: Alfons geht kämpfen
SUCHE Alfons Rosenbruch ist 18 Jahre alt, als er die Ausbildung in Hamburg abbricht. Er geht nach Syrien und schließt sich dem „Islamischen Staat“ an. Alles chillig hier, schreibt er einem Freund. Dann wird er erschossen
AUS HAMBURG SEBASTIAN KEMPKENS
Halim Aziz hat sein Steak, 505 Gramm, medium rare, gerade bestellt, da setzt er zur Gegendarstellung an. Es geht um Alfons, seinen wohl besten Freund. Einer, der sich nicht mehr wehren kann, so sieht Aziz das. Also erledigt er das jetzt.
Alfons Simon Rosenbruch ist tot, gefallen in Syrien als Krieger der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS). Er starb, so wurde es Aziz erzählt, auf einem Schlachtfeld in der Wüste in Syrien, mit 19 Jahren. Seine IS-Einheit hatte einen Waffenstillstand mit einer gegnerischen Rebellentruppe geschlossen, schließlich brachen die Feinde die Feuerpause. Rosenbruch rannte über ein freies Feld, bekam einen Schuss in die Schulter. Er schoss zurück, sagt Aziz. Dann traf ihn jemand in den Kopf. So haben es IS-Kameraden nach Hamburg weitergegeben.
Sein Tod ist bis heute nicht offiziell bestätigt. Aber auf den Fotos, die später im Freundeskreis auf den Handys kursierten, sah man seine Leiche in einer Militäruniform, die Haut im Gesicht rot von der Sonne, überzogen mit Wüstenstaub und verkrustetem Blut.
Seitdem, findet Aziz, wird Alfons schlechtgemacht.
Der 19-Jährige sitzt in einem Restaurant am Hamburger Hauptbahnhof. Geschirr klirrt, Kellner hasten vorbei. Aziz, fast zwei Meter groß, trägt einen blauen Trainingsanzug, dazu ein Palästinensertuch. Er hat weiche Gesichtszüge, leichte Sommersprossen. Mal spricht er wie ein Rapper, mal sagt er: „Entschuldigung, ich wollte nicht unterbrechen.“ Halim Aziz erzählt Geschichten von früher, es sind Erinnerungen an eine Zeit, als er und Alfons Rosenbruch zusammen aufgewachsen sind. Der war damals noch einfach ein Junge aus Altona.
Die beiden gingen auf dieselbe Grundschule, seit der ersten Klasse waren sie befreundet. „Alfons und ich mussten uns nur kurz in die Augen gucken, und wir wussten, was der andere denkt“, sagt Aziz. Mit 14 klauten sie Silvesterböller im Schlecker, bekamen dafür ihre erste Anzeige. Seitdem konnten sie sich aufeinander verlassen. Jetzt, da es Alfons nicht mehr gibt, gilt das umso mehr.
Nach langem Hin und Her – Journalisten verdrehen eh alles, biegen die Wahrheit zurecht für eine Story – kommt Aziz zum Treffen. Er ist bereit zu sprechen, aber nicht unter seinem richtigen Namen. „Keine Lust auf Verfassungsschutz oder noch mehr Journalisten.“ Aziz, seit dem Abitur Tischlerlehrling, hat einen Freund mitgebracht, bullig, zurückhaltend und Student der Ingenieurwissenschaften.
Aziz fängt gleich an, sein Kumpel isst still sein Steak, nickt oft eifrig. Die Berichte über Rosenbruch im NDR und den Zeitungen: „kompletter Schwachsinn“. Dieses „ganze Gelaber“ über Jugendliche, die nach Syrien oder in den Irak gehen, all das treffe auf seinen Freund nicht zu. „Das direkt mal zu Anfang.“
Aber was für ein Junge war Alfons Rosenbruch dann? Wie muss man sein, um aus Hamburg für Allah in den Krieg zu ziehen?
Geschichten wie die von Rosenbruchs Reise in den Dschihad stehen zurzeit häufig in den Zeitungen. Etwa 550 Männer und Frauen aus Deutschland sollen sich bereits dem Dschihad des IS angeschlossen haben, allein aus Hamburg sind laut Verfassungsschutz 50 ausgereist. Soziologen und Pädagogen versuchen, die Lebensläufe dieser Leute zu erklären. Schlechter familiärer Hintergrund, Chancenlosigkeit, Sinnsuche und als Folge Radikalisierung, solche Begriffe fallen meist. Irgendwann sind junge Männer von deutschen Schulen dann bereit, für den Islam zu töten.
So war es auch bei Alfons Rosenbruch, glaubt man den Berichten: Ein Junge ohne Perspektive konvertiert mit 17 zum Islam. Er gerät in die Fänge salafistischer Prediger, reist über die Türkei nach Syrien und schließt sich dem IS an. Dann stirbt er.
Aziz jedoch protestiert gegen diese Geschichte. Zu einfach, zu viel Klischee. „Sinnsuche, so ein Schwachsinn.“ Sein Kumpel hatte alles, sagt er. Genug Geld, eine gute Familie, eine Ausbildung, Freunde.
Er hat sich halt mit dem Koran befasst. „Haben Sie sich schon mal in eine Religion vertieft?“ Danach würden viele die Welt mit anderen Augen sehen. „Alfons wollte keine Menschen töten, dafür hatte er zu viel Liebe in sich.“
Rosenbruch wuchs in Ottensen auf, einem Viertel, in dem es früher mal Probleme gab, heute vor allem Rhabarberschorle und Latte macchiato. Er verbringt eine Kindheit ohne große Sorgen. „Altona-Style: bisschen prollig, aber alles im grünen Bereich“, sagt Aziz. Er nimmt einen Schluck von seiner Mezzo Mix und sagt: „Oh Mann, der Junge: witzigster Typ.“
„Ey“, sagt er zu seinem Kumpel und muss schon lachen. „Einmal hat Alfons den Night Monkey von Jackass gemacht, vor der Red Lounge in Altona. Digger, wie ein Affe ist der auf den Autos rumgesprungen.“ Dann kamen drei Türsteher der Bar, um dazwischenzugehen. „Wir wollten uns erst mit denen boxen, aber die waren zu stark. Also sind wir abgehauen, auf den nächsten Zaun geklettert, gesprungen. Und paff – lagen wir in zwei offenen Mülltonnen auf der anderen Seite.“
Rosenbruchs Eltern leben getrennt, zum Vater hatte er die ersten sechseinhalb Jahre keinen Kontakt. Mit seiner Mutter und seiner Halbschwester wohnte er in einem Backsteinhaus in einer Spielstraße. Die Mutter möchte nicht mit Journalisten sprechen, ihr Klingelschild hat sie abgeklebt, auf Anrufe antwortet sie nicht.
Rosenbruchs Vater ist bereit, von seinem Sohn zu erzählen. Manfred Karg ist ein rustikaler Mann, er fuhr jahrelang zur See, hat kaum einen Knochenjob ausgelassen. Der 64-Jährige wohnt allein in einem Reihenhaus an der Grenze zu Schleswig-Holstein. „Ich habe keine Freunde, dafür hohe Hecken mit Dornen. Ich lebe da, um zu wohnen, mehr nicht“, sagt er.
Die meiste Zeit war Karg ein Wochenendpapa für Alfons. Sie fuhren zusammen an die Ostsee, spielten Schach. Der Junge lebte ja bei seiner Mutter. Anfangs war es schwer, die Mutter untersagte ihm den Kontakt. Ein Richter gestand Karg dann Zeit mit seinem Sohn zu. Sie hatten einige schöne Jahre miteinander, sagt er.
Alfons sei ein frohes, kluges Kind gewesen. „Ein Wunschkind, ein Glückskind“, sagt Karg, auch wenn das Verhältnis zwischen Vater und Mutter nicht einfach war. In der Schule fiel dem Jungen viel zu, seinen Realschulabschluss machte er ohne große Mühe.
Als Rosenbruch 16 war, krachte es. Der Vater warf dem Sohn vor, lethargisch zu sein, im Haushalt nicht zu helfen. Der Sohn beschimpfte den Vater als Versager, Verlierer. Karg versuchte, die Situation zu retten: Lass es uns ein andermal klären. Du weißt, wie du mich erreichst. Meld dich, wenn du so weit bist. Ich hab dich lieb. Aber sein Sohn brach den Kontakt ab.
Einige Monate später ging Alfons Rosenbruch auf eine Berufsschule, um Erzieher zu werden, und er begann sich zu verändern.
Manuela Kelten sitzt in einem Büro voller Holzmöbel, auf dem Tisch eine Schale Obst, nebenan führt ein anderer Lehrer Gespräche mit Schülern. Kelten war fast zwei Jahre lang Rosenbruchs Klassenlehrerin an der Berufsschule. Sie möchte nicht, dass ihr richtiger Name in der Zeitung steht. Der gehe niemanden etwas an, sagt sie.
Für Kelten machte sich die Wandlung ihres Schülers erst nur diffus bemerkbar. Es war ein Bauchgefühl.
Ihre Augen röten sich noch immer, wenn sie von Alfons Rosenbruch spricht. Im Sommer 2011 hat er seine Ausbildung zum Kindergärtner begonnen. Ein Junge, den sie schnell ins Herz schloss. „Alfons war wie ein großes Baby“, sagt sie. „Tapsig, jungenhaft.“
Alte Familienbilder zeigen das. Rosenbruch war ein Hüne, fast zwei Meter groß. Und er wuchs noch, sagt sein Vater. Zugleich hatte er ein kindliches Gesicht, rund und ohne Bartwuchs.
Kelten hat eine gelbe Mappe vor sich liegen. Es sind Rosenbruchs Bewertungen aus dem Kindergarten in Altona. Als Kind war er selbst dort hingegangen, jetzt machte er hier seine Ausbildung. „Außergewöhnliche Sensibilität“. „Pünktlich, verlässlich“. „Hohe Kompetenz“. Kelten sagt, er sei „ungeheuer empathisch und liebevoll“ gewesen. „Ich hätte ihm meine Kinder sofort anvertraut.“
Im Kindergarten weigerte sich mal ein Junge, sich die Haare zu waschen. Rosenbruch besorgte ein Buch über ein Kind, das keine Lust auf Wasser hat. Bald hörten ihm auch andere Kinder beim Vorlesen zu, am Ende sprachen sie darüber, was am Waschen eigentlich so schlimm ist. „So war Alfons“, sagt Kelten.
Nach gut einem Jahr in der Ausbildung veränderte er sich. Er, der früher ein offenes Gesicht gehabt habe, verschloss sich immer mehr. Trug öfter Kapuze, seine Klamotten wurden dunkler, die Haare ließ er sich kurz scheren.
Früher hatte sich Alfons Rosenbruch an Diskussionen beteiligt, gerade wenn es um Moral ging, um Freundschaft und Gerechtigkeit, sagt Kelten. Als sich sein Gesicht veränderte, hörte das auf. Auch mit seinen Klassenkameraden sprach er kaum noch.
Kelten wandte sich an Beratungsstellen, es fiel ihr schwer, das Problem zu beschreiben. „Die wollten konkrete Hinweise, aber ich wusste eigentlich nur: Irgendwas stimmt nicht“, sagt sie.
Anfang 2013 erfuhr sie, dass Rosenbruch konvertiert ist, dass er betet. Preist er die Suren des Koran, diskutiert er politisch?, fragte die Beraterin. Kelten verneinte. Dann sei es nicht symptomatisch dafür, dass sich der Junge in extremistischen Kreisen bewege, urteilte die Frau.
In Syrien bekämpften sich zwar damals schon verschiedene Rebellengruppen und die Armee. Von der Terrororganisation „Islamischer Staat im Irak und in Syrien“ haben aber die wenigsten gehört. Davon, dass deutsche Jugendliche dort hingehen würden, erst recht nicht.
Einige Wochen ging das so, dann kam Rosenbruch nur noch unregelmäßig zur Schule. Auch im Kindergarten fehlte er oft. Er sei da gedanklich schon ausgestiegen gewesen, nicht mehr erreichbar, sagt Kelten. „Das war nicht mehr mein Alfons.“ Er meidet Körperkontakt zu den Mädchen in der Klasse, selbst Blicken weicht er aus. Die Klassenfahrt nach Sylt sagt er ab.
Es war Mai 2013, nur noch wenige Wochen bis zur Prüfung. Trotz allem hatte ihm der Kindergarten bereits eine Stelle angeboten, da verabschiedete sich Alfons von Kelten. Nach dem Unterricht kam er zu ihr, gab ihr einen Zettel: „Hiermit trete ich von allen weiteren Prüfungen zurück und breche die Ausbildung ab. Alfons Rosenbruch“. Dann umarmte er sie und sagte: „Frau Kelten, machen Sie sich keine Sorgen, Sie waren eine gute Lehrerin.“
Alfons’ Radikalisierung, sagt Halim Aziz, hatte aber fast zwei Jahre vorher begonnen, als er die Realschule wechselte. Von Ottensen nach Bahrenfeld. Er sei mit einigen Lehrern nicht gut klargekommen.
„Früher waren wir getrennte Gruppen“, sagt Aziz. „Wir aus Ottensen, die aus Bahrenfeld.“ Durch Rosenbruch hätten sich die Cliquen vermischt. „Wir waren damals am Wochenende oft zusammen saufen, haben Party gemacht.“
Bei den Bahrenfeldern, erinnert sich Aziz, seien ein, zwei „Achis“, gewesen, Glaubensbrüder, strengere Muslime. Rosenbruch habe gesagt, ihn interessiere, was sie über den Islam erzählten. Er muss ungefähr 16 gewesen sein, da begann er sich mit dem Koran auseinanderzusetzen. Er fragte viel, las, sah Vorträge im Internet. „Der wusste schnell 500-mal so viel wie ich über den Islam“, sagt Aziz. Mit 17 konvertierte er.
Alfons sei immer sein Kumpel geblieben, sagt Aziz, der selbst Muslim ist. Er habe nur noch gelächelt, sei total gut drauf gewesen. Aber ab dieser Zeit sahen sie sich seltener.
Rosenbruch hing viel mit den Achis ab, in allen möglichen Wohnungen in Hamburg. „Die sind eine krasse Gemeinschaft“, sagt Aziz. Die Achis hätten sogar einen eigenen Check gehabt, eine eigene Begrüßung. Sie klatschten sich nicht nur ab, bei der anschließenden Umarmung fassten sie sich um die Hüften. Rosenbruch brauchte nur mit dem Finger schnipsen, wenn es ihm nicht gut ging – sofort bekam er Hilfe. Einen Schlafplatz, Essen, Geld.
Einer der Achis, ein Deutschtürke mit kleinkrimineller Vergangenheit, zwei Jahre älter, wurde sein engster Bruder. Gemeinsam trieben sie sich am Steindamm am Hauptbahnhof herum, gingen oft beten. Taqwa-Moschee, El-Iman-Moschee, Orte, die der Verfassungsschutz beobachtet.
Bis auf die richtig Radikalen kannte Aziz viele der Achis, manchmal hingen sie auch gemeinsam rum. Die einen tranken Alkohol, die anderen nicht. „Jeder macht sein Ding, so ist das bei uns“, sagt Aziz.
Alfons Rosenbruch habe eine Phase gehabt, in der es anstrengend wurde. Er sei da missionarisch geworden, sagt Aziz, gab selbst dessen Freundin nicht mehr die Hand. „Ich hab gesagt: Diggi, chill mal, wir sind doch Freunde.“ Aziz ist nicht besonders gläubig. Er verzichtet auf Schweinefleisch, trinkt aber Alkohol. Rosenbruch habe sich dann eingekriegt. Sie trafen sich auch wieder öfter, weil es ihm langweilig wurde, nur mit den Achis.
So bekam Aziz mit, wie stark seinen Freund der Bürgerkrieg in Syrien bewegte. Baschar al-Assad, ein Diktator, der Muslime abschlachtete, Glaubensbrüder. Und ich liege hier im Westen auf der faulen Haut und schaue zu, so habe Rosenbruch oft geredet. Er spendete Geld an Hilfsorganisationen.
Im Sommer 2013 flog er mit seinem „Bruder“, dem kleinkriminellen Achi, in die Türkei. Seiner Mutter sagte er, er sei im Urlaub. Tatsächlich nahm er drei Monate lang offenbar im konservativen Istanbuler Stadtteil Fatih an Schulungen des IS teil, lernte die Schlepper kennen, die ihn über die Grenze bringen sollten.
Karg wirkt wie einer, der seine Zuneigung nicht unbedingt durch Komplimente zeigt. Er schreit Kellnerinnen durchs halbe Restaurant hinterher, Fahrradfahrer, die ihm in die Quere kommen, brüllt er aus dem Auto an. „Arschloch-Alfons“, sagt er manchmal, oder „der war doch ein Weichei, ein Muttersöhnchen“. Und dann: „Leck mich am Arsch, bin ich traurig.“ Seit er vom Tod seines Sohns erfahren habe, denke er über eine Autobiografie nach, Titel: „Mein beschissen trauriges Leben“.
Nachdem der Junge den Kontakt zu ihm abgebrochen hatte, musste sich Karg seine Informationen selbst zusammensuchen. Spätestens da wurde er misstrauisch. Es entging ihm nicht, dass sein Sohn immer religiöser wurde. Er hörte, er sei in der Türkei und habe seiner Schwester am Telefon gesagt: Wo ich bin, ist Schnee. Da bekam Karg Panik: „Ich dachte, der ist in ein Ausbildungslager, im Hochgebirge.“ Aber wenig später war Rosenbruch wieder in Hamburg, arbeitete als Security-Mann, Herbst 2013 war es da.
Karg war froh. Noch mal gut gegangen, das Ganze, dachte er. Dabei hatte es für Alfons Rosenbruch erst begonnen, seine Entscheidung war gefallen.
Es muss im November gewesen sein, als er seine engsten Freunde in ein türkisches Restaurant einlud: sein Abschiedsessen. Es gab Hackfleisch, Dönerfleisch, zum Nachtisch Baklava. Jeder wusste es schon, aber Rosenbruch erklärte es noch einmal: Er könne nicht länger zusehen, er müsse helfen, und wenn er in Syrien nur Verletzte trage. Sein Handy nehme er nicht mit, um sich nicht orten zu lassen, bald würde er sich aber melden, über einen neuen Facebook-Account.
„Niemand hat auch nur daran gedacht, ihm reinzureden“, sagt Aziz. Er habe noch gefragt, wann Alfons wieder nach Hamburg kommen würde. Mal sehen, antwortete der. Dass er nie zurückkommen sollte, stellte sich niemand vor, auch Rosenbruch nicht.
Einige Wochen später meldete er sich zum ersten Mal bei Aziz. Bei Facebook hieß er jetzt Jibbril Atta, in Anlehnung an Mohammed Atta. Der Ägypter hatte das Attentat vom 11. September 2001 geplant und ausgeführt, er wohnte in Hamburg.
Alles chillig hier, schrieb Alfons an Aziz, ich lerne Arabisch, mit den Brüdern läuft es gut. Er schickte Fotos von gigantischen Villen, in denen sie übernachteten. Von tischgroßen Flachbildschirmen, auf denen sie Playstation 3 spielten. Aziz sah seinen Freund an riesigen Maschinengewehren, groß wie Motorräder, auf Panzern und vor der schwarzen Flagge des IS. Dem geht es gut, dachte er.
Wie gefährlich es in Syrien ist und welche Macht der Islamische Staat hat, sei ihm erst mit der Zeit bewusst geworden, sagt Aziz. „Als Alfons runter gegangen ist, hat von ISIS ja noch niemand geredet, wir wussten nur: Der geht zu den Rebellen.“
Musst du oft Wache schieben, fragte er seinen Freund, ist es gefährlich? Der beruhigte ihn. Alles im Griff, Digger. Einige Monate ging das so, Halim Aziz hat diese Zeit relativ entspannt in Erinnerung.
Manfred Karg hatte das Gefühl, als sehe er seinem Sohn zu, wie er in einem Zug immer schneller Richtung Abgrund rast. Als er Weihnachten 2013 rausfand, dass Alfons wieder verschwunden war, meldete er sich beim Hamburger Verfassungsschutz. Er bekam niemanden an den Hörer, also sagte er zum Telefonisten: Ich habe das Gefühl, dass mein Sohn über die Türkei nach Syrien ausgereist ist. Es dauerte einige Tage, dann meldete sich jemand bei ihm und bestätigte den Verdacht.
Karg sagt, er habe selbst angefangen zu recherchieren, hatte noch einige Fragen. Beim Verfassungsschutz jedoch habe es ab Anfang 2014 geheißen: Wenn Ihr Sohn in Syrien ist, sind wir nicht mehr zuständig für Sie.
Wenig später im Frühling hätten zwei Beamte vom Landeskriminalamt bei ihm geklingelt, sagt Karg, beide in Zivil. Er habe sie nicht reinlassen wollen, also zeigten sie ihm vor der Tür ein Porträt seines Sohns. Karg bestätigte, dass es sich um Alfons handelte, dann zogen die beiden Männer wieder ab.
Karg macht den Behörden heute schwere Vorwürfe. Wie könne es sein, dass ein blonder 1,98-Meter-Junge nicht auffällt in der Salafisten-Szene? Als er sich radikalisierte, sei Alfons noch minderjährig gewesen, da habe der Staat doch eine Fürsorgepflicht.
Beim Hamburger Verfassungsschutz heißt es zu Kargs Kritik: Eine 24-Stunden-Überwachung sei nicht möglich. Zudem gebe es allein in Hamburg inzwischen rund 400 Salafisten, man könne nicht alle im Auge behalten. Und Ausreisen ließe sich ohnehin selten verhindern, höchstens verzögern. Wer rauswolle aus Deutschland, schaffe das auch.
Manfred Karg erfuhr Anfang September aus den Medien, dass sein Sohn offenbar tot ist. Das Hamburg-Journal des NDR berichtete darüber. Zwei junge Salafisten seien zu Rosenbruchs Mutter gekommen, hätten ein Foto von seiner Leiche gezeigt und gesagt: Herzlichen Glückwunsch, Ihr Sohn ist jetzt im Paradies.
Aziz glaubt nicht an diese Geschichte. Er kennt die beiden Jungs, die der Mutter die Todesnachricht überbrachten. Er sagt: „Die haben es ihr behutsam gesagt, das mit dem ‚Herzlichen Glückwunsch‘ ist so eine typische Journalisten-Nummer, Hauptsache: dramatisch.“
Rosenbruchs Tod sei schon ein paar Tage im Freundeskreis bekannt gewesen, weil sich sein „Bruder“ in seinen Facebook-Account eingeloggt und es bekannt gegeben habe: Alfons ist tot. Hört auf zu weinen, hört auf zu trauern. Tot ist tot. Findet euch damit ab. Kommt in den Dschihad. Es ist noch nicht zu spät.
■ Sebastian Kempkens, 26, ist Autor der taz.am wochenende
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