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Russlands heimliche Helden

Präsident Putin zeichnet Sicherheitschefs unter Ausschluss der Öffentlichkeit als „Helden des Vaterlandes“ aus, obwohl sie bei der Geiselnahme im Moskauer Musical-Theater versagt haben. Mitglieder der damals beteiligten Spezialeinheiten protestieren

aus Moskau KLAUS-HELGE DONATH

Das Land hat ungezählte Helden, aber nur wenige von ihnen sind noch am Leben. In Russland überwiegt die Praxis, erst posthum den Ehrentitel „Held des Vaterlandes“ zu verleihen und meist auch nur an ein größeres Kollektiv. Der Auszeichnung ist gewöhnlich eine Katastrophe vorausgegangen, die sich bereits bei flüchtigem Hinsehen als Staatsversagen entpuppt. Gehört im Westen ein Quentchen Freiwilligkeit und Opferbereitschaft zum Heldentum, hat ein Held in Russland in der Regel gar keine Wahl. Er wird versenkt, verheizt, verehrt und vergessen.

Der Nowaja Gaseta war zu entnehmen, dass es dennoch einige lebendige Heroen in Russland gäbe, die der Öffentlichkeit nur nicht bekannt seien. Zu ihnen zählt auch der neue Chef der russischen Grenztruppen Wladimir Pronitschew, der als stellvertretender Vorsitzender des Inlandsgeheimdienstes FSB bisher für die landesweite Terrorismusbekämpfung zuständig war. Im vergangenen Oktober erlangte Moskaus federführender Antiterrorist traurige Berühmtheit, als unter seiner Nase fünfzig tschetschenische Terroristen im Musical-Theater an der Dubrowka über 700 Geiseln in ihre Gewalt brachten. Ebenfalls zum Kreis der Helden gehört der FSB-General und Fachmann der Terrorabwehr Tichonow.

Pronitschew und Tichonow hätten für ihr Versagen als Antiterrorprofis im Oktober belangt oder zumindest strafversetzt werden können. Immerhin waren die Terroristen bis in Reichweite des Kreml vorgedrungen. Stattdessen verlieh Präsident Wladimir Putin seinen getreuen Weggefährten und alten KGB-Kollegen den Orden eines „Helden Russlands“.

Ebenfalls gewürdigt wurde der Chemiker, der die Gasattacke im Theater geleitet hatte, wodurch mindestens 122 Geiseln getötet wurden. Da der Geheimdienst die Zusammensetzung des Gases nicht bekannt gab, konnten Ärzte auch keine gezielten Behandlungsmaßnahmen einleiten. Inzwischen steht fest, dass es sich bei dem Gas vornehmlich um Phentanyl – ein in der Anästhesie wegen erhöhten Risikos nicht mehr verwendetes Opium-Derivat – gehandelt hat. Helden müssen sich gewöhnlich nicht verstecken, dennoch ordnete Putin die Verleihung des Ordens per geheimen Ukas an. Der Festakt im Kollegium des FSB, an dem der Präsident selbst teilnahm, fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Es wäre auch nie ans Tageslicht gekommen, hätten sich nicht die Kämpfer der Spezialeinheiten „Alfa“ und „Wimpel“ in einem jetzt in der Nowaja Gaseta veröffentlichten Brief an den Sicherheitsausschuss der Duma darüber bitterlich beklagt. Beide Sondereinheiten hatten nach 58 Stunden das Musical-Theater gestürmt. Von ihnen wurden aber nur zwei Teilnehmer der Befreiungsaktion mit einer Medaille bedacht. In dem Brief heißt es: „Abgesehen davon, dass Pronitschew und Tichonow nicht dafür bestraft wurden, dass Terroristen bis ins Zentrum Moskaus vordringen konnten, erhalten sie noch die Sterne eines Helden, die denen weggenommen wurden, die nicht nur würdiger sind, sondern auch ihr Leben riskiert haben.“ Und der Chemiker habe zwar Leben gerettet, in den Augen vieler Geiseln bliebe er aber ein Mörder.

Geheime Helden, falsche Helden? Bei der Gelegenheit stellte sich heraus, dass FSB-Chef Nikolaj Patruschew, Generalstaatsanwalt Wladimir Ustinow und Wladimir Ruschailo, Chef des Sicherheitsrates, längst den Stern der heimlichen Helden tragen.

Ganz leer ausgehen wollten auch die Abgeordneten des Moskauer Stadtparlaments nicht. Nun gibt es eine Medaille für unermüdlichen Einsatz an der Nord-Ost-Front. Auch für jene, die gerade auf Dienstreise waren.

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