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Zwischen Eintracht und Misstrauen

KUNDENSUCHE Beim Streit Russlands mit der EU und den USA sah sich China bereits als lachender Vierter. Peking versucht, wirtschaftlich von den Sanktionen gegen Moskau zu profitieren – mit mäßigem Erfolg

Peking nutzt seine Chance

■ Zugeständnis: Angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Situation erwägt Moskau, chinesischen Firmen künftig zu erlauben, Mehrheitsanteile an den strategisch wichtigen Öl- und Gasfeldern Russlands zu erwerben.

■ Investor: Bislang dürfen ausländische Firmenanteile 50 Prozent nicht überschreiten. „Früher gab es eine psychologische Barriere. Die gibt es nicht mehr“, so der russische Vizepremier Arkadi Dworkowitsch bei einer Konferenz Ende Februar. China sei „offenkundig“ der richtige Investor.

■ Abkommen: Beide Länder hatten im Mai vergangenen Jahres – nach langem Gezerre um den Preis – ein gewaltiges Energieabkommen unterzeichnet: Danach liefert die russische Staatsfirma Gazprom ab 2019 jährlich 38 Milliarden Kubikmeter Gas für 30 Jahre an China. Geschätzter Wert: 400 Milliarden US-Dollars. (taz)

AUS PEKING FELIX LEE

Noch vor Kurzem hatte Zhang Li ein russisches Ladenschild über ihren kleinen Laden in der Yabao-Straße hängen. Die 48-Jährige verkauft Pelzmäntel, Seide und andere Textilien. Inzwischen hat sie das Schild abgehängt. „Der Handel lohnt sich nicht mehr“, sagt Zhang. Die Kundschaft bleibe aus. „Wegen des Verfalls des Rubels ist vielen Peking zu teuer geworden.“

Viele Jahre lang war die Yabao-Straße bekannt als „Klein Russland“. Neben mehreren russischen Restaurants, Kneipen und Lebensmittelmärkten, die Kaviar, Salzgurken, Krimsekt, Wodka und Piroggen anboten, hatten sich vor allem chinesische Textilhändler niedergelassen, um russische Kunden zu bedienen.

Ihre Ware holten die Händler aus den Textilfabriken im Süden und Südosten Chinas. Die Russen kauften sie säckeweise auf und versandten sie in ihre Heimat. Vor einem Jahr arbeiteten in Peking noch mehr als 20.000 Russen, die vor allem von diesem Handel lebten.

Russische Unternehmen sind, abgesehen von den Energieriesen Gazprom und Rosneft, kaum in China aktiv. Dabei hatte sich die Volksrepublik noch vor einem Jahr als lachender Vierter bei der Krimkrise gesehen. Von der Annexion war Peking zwar nicht begeistert, schließlich hatte man kurz zuvor umfangreiche Wirtschaftsabkommen mit Kiew abgeschlossen. Aber anders als Europa und die USA protestierte die chinesische Führung nicht lautstark und beteiligte sich schon gar nicht an den Sanktionen gegen Moskau.

Umso mehr versucht die Volksrepublik, vom westlichen Boykott zu profitieren. Als Moskau als Reaktion auf die Wirtschaftssanktionen die Einfuhr von Fleisch, Fisch, Gemüse und Milchprodukten aus der EU und den USA stoppte, wollte China einspringen. Peking genehmigte eine Reihe neuer Zollstationen an der über 4.000 Kilometer langen Grenze. In unmittelbarer Nähe von Wladiwostok errichtete es in Rekordzeit einen neuen Großhandelsmarkt. Ziel: der Anstieg der Lebensmittelexporte nach Russland um 80 Prozent.

Vor allem gelang es der chinesischen Führung, Präsident Putin ein umfangreiches Gasabkommen (s. Kasten) abzuringen und den Bau der von Peking lange ersehnten Pipeline quer durch Sibirien bis zur chinesischen Grenze zu vereinbaren (s. Karte). Über ein Jahrzehnt hatte sich China darum bemüht – erst das Zerwürfnis mit dem Westen brachte den Durchbruch.

Allerdings hat der chinesisch-russische Handel trotz einer Reihe von Wirtschaftsvereinbarungen im vergangenen Jahr nur um 0,4 Prozent zugenommen. Chinas Ausfuhren nach Russland stiegen laut amtlichen chinesischen Statistiken um immerhin 5,5 Prozent auf 23,48 Milliarden US-Dollar. Doch die Einfuhren aus Russland brachen kräftig ein: um mehr als 20 Prozent auf 4,19 Milliarden Dollar. Das ist vor allem dem dramatischen Sinken der Öl- und Gaspreise geschuldet, Russlands Haupteinnahmequelle. Auch kamen in der zweiten Hälfte 2014 kaum noch russische Touristen nach China.

Politisch zelebrieren beide Seiten Eintracht: Zu den Feierlichkeiten zum Ende des Zweiten Weltkriegs haben sich Putin und Chinas Staatspräsident Xi Jinping gegenseitig zu ihren jeweiligen Militärparaden eingeladen.

Dahinter steckt aber, wie chinesische Russlandkenner wissen, weiterhin eine gute Portion Misstrauen: Vor allem Chinas Initiative der „Neuen Seidenstraße“ – es geht um die Wiederbelebung der einstigen Handelswege zwischen China, Zentralasien bis nach Europa – könnte Moskau ein Dorn im Auge sein, befürchtet Außenpolitikexperte Shi. „Wenn China in Zentralasien allzu forsch auftritt, könnte es mit der strategischen Allianz schnell wieder vorbei sein.“

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