: Manndeckung für Intensivtäter
Um die steigende Gewaltkriminalität unter Jugendlichen zu bekämpfen, ruft die Staatsanwaltschaft in Hamburg das Projekt „Protäkt“ ins Leben. Das Prinzip: ein Täter, eine Akte, ein Sachbearbeiter
VON KAI VON APPEN
Die Strafverfolgungsbehörden gehen in Hamburg zur Bekämpfung der steigenden Jugendgewalt neue Wege: Gestern stellten Hamburgs Justizsenator Carsten Lüdemann (CDU) und die Generalstaatsanwältin Angela Uhlig-van Buren das „Projekt täterorientierte Kriminalitätsbekämpfung“ (Protäkt) vor. „Wir nehmen Jugendliche ins Visier“, so Uhlig-van Buren, „die durch hohe Gewaltbereitschaft auffallen.“
Es ist ein bundesweiter Trend, dass die Zahl der Gewalttaten durch Jugendliche zunimmt. So stieg die Zahl der Körperverletzungen durch Jugendliche und Heranwachsende zwischen 1993 und 2005 um das Doppelte. In Hamburg sind 42 Prozent aller Gewalt-Tatverdächtigen jünger als 21 Jahre.
Mit Protäkt wollen sich die Behörden nun besonders um die jugendlichen Wiederholungstäter kümmern. Dazu wird gerechnet, wer binnen eines Jahres zweimal durch schwere Gewaltdelikte auffällt oder eine hohe Gewaltbereitschaft zeigt. „Dabei geht es um schwere Gewalttaten, Raubüberfälle, Messerstechereien, nicht um die Schulhofprügelei“, sagt Uhlig-van Buren
Die Staatsanwaltschaft führte eine Liste von rund 100 besonders auffälligen Jugendlichen. Für diese im Behördenjargon „Top 100“ sind drei Sonder-Jugendstaatsanwältinnen zuständig. „Mit Protäkt führen wir das Prinzip der „Manndeckung“ für junge Gewaltstraftäter ein, die in eine kriminelle Karriere abzugleiten drohen“, sagte Lüdemann. „Dadurch können wir Gegenmaßnahmen noch effektiver auf den Täter und seine Persönlichkeit zuschneiden.“
Der Kernpunkt: Wenn früher der Intensivtäter „K.“ mit einer Gruppe einen Raubüberfall beging und ein älterer Mittäter dabei war, dessen Name mit dem Buchstaben „B“ begann, war der Jugendstaatsanwalt und -richter für „B“ zuständig und der Gruppe wurde insgesamt der Prozess gemacht. Drehte der Jugendliche „K.“ mit einer anderen Clique ein neues Ding, und es war ein älterer mit „T“ dabei, waren die Juristen für „T“ zuständig. Bestenfalls kannten die Ankläger die Akten.
Nach Protäkt soll das anders werden. Fortan sollen in der Regel die Verfahren der Intensivtäter abgetrennt werden. Sowohl bei der Polizei als auch bei Staatsanwaltschaft soll eine Person für „K.“ zuständig sein – von der Strafmündigkeit mit 14 Jahren an bis zum 21. Lebensjahr. „Ein Täter, ein Sachbearbeiter – egal wo die Tat begangen worden ist, immer wird derselbe Staatsanwalt auflaufen“, versprach Uhlig-van Buren. „Wir übernehmen die Verantwortung für seinen weiteren Lebensweg – präventiv oder repressiv.“
Zudem sollen so genannte Täterakten angelegt werden, in denen auch Informationen der Jugendgerichts-, Jugendbewährungshilfe oder des Jugendgefängnisses aufgenommen werden. „Diese Erkenntnisse wollen wir bündeln und vernetzen“, erläuterte der Leitende Oberstaatsanwalt Martin Köhnke. Komme es zu einem neuen Vorfall, „bekommt der Sachbearbeiter durch diese Akte per Knopfdruck ein Profil.“
Köhnke warnte aber davor, Protäkt als „Zauberwürfel“ anzusehen. Prötäkt sei aber eine quantitative Erweiterung und qualitative Verbesserung. In der Realität müsse natürlich geprüft werden, ob es opportun sei, das Verfahren gegen den Intensivtäter abzutrennen. „Wir müssen sehen, ob es dem Opfern zumutbar ist, mehrmals vor Gericht auszusagen“, sagte Köhnke.
Um Irrtümern in der Öffentlichkeit vorzubeugen, betonte Uhlig-van Buren, dass das Programm nicht auf die Jugendlichen abziele, die 50-mal beim Autoknacken oder beim Ladendiebstahl erwischt worden seien. Es gehe um die Jugendlichen, die „testosterongesteuerte dumme Gewalt ausüben“ – solche, die vor der Disco oder Bahnhof darauf lauerten, „jemanden etwas auf die Glocke zu hauen“, skizziert Uhlig-van Buren. „Wenn wir den Focus auf das Klientel der irren Gewalt richten, werden die das bald merken.“
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