: Putins reale Traumlandschaften
RUSSLAND Die Krim wurde annektiert, Separatisten werden in der Ostukraine genauso unterstützt wie in den zu Georgien gehörenden Regionen Abchasien und Südossetien. Auch in Armenien und Aserbaidschan ist russisches Militär aktiv. Offensichtlich arbeitet Moskau an der Wiederherstellung seiner Hegemonie
AUS MOSKAU KLAUS-HELGE DONATH
Als Wladimir Putin 2005 bekannte, dass er den Niedergang der Sowjetunion für die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts halte, nahm dies niemand ernst. Umso größer war die Verwunderung, als sich hinter der sentimentalen Erinnerung an die eigene Größe über Nacht ein Politik bestimmendes Konzept herausschälte, das die Blaupause für die Umsetzung neoimperialer Träume liefert.
In der Ukraine fügt Moskau nach der Annektion der Krim mit den „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk den „eingefrorenen Konflikten“ im postsowjetischen Raum zwei neue hinzu. Über kurz oder lang könnten beide von Russland den Segen eines souveränen Staates erhalten. Die internationale Anerkennung wird ihnen zwar verwehrt werden – aber darauf legt der Kreml auch keinen Wert. Wichtig ist, dass die Gebiete jederzeit als Quellen der Destabilisierung reaktivierbar bleiben, um eigenen Interessen Nachdruck zu verleihen oder die internationale Gemeinschaft einzuschüchtern.
Die besten Beispiele dafür sind die Separatistengebiete Abchasien und Südossetien in Georgien. Nachdem sich beide Regionen Anfang der 1990er nach ethnischen Konflikten von Tiflis losgesagt hatten, verlieh ihnen Moskau 2008 nach einem Blitzkrieg die Staatlichkeit. Der Unabhängigkeitserklärung war ein törichter Fehler des georgischen Expräsidenten Michail Saakaschwili vorausgegangen: Er ließ sich durch eine Provokation dazu verleiten, auf russische Blauhelme an der Grenze zu Südossetien das Feuer zu eröffnen.
Seitdem stellt sich Moskau als Opfer dar – und leitet daraus die Berechtigung ab, seine Militärpräsenz in Südossetien massiv zu verstärken. Kontakte zwischen den Bewohnern beiderseits der Grenze werden von einem Grenzzaun verhindert. Vergangene Woche unterschrieben Abchasien und Russland ein „Abkommen über Beistand und strategische Partnerschaft“, das im Laufe der nächsten drei Jahre eine Harmonisierung der Bereiche innere und äußere Sicherheit vorsieht. Nicht nur in Georgien sehen Kritiker dahinter eine schleichende Einverleibung der Republik – dabei wollen die Abchasen im Gegensatz zu den Südosseten selbstständig bleiben.
Im Sommer wurde Präsident Alexander Ankwab zum Rücktritt genötigt. Er hatte das Abkommen nicht unterzeichnen wollen. Mit Raul Chadschimba übernahm ein früherer KGB-Geheimdienstler das Präsidentenamt. Die militärische Präsenz an der Grenze zu Georgien wird Russland weiter ausbauen. Mindestens 5.000 Soldaten waren bislang in der Schwarzmeerrepublik stationiert.
Auch in Armenien stehen russische Soldaten. Die Republik im Südkaukasus trat 2013 nach erheblichem Druck aus dem Kreml vom EU-Assoziierungsabkommen zurück. Im Gegenzug versprach Moskau weitreichende Sicherheitsgarantien und die Modernisierung der Armee. Für Jeriwan ist Russland ein strategischer Partner. Gleichwohl taten sich auch hier in letzter Zeit Unstimmigkeiten auf.
Anlass ist der Konflikt mit dem Nachbarstaat Aserbaidschan um die Exklave Berg-Karabach, die Armenien für sich beansprucht. Nach einem Krieg in den 1990ern erklärte sich Karabach für unabhängig, wurde aber von keinem Staat anerkannt. Im November schossen Azeris einen Hubschrauber mit einer russischen Rakete ab. Die Armenier waren schockiert: Verkauft ihr strategische Partner auch der Gegenseite Waffen? Der Karabach-Konflikt kann jederzeit wieder aktiviert werden.
In Armenien wachsen Zweifel, ob die Sicherheitsgarantien der Eurasischen Wirtschaftsunion (Eurawu) für Karabach überhaupt gelten. Die Union ist ein weiterer Versuch Moskaus, frühere Satelliten wieder an sich zu binden. Neben Russland gehören ihr Weißrussland, Armenien und Kasachstan an. Der Kreml hält das Gebilde allerdings erst für lebensfähig, wenn auch die Ukraine dazustoßen würde.
Nach außen stellt der Kreml die Eurawu als einen rein wirtschaftlichen Verbund dar. Tatsächlich geht es Moskau aber um die Rückeroberung der Hegemonie auch in Zentralasien. Ende August reagierte Kasachstans Präsident Nursultan Nasarbajew erbost auf diesen Führungsanspruch: Sollte die Souveränität seines Landes gefährdet sein, habe Kasachstan jederzeit das Recht, sich zurückzuziehen.
Putin konterte umgehend: Kasachstan sei ein künstliches und fragiles Gebilde, das besser in der „russischen Welt“ verbleibe. Tage später fanden russische Manöver an der kasachischen Grenze statt.
Die Eurasische Union ist mehr als ein Wirtschaftsverbund, sie ist als Gegenentwurf zur westlichen Zivilisation gedacht. Intellektuelle aus dem rotbraunen Milieu wie Alexander Dugin entwerfen seit Jahren eine eurasische Lebenswelt, deren Fundamente auf der Ablehnung des Westens beruhen.
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