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Die Berliner sind alle im Urlaub. Die Stadt ist dennoch voll. Touristen aus aller Welt flanieren durch die City, stauen sich vor den Museen, sitzen in den Cafés. Die taz hat deshalb nachgefragt: Hält Berlin denn, was es verspricht?

Catherine Musnier (42) und Familie, Frankreich: „Wir sind nach Berlin gekommen, um unseren Kindern eine der dynamischsten Hauptstädte Europas zu zeigen. Außerdem lernt unsere Tochter seit diesem Jahr Deutsch. Auch ich wollte mal das, was ich in Schulbüchern und Romanen über Deutschland gelernt habe, mit der Wirklichkeit vergleichen. Vom 100er-Bus aus ist Berlin tatsächlich so groß, vor allem die Straßen. Und die Gebäude wirken wie hingewürfelt. Den Checkpoint Charlie kennen mein Mann und ich noch aus alten Spionagefilmen, die Wirklichkeit ist leider nicht mehr so spannend. Man braucht viel Fantasie, um hier an der Zimmerstraße diese Grenzatmosphäre zu spüren. Aber wir geben uns Mühe. API

Giulio Tosato (22), Italien: „Wir sind eine Woche hier und zu elft unterwegs, alle Studenten. Ich studiere Forstwirtschaft, aber auch Sinologen und Juristen sind dabei. Ich habe viel Grün erwartet, moderne Architektur und effiziente öffentliche Verkehrsmittel. Und alles ist genau so, wie ich erwartet habe. Heute haben wir uns Fahrräder geliehen und wollen an der ehemaligen Mauer entlangfahren. Und jetzt muss ich los: Es gibt noch so viel zu sehen, die Zeit ist knapp, das macht mich nervös!“ API

Ana Soto (22), Spanien: „Ich bin mit meiner Familie unterwegs. Wir haben eine einwöchige Deutschlandtour gebucht: Eben waren wir in München, das war ein bisschen traurig. Deutschland ist überhaupt traurig, auch Berlin: Die Straßen sind groß, aber es sind kaum Leute unterwegs, besonders nachts. In Spanien ist das ganz anders. An Berlin interessieren uns die Mauer, die Spuren des Zweiten Weltkriegs und die moderne Architektur. Die Topografie des Terrors und den Checkpoint Charlie haben wir schon gesehen. API

Alla Obolevica (44), aus Lettland (Foto Mitte): „Ich bin schon zum siebten Mal in Berlin, ich habe hier Freunde. Ich werde vier, fünf Tage bleiben, rein privat. Das ist keine Geschäftsreise. Es ist sehr angenehm hier. Warum? Meine Freunde sind einfach wunderbar. Wir haben den Ku’damm besichtigt, das Sony Center, das KaDeWe und den Fernsehturm. Jetzt machen wir Pause und haben uns hier in den Galeries Lafayette einen Tisch gesucht. Danach wollen wir zum Sowjetischen Ehrenmal gehen auf der Straße des 17. Juni. In Berlin ist es schön, aber wohnen könnte ich hier nicht. Es geht nicht, ich habe ein sehr gut laufendes Geschäft in Lettland. Einen Verlag, wir geben 10 Zeitschriften heraus. Das würde in Berlin niemals laufen.“ ALE

Louise Bergöö (24), Schweden: „Berlin ist toll. Obwohl es die Hauptstadt von Deutschland ist, ist alles so billig, das Essen, die Unterkunft. Ich wohne in Malmö, und obwohl es eine sehr kleine Stadt ist, ist dort alles viel teurer. Große Erwartungen an Berlin habe ich nicht. Neben normalen Attraktionen wie Reichstagskuppel will ich mit meinem Freund auf jeden Fall noch nach Friedrichshain und Prenzlauer Berg. Dort soll es ja die vielen Cafés und Kneipen geben. Mein Freund kommt aus Zürich und ist letztes Jahr schon mal hier gewesen. Er hat geschwärmt, wie toll hier alles ist und wie billig. Nach dem, was ich bisher gesehen habe, muss ich ihm auf jeden Fall recht geben. FLEE

Peter Macsorley, Duncan Young (beide 21), Nordirland: „Direkt von Dublin nach Dänemark zu fliegen war uns zu teuer. Deshalb haben wir einen Billigflug mit EasyJet nach Berlin genommen und machen drei Tage Zwischenstopp. Wir sind sofort zum Holocaust-Mahnmahl gefahren. Ihr habt wirklich ein fantastisches Verkehrssystem. Vielleicht gehen wir noch zum Reichstag. Dann wollen wir ins Hostel zurückkehren und uns fit machen für die Nacht. Berliner Nächte sind echt aufregend, viel besser als in jeder anderen Stadt. Vor Jahren war ich schon mal in diesem Club – mit viel Graffiti und Kunst, wie hieß er? Genau, Tacheles. Danke, ihr Berliner seid so hilfsbereit. ALE

Jessy, Jannell, Ron, Ashley, Jeff, Delores Hawkins, USA: „Wir sind zum ersten Mal in Berlin, aber nicht zum letzten Mal. Wenn wir im Fernsehen Sendungen über die Stadt gesehen haben, sagten wir uns immer: Da wollen wir mal hin. Es ist großartig hier, so sauber. Bei uns fliegt überall Papier rum. Und die Menschen sind einfach freundlich. Es gibt viel weniger Gewalt. Wissen Sie, wenn Sie uns in Cincinnati so auf der Straße angesprochen hätten, dann hätten wir gedacht, sie wollen Geld von uns oder uns betrügen. Wir hätten gar nicht mit Ihnen geredet. Hier kann man viel ruhiger sein. Faszinierend ist auch, dass so viel Menschen mit dem Fahrrad unterwegs sind. Bei uns muss jeder ein Auto haben. Wir kommen gerade vom Reichstag. Wir werden alles besichtigen, alles. Möglichst viele Museen. Uns interessieren Geschichte, die Hitlerzeit und die Mauer. Ach, und wie kommen wir zum Kennedy-Museum? ALE

Stelios Orfanos (26), Kreta: Ich liebe einfach Hauptstädte. Paris, Lissabon, Madrid habe ich gesehen – und nun Berlin. Ich habe immer gedacht, Berlin sei eine reiche Stadt. Aber es ist viel ärmer. Seit 5 Monaten wohne ich in der Stadt. Ich lerne Deutsch, weil ich eine Stelle als Assistenzarzt suche. Heute führe ich Freunde herum: Im Charlottenburger Schloss waren wir und in Potsdam. Am meisten haben mich der Alexanderplatz und die Berliner Mauer fasziniert: Berlin hat so eine traurige Geschichte. Mich erstaunt, wie viel Bier die Menschen hier trinken. Es gibt viele, die schon vormittags mit Flaschen umherlaufen. Und: Alle Fußgänger bleiben an der Ampel stehen und warten auf Grün. Lustig. ALE

Bian Xiao (26), China: „Ich bin erst seit einigen Stunden hier und finde die Stadt schon jetzt total super. Wir waren am Brandenburger Tor, am Ku’damm, Hotel Adlon und am Potsdamer Platz. Ich bin mit einer Gruppe von Architekturstudenten unterwegs. Manchmal finde ich es ganz schön anstrengend. Wir steigen aus dem Bus, machen Fotos und fahren weiter. Der Potsdamer Platz hat mich allerdings nicht so beeindruckt. Auch der Hauptbahnhof nicht. Da kennen wir in Schanghai viel beeindruckendere Gebäude. Acht Tage sind wir in Deutschland unterwegs. Wir fahren noch nach Hamburg, Heidelberg, München und Köln. Eins ist mir schon jetzt aufgefallen: Es sind so wenige Menschen auf der Straße.“ FLEE

Giacomo Sardi (56), Italien: „Seit vier Tagen bin ich nun schon hier und bleibe nur noch zwei Tage. Ich bin mit einem akademischen Austausch nach Berlin gekommen. Das Interesse an der Kunst, den Museen und Galerien hat mich hierher geführt. Ich war schon im Pergamonmuseum, dem Ägyptischen und bei Picasso – großartig. Gestern war ich auf einem Klassikkonzert in Charlottenburg. Dort habe ich zwei jüngere Damen kennengelernt – zwei Lesben. Die beiden waren sehr nett, und wir haben uns wirklich gut unterhalten. Zum Schluss haben sie mich zu sich nach Hause eingeladen: Ich habe natürlich höflich, aber bestimmt abgelehnt. Ich muss zugeben, dass sie mir ein wenig Angst gemacht haben.“ GG

Francisco Cupello (45), Dominikanische Republik: „Nach Berlin zu reisen war die Idee meiner Frau. Sie wollte unbedingt die Hauptstadt Deutschlands kennen lernen. Vier Tage sind wir hier, bisher gefällt es mir sehr gut. Das Pergamonmuseum war toll. Gestern haben wir eine romantische Bootsfahrt gemacht, zum Glück hat es nicht geregnet. Nur die Sprache ist manchmal ein Problem: Dass die Leute Spanisch sprechen, erwarte ich ja gar nicht. Aber oft können sie auch kein Englisch, das hätte ich von einer Hauptstadt nicht erwartet. Heute werden wir einen Shopping-Tag machen, im Westen soll es eine große Einkaufsstraße geben, die man auch die „goldene Meile“ nennt. Haben Sie davon gehört?“ API

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