.000 Völkerschaften ausgeflogen und nie in den Stock zurückgekehrt. Das sind rund 500 Millionen Tiere, einfach weg. In den USA ist es besonders schlimm, dort sind zuletzt bis zu 70 Prozent aller Bienenkolonien kollabiert. Woran genau das liegt, darüber zerbricht man sich derzeit vor allem an der Universität von Pennsylvania den Kopf, wo eine Arbeitsgruppe zur „Colony Collapse Disorder“ (CCD) gegründet worden ist.
Den Begriff „Disorder“, also „Störung“, verwenden Wissenschaftler nur ungern – wenn sie nämlich weitgehend im Dunkeln tappen. Denn so dramatisch die Verluste sind, so katastrophal die Folgen auch sein könnten, so wenig ist es bisher gelungen, einen einzelnen Grund für das rätselhafte Schwächeln dieser hochkomplexen Ökosysteme zu finden. Was daran liegen könnte, dass es mehrere Gründe gibt.
Als 1901 der belgische Literaturnobelpreisträger Maurice Maeterlinck seine Serie naturphilosophischer Betrachtungen begann, da genügten ihm für „Das Leben der Bienen“ noch ganze sieben Kapitel. Es ist ein wunderbares Buch, in dem Maeterlinck sein Publikum zum fröhlichen „Schwärmen“ der Tiere mitnimmt, ihrer feierlichen „Stadtgründung“ beiwohnt oder „Die jungen Königinnen“ auf ihrem „Hochzeitsausflug“ begleitet. Geschildert wird auch eine apokalyptische „Drohnenschlacht“ zweier Kolonien, bevor Maeterlinck sich schließlich bewundernd dem „Fortschritt der Art“ zuwendet, die sich als staatlich organisierter Superorganismus seit unvordenklichen Zeiten auf der Erde behauptet hat.
Seit etwa 100 Millionen Jahren bestäubten die Bienen unermüdlich Blüte um Blüte, das älteste bekannte Exemplar wurde als Bernsteinfossil in Birma entdeckt. Naturkatastrophen hat diese Spezies immer locker weggesteckt, nicht einmal der Mensch konnte ihr bisher etwas anhaben. Mit der Bienenzucht begannen vor bald 2.000 Jahren die Ägypter, das Sammeln von wildem Honig ist noch ein wenig älter. Die erste Abbildung einer Begegnung von Menschen- und Bienenvolk ist eine vermutlich fast 8.000 Jahre alte Felsmalerei in Cuevas de Araña bei Bicorp, Valencia.
Wie flexibel und routiniert moderne Bienen auf Gefahren reagieren, ist in dem kleinen Örtchen Benidoleig zu beobachten, nur wenige Kilometer von der prähistorischen Höhle entfernt. Im Stock der Wildbienen, die sich im Kirchturm eingenistet haben, gibt es offenbar Probleme. Große Probleme. Seit Wochen ist der Marktplatz vor der Kirche übersät mit verendeten Tieren. Und seit einigen Tagen zählt Juan Gonzales, Pensionär und wie so viele Pensionäre passionierter Imker, immer mehr Kundschafterinnen: „Sie schwärmen aus, um einen neuen Stock zu suchen. Vielleicht ist die Wachsmotte eingedrungen, ein typischer Schädling. Oder die Milbe“, sagt Gonzales und meint die Varroa-Milbe, die erst 1977 mit einer Ladung asiatischer Versuchsbienen nach Genf eingeschleppt worden ist und sich seitdem über ganz Europa verbreitet hat.
„Varroa destructor“, so ihr lateinischer Name, befällt sowohl die Brut als auch erwachsene Bienen, die ihr als Wirt dienen. Wäre sie ein Parasit des Menschen, hätte sie die Größe eines Kaninchens. Imker fürchten sie, Wildbienen gehen ihr aus dem Weg – und Forscher vermuten, dass die von diesen Parasiten übertragenen Viren und Bakterien ihren Teil zur Verbreitung von CCD beitragen könnten.
Später, an einem schwülen Nachmittag, geht alles ganz schnell. Erst ist es eine schwarze Wolke, die über der Kirche aufsteigt, dann scheint der ganze Himmel vor ausschwärmenden Bienen zu vibrieren. Eine halbe Stunde danach ist das Naturereignis vorbei und das ganze Volk komplett in seine neue Wohnung umgezogen, den Dachstuhl eines verfallenden Hauses am Dorfrand. Gonzales hat das vorhergesehen: „Wildbienen sind harte Jungs“, sagt er, und dass er sich viel mehr um seine domestizierten Völker sorgt. Und um die Zunft der Imker als solcher, die ihrerseits im Aussterben begriffen ist.
Für das Bienensterben gibt es viele Namen, etwa „fall dwindle disease“ oder „Bienen-Aids“ – und sie alle kommen aus den USA, wo es wegen jahrzehntelanger Flurbereinigung und intensiven Einsatzes von Pestiziden so gut wie gar keine wilden Bienen mehr gibt. Umso mehr haben dort Großimker zu tun, die ihre riesenhaften Monokulturen per Truck durchs Land spedieren, um für bis zu 150 Dollar pro Tag professionell Mandelblüten in Kalifornien oder Erdbeerfelder in Texas zu bestäuben. Um Honig geht es hier gar nicht. Aber um eine Bestäubungsindustrie, deren Schwächung nicht nur der monokulturell ausgerichteten US-Landwirtschaft existenzbedrohende Probleme bescheren würde.
In diesem Milieu ist denn auch erstmals aufgefallen, dass die Bienen nicht einer der üblichen Krankheiten – wie etwa „Faulbrut“ – oder der Invasion eines Parasiten zum Opfer gefallen sein können. Entvölkerte Bienenstöcke sind keine Seltenheit, aber zu speziell sind die Symptome, wie sie ein Papier der „CCD“-Arbeitsgruppe schildert: In einem frühen Stadium von CCD fehlt es zunächst an Arbeiterinnen, um die Brut zu pflegen; es fällt auf, dass der Anteil älterer Bienen an der Population schwindet; die Tiere verschmähen Zuckersirup und andere Leckereien, mit denen Imker ihre Völker gerne hochpäppeln; die Königin ist anwesend, sieht gesund aus und legt weiter Eier, als wäre nichts geschehen. Das Endstadium dann erinnert an Szenarien, wie sie sich in einer von der Pest befallenen mittelalterlichen Stadt zugetragen haben mögen: Die Kolonie ist wie leer gefegt, der Nachwuchs trotz ausreichender Vorräte (Honig oder Pollen) am Verhungern; die letzten Überlebenden scharen sich um die Königin, und selbst die üblichen Nesträuber und Plünderer (Käfer oder Milben) meiden den Ort des Geschehens auffällig lange, bevor sie eindringen. Tote findet man in einem solchen Staat kaum. Sie alle haben offenbar, wie es sich für kranke Bienen gehört, zum Sterben die Kolonie verlassen.
Fast 80 Prozent unserer Nahrungsmittel sind, vom Honig bis zum pflanzlichen Viehfutter, direkt oder indirekt vom Wirken der Bienen abhängig. Trotzdem hat Albert Einstein seinen vielzitierten Satz, wenn die Bienen stürben, dann hätten „die Menschen noch vier Jahre zu leben“, niemals gesagt. Dass es aber zur befürchteten „Bestäubungskrise“ bis jetzt noch nicht gekommen ist, will wenig heißen.
Solange nicht erforscht ist, was hinter CCD stecken könnte (siehe Kasten), sollte dem Menschen das Wohlergehen seiner Nutztierchen besonders am Herzen liegen. Es gibt Fortschritte: Erst neulich hat das Verwaltungsgericht Augsburg den Betreiber eines Ackers mit transgenem Mais dazu verdonnert, seine Pflanzen vor der Blüte zu ernten – um eine Verunreinigung nahbei siedelnder Bienenvölker mit transgenem Maispollen zu vermeiden.
Maurice Maeterlinck hätte sich darüber gefreut, notierte er doch in seinem Bienenbuch: „Der Mensch hat das Vermögen, sich den Naturgesetzen nicht zu fügen. Ob es Recht oder Unrecht ist, von diesem Vermögen Gebrauch zu machen: das ist der wichtigste, aber auch der unaufgeklärteste Punkt unserer Moral.“ Das ist er heute, 106 Jahre später, offenbar noch immer.
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