die taz vor 15 jahren über die reaktion auf die pogrome gegen asylbewerber in rostock-lichtenhagen:
Cui bono? Wem nützt es, daß in Rostock einige hundert „gewaltbereite“ Rechtsradikale Häuser anzündeten (in denen sich Menschen aufhielten), Straßen sperrten, Ausländer und Journalisten jagten? Und warum war die Polizei nicht in der Lage, den Mob daran zu hindern? Sollte sie es nicht sein, damit in Bonn der Abbau des Grundrechts auf Schutz für Flüchtlinge durchgesetzt werden kann und lange geforderte Verschärfungen des Haftrechtes endlich Gesetz werden können?
Wer erinnert sich nicht an die Belagerung West-Berlins, als hier der IWF tagte. Die Ordnungsmacht war in der Lage, den Kreuzberg hermetisch abzusperren, U-Bahn-Linien zu unterbrechen, Verkehrsströme Hunderttausender im Kreis zu leiten und Demonstranten stundenlang einzukesseln. Oder an die Demonstrationen gegen Brokdorf und Kalkar, als Tausende auf Autobahnen und Zügen angehalten wurden? Wie sich die Bilder gleichen: Die Rechtsradikalen machen tagelang Rostock unsicher. Die linken Demonstranten werden bei der Anreise gehindert.
Warum das so ist, verraten die Reaktionen aus Bonn: „Ursache des rechten Terrors ist, daß es zu viele Ausländer gibt. Also schafft die Ausländer weg.“ Und Schäuble versucht mit seiner Forderung nach einer vorbeugenden Verschärfung des Haftrechts für „gewaltbereite“ Demonstranten, die zukünftig bis zum Beweis mangelnder „Wiederholungsgefahr“ eingesperrt werden können, aus Anlaß rechten Terrors alte Rechnungen mit Linken zu begleichen. Als ob man Brandstifter und Totschläger nicht nach dem geltenden Haftrecht aus dem Verkehr ziehen könnte. Die Reaktionen aus Bonn zeigen: Die Feuer in Rostock kamen ausgesprochen gelegen. Und daß die Polizei eine linke Demo gegen Ausländerfeindlichkeit auf den Zufahrtswegen versickern lassen kann, zeigt: So unfähig, wie sie in Rostock erschienen, sind deutsche Ordnungshüter nicht. Nicht, wenn es gegen (vermeintlich) Linke geht. Jonny Eisenberg, Rechtsanwalt, taz, 31. 8. 1992
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