: Vorsorglicher Rufmord
Medien- statt Beschneidungsopfer: Weil die Polizei nur der Version ihres Mannes glaubte, wird eine Schwarzafrikanerin öffentlich beschuldigt, die genitale Verstümmelung Töchter zu wollen
von Eiken Bruhn
Die Meldung schlug ein: „Polizei verhinderte geplante Beschneidung…“ titelte die Pressestelle der Polizei vergangenen Dienstag. Angeblich hatten Polizisten in letzter Sekunde verhindert, dass eine 25-jährige Afrikanerin ihre beiden kleinen Töchter in ihr Heimatland Gambia schickte, um dort deren Genitalien verstümmeln zu lassen.
„Polizei verhindert grausames Ritual“ verkündete daraufhin der „Weser Kurier“, „Bild“ veröffentlichte ein Foto der Frau und der Mädchen und fabulierte von „einer dunklen Hütte“, wo der „Medizinmann“ warten würde. Für alle, die es ganz genau wissen wollten, lieferte „Bild“ unter der Überschrift „Genitalien werden mit Glasscherben abgetrennt“ blutige Details. Was hingegen niemanden interessierte: Die Version der Frau. „Sie wollte ihre jüngere Tochter zu ihrer Mutter geben, damit die ihre Enkelin kennen lernt und sie selbst mehr arbeiten kann“, sagt die Anwältin der Familie, Birgit Behnke. „Im Dezember wollte sie sie zurückholen.“ Von Beschneidung sei nie die Rede gewesen. Im Gegenteil: Nach Angaben der Anwältin lehnt Isatou M. diese Tradition ab, seit sie als 13-Jährige sah, was ihrer jüngeren Schwester angetan wurde. In ihrer Familie würde Genitalverstümmelung seitdem nicht mehr praktiziert, auch ihre Mutter sei dagegen. So sei ihre jüngste Schwester nicht beschnitten, ebenso eine Nichte. Im übrigen sei das ältere Kind, ein dreieinhalbjähriges Mädchen, zwei Mal unversehrt von einem Besuch in Gambia zurück gekommen.
Nicht nur die Anwältin, auch das Bremer Familiengericht hält die Ausführungen von Isatou M. für sehr glaubwürdig – zumal der Vater der Kinder ihre Darstellung bestätigte. Danach hatte diese nach einem Streit mit ihrem 26 Jahre älteren Partner am Montag Abend selbst die Polizei gerufen. Der Vater wollte die kurz bevorstehende Abreise des einjährigen Mädchen mit einer Freundin der Mutter verhindern, indem er ihre Sachen nicht herausrückte. Ein Sorgerecht hat er nur für das ältere Kind. Gegenüber der Polizei begründete der Vater seine Haltung jedoch mit der Befürchtung, sein Kind könne in Gambia verstümmelt werden.
Um eine Kindeswohlgefährdung auszuschließen, brachte die Polizei die Kinder in ein Heim, in den nächsten Tagen sollen sie wieder zurück zu ihren Eltern. Das Bremer Familiengericht hat nur eine Auflage gestellt: Die Kinder dürfen das Land nicht verlassen. „Ich vertraue der Mutter, aber man kann nicht sicher sein, dass ihnen in Gambia nichts passiert“, sagte Richtern Sabine Heinke. Darüber hinaus sieht sie keinen Anlass zu weiteren Familienhilfen. „Den Kindern geht es sehr gut“, sagte Heinke.
Dennoch hat das Jugendamt nach Angaben ihrer Anwältin Isatou M. dazu gedrängt, ihre beiden Töchter an fünf Tagen in der Woche zu einer Tagesmutter zu geben. „Kevin lässt grüßen“, sagt Behnke dazu. Offenbar hätten Amt und Ressortspitze solche Angst davor, eine Kindeswohlgefährdung zu übersehen, dass sie in diesem Fall weit über das Ziel hinaus schössen. Behnke will jetzt dafür sorgen, dass Isatou M. selbst entscheiden kann, wie ihre Kinder betreut werden und prüfen, ob sie gegen die Polizei vorgehen kann.
Ein Sprecher der Polizei sagte gestern der taz, er sehe keinen Anlass, sich für die Pressemitteilung zu entschuldigen. Was Medien daraus machten, entziehe sich seiner Kontrolle: „Für uns war das schlüssig, nachdem die Frau sich weigerte, den Aufenthaltsort der Kinder preis zu geben.“ Dass der Vater selbst die Reisedokumente für seine Tochter besorgte und dann plötzlich Angst um sie bekam, habe keine Rolle gespielt.
Auch die Sprecherin des Sozialressorts verteidigt das Vorgehen des Jugendamtes. Nur der Vater der Kinder gesteht einen Fehler ein. „Ihm tut die Sache furchtbar leid“, sagt Anwältin Behnke.
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