piwik no script img

Order von ganz oben

KORRUPTION Ein Arzt, ein betrügerisches Abrechnungssystem und die bayerische Justiz – Stoff für einen Politthriller. Den ein Untersuchungsausschuss jetzt aufklären soll

Der taz liegen Dokumente vor, die einen Eingriff der Justiz belegen

AUS MÜNCHEN LISA SCHNELL

Diesen Montag ist mit dem LKA-Beamten Robert Mahler ein wichtiger Belastungszeuge vor dem Untersuchungsausschuss „Labor“ geladen. Er ermittelte von 2006 bis 2008 gegen den Augsburger Laborarzt Bernd Schottdorf, der ein betrügerisches Abrechnungssystem entwickelte, das etwa 10.000 Ärzte genutzt haben sollen.

Mahler wirft der bayerischen Justiz vor, die Ermittlungen erschwert und Tausende Ärzte geschont zu haben. Der taz liegen Dokumente vor, die einen Eingriff der Generalstaatsanwaltschaft belegen.

Bis Ende 2008 war für das Verfahren die Staatsanwaltschaft München zuständig, die das Schottdorf-System als Betrug wertete. Sie berief sich auf ähnliche Fälle aus Limburg an der Lahn, einen Strafbefehl aus Hof und ein Urteil des Landgerichts Regensburg. Am 27. Oktober 2008 erfolgte allerdings eine krasse Kehrtwende.

An diesem Tag informierte der Münchner Staatsanwalt die Soko über „wesentliche Änderungen“. Das geht aus einem Besprechungsprotokoll der Soko hervor. Sie sollte sich nur noch auf ein Pilotverfahren konzentrieren, bis auf die Verfahren gegen Münchner Ärzte war nun die Staatsanwaltschaft Augsburg zuständig, der bald auch die Münchner Fälle übergeben werden sollten. Die Änderungen hätten sich aus zwei Besprechungen mit der Generalstaatsanwaltschaft ergeben.

Augsburg stellte 2009 die Ermittlungen ein. Auch diese Entscheidung schien von ganz oben zu kommen, wie zwei Besprechungsprotokolle zeigen. Am 1. Dezember 2008 war der Augsburger Staatsanwalt noch der Meinung, vor dem Ausgang des Pilotverfahrens würde es „zu keiner Einstellung von Verfahren kommen“. Nur zehn Tage später heißt es, Augsburg wolle „einstellen“. Falls das Pilotverfahren doch „durchgeht“, würde man „in Kauf nehmen“, dass alle anderen Verfahren verjähren.

Warum änderte die Staatsanwaltschaft ihre Meinung? Schaltete sich die Generalstaatsanwaltschaft ein? Es sieht so aus, als hätte sie die Einstellung der Verfahren zumindest gebilligt.

Augsburg machte es von der Entscheidung der „Mittelbehörde“ abhängig, ob eingestellt werde oder nicht. Aus juristischen Kreisen heißt es, mit der Mittelbehörde sei die Generalstaatsanwaltschaft gemeint. Ihre Entscheidung, die Verfahren einzustellen, hatte gravierende Folgen.

Der Arzt des Pilotverfahrens wurde 2010 zu drei Jahren Haft verurteilt, der Bundesgerichtshof bestätigte das Urteil. Die Verfahren gegen Tausende Ärzte verjährten. Schätzungen der Soko hatten ergeben, dass den Versicherungen ein Schaden von 500 Millionen Euro entstanden ist.

Ob die Generalstaatsanwaltschaft gute Gründe für die Einstellung hatte, soll der Untersuchungsausschuss klären. Es steht der Vorwurf im Raum, dass die bayerische Politik und Justiz Schottdorf verschonte. Bei ihm wurde ein Beleg über Spenden an die CSU über 25.000 Euro gefunden. Bis vor Kurzem wurde Schottdorf von CSU-Spitzenpolitiker Peter Gauweiler vertreten.

Außerdem wurde gegen Schottdorf wegen Bestechung eines Augsburger Staatsanwalts ermittelt. Schottdorf kam mit einer Geldauflage wegen Vorteilsgewährung davon. Die Augsburger Staatsanwaltschaft scheint ihm gegenüber sehr kulant zu sein. In einem anderen Verfahren, in dem es um Sozialbetrug von 250 Millionen Euro geht, hatte sie ihm angeboten, das Verfahren gegen eine Geldauflage von 4 Millionen einzustellen. Zwei Wochen später wollte sie nur noch 3 Millionen Euro. Das Landgericht lehnte diesen Deal als „lächerlich“ ab.

Vor zwei Wochen berichtete schon der LKA-Beamte Stephan Sattler, dass die Generalstaatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen Schottdorf behinderte. Die Reaktion mancher Ausschussmitglieder von CSU und SPD sorgte für Erstaunen. Sie nahmen den Zeugen ins Kreuzverhör, warfen ihm vor, rechtswidrig ermittelt zu haben. Die Vorwürfe stellten sich als falsch heraus.

Ob gegen Sattlers Kollegen Robert Mahler ein ähnlich scharfer Ton angeschlagen wird, wird sich diesen Montag zeigen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen