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„Lebenslängliche Folter“

Rüdiger Nehberg über Genitalverstümmelung

Rüdiger Nehberg

76, Abenteurer und Menschenrechtler, Mitbegründer der NGO Target, die gegen Genitalverstümmelung kämpft.Foto: dpa

taz: Herr Nehberg, wie reagiert die muslimische Glaubensgemeinde auf ihr „Goldenes Buch“ über das Verbot von Genitalverstümmelung im Namen der Religion?

Rüdiger Nehberg: Viele küssen das Goldene Buch. Aber das Buch gut finden und daraus predigen – dazwischen liegen Welten. Es ist immer schwer, einen ersten Prediger zu finden, der den Bann bricht. Dann ziehen die anderen nach.

Was für ein Bann?

Die Peinlichkeit, über den Unterleib der Frau zu sprechen. Scham und uraltes Tabu sind oft größer als der Verstand. Für die Frauen bedeutet eine Beschneidung lebenslängliche Folter und auch die Männer empfinden keinerlei eheliches Glück.

Heute tragen sie bei einem Freitagsgebet in der Centrum-Moschee vor. Wie stark binden Sie die muslimische Gemeinde ein?

90 Prozent der Verstümmelungen werden an muslimischen Frauen verübt. Den Brauch zum Verbrechen erklären können nur die Glaubensführer des Islam. Ich bin lediglich Botschafter.

Der Brauch wird mit Vorurteilen über die Hygiene der Frau begründet – ist dieses Denken aus der Kultur herauszuholen?

Die Völker, in denen Genitalverstümmelung üblich ist, dachten 5.000 Jahre, der Körper sei unbeschnitten sündig, ziehe Insekten an und die Schamlippen könnten bis zu den Knien wuchern. Die Imame müssen ihnen glaubhaft versichern, dass es im Koran keine Rechtfertigung dafür gibt und Beschneiden die Sünde ist.

Wie groß ist die Gefahr für Migrantentöchter, verstümmelt zu werden?

Groß, denn es besteht die Gefahr, dass der Druck der Familie größer ist als das deutsche Gesetz oder die eigene Vernunft und die Töchter im Heimaturlaub verstümmelt werden.INTERVIEW:VIP

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