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Es werde Licht auf dem Tahrir

ÄGYPTEN Armeechef Tantawi kündigt seinen Rücktritt an. Damit geben sich die Protestierenden nicht zufrieden

„Das erneute Aufleben der Demonstrationen ist vielleicht wichtiger, als es die Massenproteste gegen Mubarak vor neun Monaten waren“

RAMI AL-KHOURI, KOLUMNIST

AUS KAIRO KARIM EL-GAWHARY

„Diesmal sind wir wesentlich besser organisiert als zu Anfang des Jahres beim Aufstand gegen Mubarak. Auf dem Tahrir richten sich jetzt alle auf einen langen Aufenthalt ein“, erklärt Gasser Abdel Raseq, der wie Hunderte andere Freiwillige im Moment Nachschub für die Protestierenden organisiert. Er soll einen Generator und Benzin „in sicheren Metallkanistern“ besorgen, das sich durch Tränengasgranaten nicht entzünden kann. „Die Leute wollen so lange auf dem Tahrir bleiben, bis das Militär seine Macht an eine zivile Autorität abgibt“, sagt der Menschenrechtsaktivist. Denn keiner traue den Ankündigungen des Feldmarschalls Muhammad Tantawi. In einer Fernsehansprache hatte dieser am Dienstagabend verkündet, der Militärrat werde bis Juli Präsidentschaftswahlen abhalten und dann seine Macht an einen zivilen Präsidenten abgeben. Für den Fall, dass das Volk eine frühere Übergabe wolle, stellte er vage ein Referendum in Aussicht.

„Derselbe Tantawi hatte nach dem Sturz Mubaraks angekündigt, dass das Militär für eine Übergangszeit von nicht mehr als sechs Monaten an der Macht bleiben wird“, sagt Gasser. „Das ist eine aktenkundige Lüge.“ Das Militär sei für den Tod von Dutzenden Ägyptern direkt verantwortlich, habe mindestens 12.000 Menschen vor Militärgerichte gestellt und stecke jetzt hinter dem gewaltsamen Vorgehen gegen die Demonstranten auf dem Tahrirplatz.

„Die Übergabe von einer militärischen an eine zivile Verwaltung ist entscheidend, damit sich die arabischen Länder in Zukunft normal entwickeln können“, schreibt der Kolumnist Rami Al-Khouri. „Das erneute Aufleben der Demonstrationen ist vielleicht wichtiger, als es die Massenproteste gegen Mubarak vor neun Monaten waren, weil sie ein Kernproblem der modernen arabischen Welt angehen: die übertriebene Rolle des Militärs.“ Al-Khouri schreibt weiter, dass die Entwicklung zu einer Demokratie in Tunesien wesentlich besser verlaufe als in Ägypten, weil die tunesische Armee ihre begrenzte Rolle akzeptiert habe.

Die Proteste in Kairo haben sich schnell verselbstständigt. Nach einer großen Freitagsdemonstration, organisiert von verschiedenen politischen Gruppierungen einschließlich der Muslimbrüder, hatte eine Gruppe von nur 50 Aktivisten beschlossen, auf dem Platz zu übernachten, bis die Forderung nach Machtübergabe durch das Militär erfüllt wird. Am Morgen war die Gruppe auf 200 Personen angewachsen, als die Polizei den Platz stürmte. Innerhalb kürzester Zeit strömten Tausende auf den Tahrirplatz, um die Aktivisten zu verteidigen. Fünf Tage später standen wieder hunderttausend Menschen dort. Viele, die zunächst nichts mit den Protesten gegen das Militär hatten anfangen können, solidarisierten sich wie im Januar wegen des brutalen Vorgehens der Sicherheitskräfte. Es ist eine politisch aktive Gruppe aus unterschiedlichsten politischen Strömungen, die nun die Tagesordnung bestimmt. Sie folgt auch nicht den Anweisungen ihrer politischen Führungen. So hatte die Muslimbruderschaft beispielsweise ihren Mitgliedern untersagt, mit auf dem Tahrir gegen das Militär zu demonstrieren; trotzdem waren am Mittwoch zahlreiche junge Muslimbrüder präsent. „Ich bin nicht hier als Muslimbruder, sondern privat als politischer Aktivist“, erklärte einer von ihnen. „Komm zur Verabredung, aber lass deine Frau zu Hause“, wird auf dem Platz über die Muslimbrüder gewitzelt. Im Umkehrschluss heißt das aber auch, dass der Tahrir keine politische Führung hat und damit niemanden, der die Aktivisten vom Platz zurückrufen kann.

So herrscht heute in Kairo Ratlosigkeit und Aufbruchsstimmung in einem. Die Bedeutung der Parlamentswahlen ist infrage gestellt, das Militär macht vage Versprechungen, wann es die Macht übergibt. Und der Tahrirplatz richtet sich auf eine lange Zeit als Wächter des Übergangs von einer militärischen zu einer zivilen Verwaltung ein.

Gasser Abdel Raseq sitzt jetzt in seinem Büro und wartet auf die Lieferung des 5-kW-Generators. Im Laden hat man ihm sofort einen Preisnachlass gewährt, als man erfuhr, wohin das Gerät gebracht wird. Die Summe hat er in wenigen Stunden in seinem Freundeskreis gesammelt. Ein anderer Freund kommt gleich mit Kabeln und Glühbirnen vorbei. Dann geht es zum Platz. Läuft alles nach Plan, wird das Feldlazarett auf dem Tahrirplatz noch vor Sonnenuntergang mit Strom versorgt sein.

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