: „Wenn das so ist: Ja, ich bin’s“
Jahrzehntelang hat der FBI-Mann Mark Felt abgestritten, Deep Throat zu sein
BERLIN taz ■ Bis vor drei Jahren wusste selbst seine Familie nichts. Dabei hatte ihr Senior, W. Mark Felt, Jahrgang 1913, als „Deep Throat“ Geschichte geschrieben und wesentlich dazu beigetragen, 1974 Präsident Nixon zum Rücktritt zu zwingen.
Das heißt, geahnt haben müsste es seine Tochter Joan spätestens seit August 1999. Da stand plötzlich ein Mann vor ihrer Wohnungstür, der sagte, er sei Bob Woodward und wünsche ihren Vater zu sprechen. Der hatte in jener Woche rund um den 25. Jahrestag des Nixon-Rücktritts schon etliche Anrufe von Journalisten bekommen, die ihn fragten, ob er – während der Watergate-Affäre zweiter Mann im FBI – nicht doch jene geheimnisvolle Quelle der Washington-Post-Reporter Bob Woodward und Carl Bernstein gewesen sei. So viele übrigens, dass Joan eines Abends, nach einer Flasche Wein, auf dem Anrufbeantworter die Ansage aufnahm: „Wenn Sie eine Nachricht für Joan, Rob, Nick oder Deep Throat hinterlassen wollen, dann sprechen Sie nach dem Piepston.“
Umso seltsamer, dass Joan Felt trotzdem, wenn man der Erzählung des Anwalts John D. O’Connor im gerade veröffentlichten Artikel der Vanity Fair glauben will (www.vanityfair .com/pdf/pressroom/advance1 .pdf), mit dem Namen Bob Woodward nichts anfangen konnte und sich nur wunderte, warum ihr Vater, der die Fragen der Journalisten immer wütender verneint hatte, diesen einen nun gern sprechen wollte und sogar mit ihm essen ging.
2002, vor dem 30. Jahrestag der Watergate-Affäre, rief wiederum eine Reporterin im Haus der Felts im kalifornischen Santa Rosa an. Joan erzählte ihr von dem befremdlichen Woodward-Besuch, und die Reporterin schrieb in der Zeitung Globe einen Artikel unter dem Titel „Deep Throat enttarnt“. Das war zunächst nichts Neues, auch für Joan nicht. Denn schon etliche Male war ihr Vater öffentlich verdächtigt worden, am prominentesten in einem 1999 erschienenen Text im Atlantic Monthly. Doch dann rief eine Freundin der Familie an, Yvette La Garde, und fragte Joan, warum ihr Vater sein Geheimnis jetzt doch preisgebe. La Garde war eine der wenigen Personen, die von Mark Felt selbst seine Deep-Throat-Identität erfahren, wie die anderen ewiges Schweigen versprochen hatte und jetzt verunsichert war.
Joan Felt stellte ihren Vater zur Rede. „Ich weiß jetzt, dass du Deep Throat bist“, soll sie ihm laut O’Connors Erzählung gesagt haben. „Wenn das so ist: Ja, ich bin das“, habe ihr Vater geantwortet. Halb auf der Suche nach Anerkennung, halb in der Hoffnung, die Enthüllung versilbern zu können, habe die Familie dann den Vater gedrängt, an die Öffentlichkeit zu gehen, berichtet O’Connor, der Mark Felts Enkel Nick per Zufall kennen lernte und dann von der Familie um anwaltliche Hilfe gebeten wurde.
Mark Felt wollte nicht. Er fühlte sich nicht wohl – hatte er doch öffentlich stets alles abgestritten, hatte Reportern in ihre Notizblöcke diktiert, Deep Throat sei kein Held, der der Wahrheit gedient habe: „Das ist überhaupt nicht meine Sichtweise. Es wäre gegen meine Verantwortung als loyaler Angestellter des FBI, irgendwelche Informationen weiterzugeben“, sagte er 1999 einem Reporter. Es war dann, berichtet O’Connor, die Aussicht auf Bezahlung der Geschichte, die ihn überzeugt habe, sich schließlich doch zu erkennen zu geben. Die Familie hatte Schulden.
Aber was hat den Karriere-FBI-Mann überhaupt bewogen, entgegen sämtlichen Regeln zur Quelle des größten Präsidentschaftsskandals seit Andrew Johnson 1869 zu werden? Er selbst porträtierte sich, freilich ohne sich als Deep Throat zu identifizieren, stets als treuer FBI-Mann, in Sorge um die Zugriffe des Nixon-Teams im Weißen Haus auf die Ermittler. Die meisten Journalisten allerdings gehen davon aus, es sei die persönliche Kränkung gewesen, die ihn gegen Nixon aufgebracht habe, als der ihn bei der Nachfolge des verstorbenen FBI-Chefs J. Edgar Hoover überging.
33 Jahre hat das Geheimnis gehalten. Noch immer scheint Mark Felt zu fürchten, dass ihm nicht verziehen wird. Zwar zeigte er sich am Dienstag lachend den Fotografen vor seinem Haus. Doch Bob Woodward und die Washington Post – stinksauer, dass das sensationelle Ende der ureigensten Post-Geschichte aller Zeiten nicht von ihnen veröffentlicht wurde – melden Zweifel an. Ist Felt, nunmehr 91, nach einem leichten Schlaganfall bei schlechter Gesundheit wirklich Herr seiner Sinne? Oder ist er von einem Anwalt, der sein Vertrauensverhältnis missbraucht, zu einer Veröffentlichung gedrängt worden, der er bei klarem Kopf nie zugestimmt hätte? Wenigstens diese Geheimnisse bleiben. BERND PICKERT
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