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Bestechlichkeit und Geldwäsche

BRASILIEN Super-GAU für die politische Elite. Oberstes Gericht erlaubt Ermittlungen wegen Korruption gegen rund 50 ranghohe Politiker. Erdölfirma Petrobras im Zentrum

Von linker Seite wird auf eine differenzierte Wahrnehmung des Skandals gepocht

AUS RIO ANDREAS BEHN

Es wird ernst. Am Freitag hat der Oberste Gerichtshof grünes Licht für Ermittlungen gegen 49 hochrangige Politiker gegeben. Unter ihnen sind 22 Bundesabgeordnete, 12 Senatoren, ehemalige Gouverneure, einstige Minister und sogar ein Expräsident. Generalstaatsanwalt Rodrigo Janot wirft ihnen Bestechlichkeit und Geldwäsche bis hin zur Bildung einer kriminellen Vereinigung im Korruptionsskandal um den Erdölriesen Petrobras vor.

Gegen Präsidentin Dilma Rousseff liegt kein Verdacht vor, obwohl sie von 2003 bis 2010 dem Verwaltungsrat von Petrobras vorstand und die Opposition deswegen ein Amtsenthebungsverfahren erwägt. Auch Oppositionsführer Aécio Neves kann aufatmen: Gegen den PSDB-Politiker wurde mangels konkreter Indizien nicht weiter ermittelt. Im Visier ist aber der jetzige Senator und ehemalige Staatspräsident Fernando Collor, der bereits 1992 in einen Korruptionsskandal verwickelt war und zurücktreten musste.

Fast alle Verdächtigen gehören der Basis der Regierung Rousseff an. Sechs sind von der Arbeiterpartei PT, darunter Roussefs Vertraute Gleisi Hoffmann. 32 Politiker gehören dem konservativen Partner PP an, und sieben stammen aus der wichtigsten Koalitionspartei PMDB. Aus dieser Partei, die teils bereits aus der Regierung ausgeschert ist, stammen die prominentesten Verdächtigen: Senatspräsident Renan Calheiro und Parlamentspräsident Eduardo Cunha.

Grundlage der Ermittlungen sind Kronzeugenaussagen von Unternehmern und ehemaligen Petrobras-Managern, die die Politiker mit der Korruptionsaffäre in Verbindung bringen, in deren Mittelpunkt große Baufirmen und der halbstaatliche Ölkonzern Petrobras stehen. Mindestens neun Baufirmen sollen ein Kartell gebildet haben, das mittels Bestechungen lukrative Petrobras-Aufträge an Land zog. Für die Aufträge wurden überteuerte Preise berechnet, von denen ein fester Prozentsatz gewaschen und an die Politik weitergeleitet wurde. Teilweise ging das Geld direkt in die Taschen der Politiker, die die korrupten Manager auf ihre Posten bei Petrobras gehievt haben. Die Summe des im Zeitraum von zehn Jahren zweckentfremdeten Geldes wird auf über 3 Milliarden Euro geschätzt.

Bislang betrafen die Ermittlungen vor allem Führungskräfte von Petrobras und von Baufirmen. Zahlreiche Manager sitzen seit Monaten in Untersuchungshaft. Jetzt geht es den Politikern an den Kragen. Auch wenn die Regierung Rousseff wegen ihrer Nähe zu Petrobras unter Druck steht, bedeutet die Veröffentlichung der Verdächtigtenliste am Freitag einen Schlag vor allem gegen den Kongress. Dieser war bei der letzten Wahl im Oktober deutlich nach rechts gerückt.

Die Schwächung des ihr feindlich gesonnenen Kongresses könnte Rousseffs Regierungsfähigkeit und ihre Verhandlungsoptionen verbessern. Aber es ist auch möglich, dass es jetzt endgültig zum Bruch zwischen PT und PMDB kommt. Nachteilig erscheint zudem, dass die Ermittlungen die ökonomische Zugkraft des Ölkonzerns und zahlreiche Infrastruktur-Projekte der großen Bauunternehmen beeinträchtigen könnten.

Von linker Seite wird indes auf eine differenzierte Wahrnehmung des Skandals gepocht. Gewerkschafter und Aktivisten sozialer Bewegungen plädieren zwar für eine konsequente Bestrafung aller Korruption, sehen aber in der Kampagne gegen Petrobras einen Versuch, das Unternehmen zu schwächen und eine Privatisierung gesellschaftsfähig zu machen. Sogar Expräsident Lulada Silva nahm an einer Kundgebung in Rio de Janeiro teil, auf der zur Verteidigung von Petrobras aufgerufen wurde.

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