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Mit Rammbock auf Hausbesuch

Gestern durchsuchte die Bundesanwaltschaft wieder Wohnungen, dieses Mal in Berlin. Karlsruhe begründet dies mit einem Terrorverdacht gegen Linksextremisten

„Das Vorgehen der Polizei war völlig unverhältnismäßig. Wir prüfen eine Klage“

BERLIN taz ■ Als es um acht Uhr morgens unten an der Haustür kracht, schreckt Freke Schmidt* aus seinem Bett hoch. Er läuft zu seiner Wohnungstür, um nachzusehen, was passiert ist, da fliegt sie ihm schon entgegen. Polizisten haben sie eingetreten, stürmen mit gezogener Waffe in die Wohnung und drücken ihn auf den Boden. Schmidts Mitbewohner ergeht es ebenso. Beamte schrauben die Festplatten der Computer heraus, sammeln CDs und USB-Sticks ein und verladen die Datenträger in ihre Autos.

Die Wohngemeinschaft im Berliner Stadtteil Kreuzberg war eines von vier Objekten, welche die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe gestern durchsuchen ließ. „Die Durchsuchungen erfolgten auf Grundlage des Paragrafen 129 a“, sagte Petra Kneuer, Sprecherin der Bundesanwaltschaft, gestern der taz. Karlsruhe ermittle wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung und habe gestern „ausschließlich in Berlin derartige Maßnahmen vornehmen lassen.“

Wo genau durchsucht wurde, wollte Kneuer nicht sagen. Schmidt, der seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will, sagte der taz, neben seiner Wohngemeinschaft in Kreuzberg sei auch die Wohnung seiner Freundin durchsucht worden: „Laut Polizei gilt sie als Zeugin.“

Die Bundesanwaltschaft ermittelt nach eigenen Angaben wegen drei Brandanschlägen in Berlin und in den schleswig-holsteinischen Orten Bad Oldesloe und Glinde aus den Jahren 2002, 2004 und 2006. Dabei waren unter anderem Fahrzeuge der Bundeswehr angezündet worden.

Wegen der drei Brandanschläge hatte die Bundesanwaltschaft bereits Mitte der vergangenen Woche elf Objekte in Schleswig-Holstein und Hamburg durchsuchen lassen. Laut Sprecherin Kneuer richten sich die Razzien in Berlin und Norddeutschland gegen eine „militante linksextremistische Gruppierung, welche bisher unter verschiedenen Namen aufgetreten ist: so zum Beispiel AK Origami und Internationalistische Zellen.“

In Berlin waren sowohl Polizisten aus dem Landeskriminalamt der Hauptstadt als auch aus dem LKA Schleswig-Holstein im Einsatz. „Bisher gehen wir von elf Beschuldigten aus, zwei davon in Berlin“, sagte Kneuer, „es ging uns hier aber nicht um Verhaftungen, sondern darum, Beweismaterial sicherzustellen.“ Festnahmen habe es deshalb nicht gegeben.

Dennoch seien insbesondere die Berliner Polizisten mit brutaler Gewalt gegen ihn vorgegangen, erzählt Schmidt: „Sie haben mich mit einem Schild auf den Boden gedrückt, meine Arme nach hinten gerissen und mir Handschellen angelegt.“ In seiner Wohnungstür ist zudem ein Loch von der Größe eines Basketballs – wahrscheinlich von der Ramme der Polizei. Die Beamten haben offenbar erst das Loch in die Tür geschlagen, um dann hindurchzugreifen und von innen zu öffnen. Rechtsanwalt Stephan Schrage hält das Vorgehen der Polizisten gegen seinen Mandanten „für völlig unverhältnismäßig.“ Er werde prüfen, „ob wir dagegen rechtlich vorgehen können.“

Für Schrages Mandanten, der gestern sichtlich geschockt von der Polizeiaktion war, ist es laut eigener Aussage allerdings nicht die erste Hausdurchsuchung. Dreimal sei die Polizei in den vergangenen Jahren schon bei ihm gewesen. Außerdem habe es bereits zwei Verfahren gegen ihn gegeben: „Einmal wegen angeblichen schweren Landfriedensbruchs, und einmal wurde mir Widerstand gegen die Staatsgewalt vorgeworfen.“ Er sei allerdings beide Male freigesprochen worden.

Bisher bestreitet die Bundesanwaltschaft jeglichen Zusammenhang der gestrigen Durchsuchung mit den Protesten beim G-8-Gipfel in Heiligendamm und der Großrazzia in Berlin, Bremen und Hamburg kurz vor dem Gipfel. Diese waren von Karlsruhe ebenfalls mit einem Terrorverdacht begründet worden. „Die Maßnahmen vom Dienstag haben mit denen vom 9. Mai dieses Jahres nichts zu tun“, sagte Kneuer, „die Auswertung der Ergebnisse der Ermittlungen im Mai ist noch immer nicht abgeschlossen.“

CATALIN CAGIU, DANIEL SCHULZ

*Name geändert, er ist der Redaktion bekannt

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