: „Ich ziehe keinen über den Tisch“
Ein Gespräch mit der neuen Bremer Finanzsenatorin Karoline Linnert (Grüne) über die rot-grüne Regierungskunst nach den ersten 100 Tagen. Während sie als Fraktionsvorsitzende der Grünen für ihre scharfzüngigen Reden bekannt war, muss sie im neuen Amt höllisch aufpassen, was sie sagt
KAROLINE LINNERT, 49, verheiratet, zwei Kinder, hat nach dem Abitur 1977 den Beruf der Röntgenassistentin erlernt. Von 1981 bis 1988 studierte sie Psychologie in Bielefeld und Oldenburg. Seit 1991 ist sie Mitglied der Bürgerschaft, zuletzt Fraktionschefin. Bei der Wahl zur Bremer Bürgerschaft am 13. Mai 2007 trat Linnert als Spitzenkandidatin an. Die Grünen erzielten mit 16,4 Prozent ihr bisher bestes Ergebnis in einem Bundesland.
Interview Klaus Wolschner
taz: Frau Linnert, was war der schwierigste Tag in dem neuen Leben der Finanzsenatorin Linnert?
Der der Haushaltsklausur.
Ehrlich?
Ehrlich. Weil das der Tag war, an dem ich die meisten Fehler machen konnte. Wo es wichtig war, voll konzentriert zu sein und auf alle Details zu achten.
Willi Lemke hat die neue Finanzsenatorin gelobt. Er kennt es so, dass die Senatoren bei komplizierten Haushaltsfragen dicke Tischvorlagen bekommen, die man so schnell nicht durcharbeiten könne. Bei der neuen Finanzsenatorin habe er alle Unterlagen drei Tage vorher gehabt.
Nett. Ich ziehe keinen über den Tisch. Ich will ja länger mit allen zusammenarbeiten. So eine „Überfalltaktik“ macht man nur, wenn man auf der Flucht ist.
Werden bei einer Senatsklausur ernsthaft Entscheidungen getroffen, die nicht vorher von den Fachreferenten und Abteilungsleitern vorbereitet und abgesprochen sind?
Die kleineren und mittelschweren Brocken werden vorher weggeräumt, die dicken Fragen bleiben über und müssen politisch entschieden werden.
Auf der Senatspressekonferenz nach der Klausur ist davon nichts deutlich geworden.
Um zu Eckwerten zu kommen, mussten größere Probleme gelöst werden. Es hatte massenweise Mehr-Anmeldungen gegeben. Viele Ressorts hatten noch ungelöste Finanzierungsprobleme. Zum Beispiel die Pensionszahlungen der Universität. Wir müssen dafür die Beamtenbesoldung schlechter machen, als ich mir das vorgestellt hatte. Da haben wir Geld umgeschaufelt.
Die Uni hat – wie früher die Krankenhäuser – keine Rücklagen für Pensionslasten gebildet?
Und im Uni-Haushalt wäre das nicht unterzubringen gewesen.
Wie viele Millionen sind das?
Mehrere.
Die Entscheidung, die Zuschüsse für Botanika zu streichen, war kein dicker Brocken?
Wir wussten seit längerem, dass wir keine andere Wahl haben.
Das haben die Grünen vorher aber nicht angesprochen, auch nicht im Wahlkampf?
Nein. Ich habe im Sommer das Fides-Gutachten gesehen. Seitdem war mir das klar. Seit mehr als einem Jahr wird versucht, die Zuschüsse zu senken. Jetzt sind stattdessen die Besucherzahlen gesunken.
Botanika ist in dieser Form auch ein Baby von Jens Böhrnsen. Hat er noch mal versucht, Rettungswege zu finden?
Er hat mit dafür gesorgt, dass die ursprünglichen Pläne abgespeckt wurden. Wir waren uns einig, dass man die hohen Zuschüsse nicht halten kann. Gerne macht so was niemand.
Im Vergleich zu den Finanzproblemen Bremens ist eine Million immer noch eine kleine Summe. Kann man an den zweistelligen Millionen-Posten in einem Staatshaushalt etwas bewegen? Neue Politik machen?
Die Frage ist, in welcher Geschwindigkeit. Ich habe mir darüber vorher nicht große Illusionen gemacht, ich war ja Sprecherin des Haushaltsausschusses. So ein Staatshaushalt ist ein riesiger Tanker, und es ist auch gut so, dass man da nicht einfach mal linksrum, mal rechtsrum kurven kann. Ich möchte das auch nicht. Es ist richtig, auch wenn es meine eigene Macht begrenzt, dass ein Staatsschiff nach Recht und Gesetz von seinen Beamten gesteuert wird. Da muss man über längere Zeit immer an dieselbe Stelle drücken, bis sich der Kurs dreht und sich etwas verändert.
Das heißt: Es wird viel Kontinuität geben?
Nein. Unsere Leitlinien sind Transparenz und Bürgernähe, mehr soziale Gerechtigkeit. Da drücken wir kräftig, aber hundert Tage sind eben eine kurze Zeit. Die Deputationen und Ausschüsse tagen öffentlich, das ist ein Riesenfortschritt in Sachen Transparenz, finde ich.
Ich habe eine Sitzung erlebt und fand es erschreckend, wie viel Zeit hoch bezahlte Leute absitzen müssen, weil andere Fensterreden halten?
Das glaube ich gerne, das muss sich einspielen. Um darauf zurückzukommen, was wir anders machen: Es gibt wieder Senatspressekonferenzen, Reinhard Loske macht Anhörungen mit Anwohnern betroffener Straßenbau-Projekte, da wird ein neuer Stil sichtbar. Zum Stichwort soziale Gerechtigkeit: Alle umverteilten Mittel, die wir aus den Ressorthaushalten herausgequetscht haben, kommen einer sozialen Idee zugute. Und das ist eine ganz andere Politik als in den vergangenen Jahren. Wohnungsbauförderung ...
... die 10.000 Euro auf die Hand für Häuslebauer?
Ja, die ist so gut wie eingestellt zugunsten von Bevölkerungsgruppen, die unser Geld nötiger brauchen.
Viel Geld hat die große Koalition ausgegeben für Projekte, die die Stadt attraktiver machen sollten. Zum Beispiel die Galopprennbahn ...
... das waren doch teure Geschenke für wenige. Darüber habe ich mich von Anfang an geärgert. Hat das die Stadt attraktiver gemacht? Das kommt doch nur einem kleinen Bevölkerungssegment zugute. Und wenn man sich die Besucher anguckt, kann man auch nicht sagen, dass das Tourismusförderung ist.
Und? Jetzt ist auch nicht ganz Schluss mit den Zuschüssen.
Vor vielen Jahren schon habe ich von dem damaligen CDU-Fraktionsvorsitzenden Jens Eckhoff einen Vertrag bekommen, der zwischen der Freien Hansestadt Bremen und der Rennbahn abgeschlossen worden ist, schon 1979. Dieser Vertrag regelt Verpflichtungen zu Lasten von Bremen. Da werden wir ein größeres Problem bekommen. Das gehört mit zu den Flurschäden, die man als Politiker anrichtet, wenn man nur sich selbst und seine eigene Zeit sieht und nicht das, was spätere Jahre und Regierungen belastet. Bei der Gerhard Marcks-Stiftung gibt es ein ähnliches Problem, einen Stiftungsvertrag, der uns nach Ansicht der Gerhard Marcks-Stiftung dauerhaft Zahlungsverpflichtungen aussetzt. So hat man das leider früher gemacht.
Gibt es weitere Erblasten aus dem Komplex der Privatisierungen der großen Koalition?
Die Hansewasser-Verträge unter tätiger Mithilfe der Anwälte Müffelmann und Theye sind eine Katastrophe für Bremen. Da verlieren wir unheimlich viel Geld. Hansewasser macht große Gewinne und wir haben sehr eingeschränkte Revisionsklauseln.
Wurde damals der Kaufpreis dadurch hoch getrieben, dass die Verträge für die Zukunft höhere Gewinne versprachen?
Ja, klar. Wie hatten einmal eine Summe im Haushalt, das Geld ist längst weg, und die Privaten machen dauerhaft Gewinne.
Das Musical-Theater ist so ein Fall.
Bis 2017 zahlen wir dafür. Der private Betreiber hatte kein Risiko aus dem Umbau. Wir finden sehr viele Altlasten von dieser Qualität vor. Das wirkt sich so aus, dass wir im Bereich der Investitionsmittel bis zum Jahre 2009 vor allem Verpflichtungen vorfinden und kaum Spielräume, anderes zu tun als alte Rechnungen zu bezahlen. Die letzten Verpflichtungen belasten den Haushalt des Jahres 2047.
Noch ein Beispiel?
Der Senat der großen Koalition hat von der Bremer Lagerhaus-Gesellschaft die Dividenden 67 Millionen Euro vorab einkassiert, die mit den Dividenden in den Jahren 2008, 2009 und teilweise auch 2010 verrechnet werden sollen. Das Geld wurde im Doppelhaushalt 2006/2007 als zusätzliche Einnahme verbucht und ausgegeben. Das war eine besonders kreative Art, Flurschaden zu Lasten nachfolgender Landesregierungen anzurichten. Diese Einnahmen fehlen logischerweise in den Haushalten, die wir jetzt planen.
Oder die Stiftung Wohnliche Stadt. Da hat man Dinge finanziert, für die kein Geld da war, der Senator für Finanzen hat Kredite gegeben. Die Stiftung hat dadurch Schulden. Teile ihrer laufenden Einnahmen der nächsten Jahre dienen dazu, Schulden abzubauen.
Die Entscheidung über den Neubau der St.-Jürgen-Klinik hat die große Koalition aber nicht mehr hingekriegt.
Ich habe, als ich ins Amt kam, erfahren, dass es einen Entwurf für einen Senatsbeschluss über eine Standortsicherungserklärung gab. Dieses interne Entwurfspapier, das ich nicht einmal als Vorsitzende des Haushaltsausschusses kannte, wurde von interessierter Seite den Investoren zugespielt und die sehen darin Ansprüche auf eine derartige Standortsicherungserklärung rechtsverbindlich niedergelegt. Das war eine „nette“ Überraschung zum Regierungsbeginn.
Wozu wollen die Investoren eine solche Erklärung haben?
Die Bieter versuchen zu pokern, um von uns diese Erklärung in möglichst bankenfreundlicher Weise zu bekommen. Wenn der Staat die Gewinnerwartung für die private Investition garantiert, bekommen die Investoren bessere Zinssätze bei den Banken.
Finanzsenator Ulrich Nußbaum hat immer gesagt: Wenn Private hier investieren und Gewinne machen wollen, müssen sie auch Risiko übernehmen.
Ja, gleichzeitig ist das Land Bremen Rechtsverpflichtungen eingegangen. Die Grünen haben im Wahlprogramm erklärt, dass sie den Weg in die Partnerschaft mit Privaten, also das „PPP“-Modell zum Klinikneubau, für einen Fehler halten. Das ist meine Überzeugung. Ich muss mich jetzt aber in einem rechtlich hoch reglementierten Verfahren bewegen und ich werde einen Teufel tun, irgendeinen Fehler zu machen, der den Firmen, die unsere Geschäftspartner auf 30 Jahre werden wollen, den Anlass für rechtliche Schritte geben könnte. Im Moment wird über die Frage verhandelt, wie kann eine Standortsicherungserklärung aussehen.
Darüber wurde im Februar auch schon geredet.
Das PPP-Neuland ist rechtlich total kompliziert.
Aus der Sicht der Opposition ist es immer ein großes Ziel, an die Regierung zu kommen. Gab es auch richtige Erfolgstage?
Die Nachricht, dass es kein neues Kohlekraftwerk gibt, war ein Highlight. Die Entscheidung der swb macht den Weg frei für einen zukunftsfähigen Umbau der Energieversorgung. Es war auch ein schönes Gefühl, als gleich zu Beginn der Legislaturperiode der Senat die Veränderung des Beamtenrechts beschlossen hat. Eine alte grüne Forderung, eingetragene Lebenspartnerschaften den Ehen gleichzustellen, wird umgesetzt. Ansonsten bin ich noch in der Phase, kennenzulernen, wie das hier funktioniert. Und einen Arbeitszusammenhang zwischen dem Finanzressort und mir zu schaffen. Ich will verstehen, was die Abteilungen ausbrüten, und meine Mitarbeiter müssen wissen, was ich gut finde und was ich nicht will.
Das klingt ein wenig wie: Eine fest gefügte Männergesellschaft kriegt eine Chefin.
Nein, so ist das nicht. Ich bin hier super aufgenommen worden, total freundlich, und die meisten kennen mich aus dem Haushaltsausschuss. Aber es gibt unterschiedliche Stile, so ein Haus zu führen. Ich möchte es schaffen, dass mein Stil als etwas Verlässliches wahrgenommen wird. Ich kann es nicht leiden, wenn ich von Senatsvorlagen erst erfahre, wenn sie schon fertig sind. Ich möchte, dass die wichtigen Dinge mit mir frühzeitig abgestimmt werden. Wir müssen zusammen einen Stil finden, und das dauert.
Und das Klima im Senat? Gibt es da Streit, etwa zwischen dem Grünen Reinhard Loske und SPD-Mann Ralf Nagel ?
Wir begegnen uns als Senat nur auf Klausurtagungen und in den Frühstücksrunden...
... die eigentliche Senatssitzung dauert wie früher nur eine halbe Stunde?
Ja. Die Senatoren müssen die Chance haben, Dinge zu besprechen, ohne dass die große Runde dabei sitzt und alles am nächsten Tag in der Zeitung steht. Die offizielle Senatsrunde ist dafür zu groß, deswegen gibt es in Bremen die Tradition, dass die eigentliche Diskussion in kleiner Runde vorab stattfindet.
Gibt es da auch Streit?
Wenn ich zum Beispiel einmal mit Reinhard Loske streite, dann ist das vollkommen o.k. Hinterher haben da andere ein großes Zerwürfnis daraus gemacht. Da stoßen unterschiedliche Kulturen aufeinander. Auch die Debatte um die Bremer Aufbaubank produziert groteske Phantasien. Dass es da unterschiedliche Auffassungen gibt, ist ein total normaler Vorgang, daraus muss man kein Zerwürfnis basteln. Dasselbe gilt für die Bahnreform.
Wenn dieser Senat keine großen Fehler macht, könnte der Erfolg davon abhängen, was in der Föderalismuskommission herauskommt.
Das wird ein wichtiger Punkt sein. Jens Böhrnsen ist es gelungen, eine gute Zusammenarbeit mit Günther Oettinger aufzubauen. Man merkt, dass das auf Bundesebene auch Früchte trägt. Auch der Bremer Regierungswechsel hat dazu beigetragen, dass wir eine neue Chance haben, dass man uns zuhört. Wir sind nicht die, die gesagt haben, Bremen kommt groß heraus und ab 2012 sind wir wieder Geberland. Solche Sprüche machen einen unglaubwürdig. Im Moment ist in allen wichtigen Runden klar, dass man Bremen, dem Saarland und auch Schleswig-Holstein helfen muss, wenn es eine striktere Regelung gegen das Schuldenmachen geben soll. Dass verschiedene Akteure da ihre Vorschläge über den Schuldenfonds machen, zeigt, dass das Thema angekommen ist. Das macht mich verhalten optimistisch. Wenn die Steuereinnahmen weiter so steigen, ist das auch finanzierbar.
Die Idee, den Solidarzuschlag umzuleiten, ist in Berlin nicht gut angekommen.
Ich fühle mich auf der Finanzministerkonferenz sehr wohl, weil da sehr eigenwillige Persönlichkeiten sitzen. Bemerkenswert ist auch Peer Steinbrück. Da lernt man, dass die Solidarität unter Sozialdemokraten auch nicht immer so ausgeprägt ist wie man das von außen denkt. Steinbrück ist gegen alles, was ihn Geld kostet. Aber auch der Bund muss ein Interesse daran haben, dass wir zu einer Begrenzung der Schuldenregelung kommen. Ich habe den Eindruck, dass derzeit mehr Rationalität herrscht als noch vor zwei Jahren.
Wann wird sich herausstellen, ob das trägt?
Im Herbst 2008. Vorher müssen ein paar wichtige Wahlen abgewartet werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen