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Vom Schiff in den Knast?

■ Kriminologe Elig: Flüchtlingsschiff ist „jugendgefährdend“

Die „Enbrica Marcel“ ist kein einladender Ort. Schlimmer noch: Mit der dortigen Unterbringungspraxis für minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge wird gegen geltendes Recht verstoßen - ein Grund für den Flüchtlingsarbeitsskreis Walle, Alarm zu schlagen.

Ungefähr 40 der derzeit etwa 340 Bewohner des Flüchtlingsschiffes sind zwischen 16 und 18 Jahren alt, so der Betriebsleiter des Schiffes Karl-Heinz Reichwald. Er weiß anscheinend als einziger, was genau auf dem Flüchtlingsschiff passiert. Weder Jugendamt noch Ausländerbehörde überblicken, wie viele Jugendliche auf der „Embrica Marcel“ leben. Auch in der Sozialbehörde gerät Heino Heinken ins Schwimmen, wenn man nach den Zahlen fragt.

Immerhin: Von den drei Bewohnern des Schiffes, die keine 16 Jahre alt sind, hat er gehört. Die waren, laut Joachim Ostermann vom Amt für Soziale Dienste, nicht integrationswillig und sind deshalb aus den betreuten Wohnprojekten für Jugendliche in Bremen-Nord rausgeflogen. Daß die drei aber nun auf dem Schiff wohnen, ist nicht nur „eine pädagogische Bankrotterklärung“, wie der Kriminologe und Sozialarbeiter Olaf Elig sagt. Die Unterbringung widerspricht dem Jugendschutzgesetz. Betriebsleiter Reichwald weiß nichts von der nach dem Jugendschutzgesetz nötigen Erlaubnis, Jugendliche ganztätig zu betreuen. Pastor Friedrich Scherrer vom Flüchtlingsarbeitskreis Walle geht davon aus, daß die Erlaubnis nicht vorliegt. Reichwald: „Das ist aber irgendwie mit dem Jugendamt abgeklärt.“ Und dem ist die ahnungslose Sozialbehörde übergeordnet. Die Initiative, die Jugendlichen auf dem Schiff zwischenzuparken, ging ebenfalls nicht von der „Embrica Marcel“ aus. „Die Verantwortung trägt das Jugendamt“, sagt Reichwald. Seit Anfang des Jahres seien bereits 12 Jugendliche unter 16 Jahren so „zwischengeparkt“ worden. Die Kapazitäten im betreuten Wohnen hätten einige Male eben nicht ausgereicht. Um die „weggeparkten“ Jugendlichen kümmert sich im Jugendamt niemand. Ostermann:„Das Amt greift erst ein, wenn wir signalisiert bekommen, daß Erziehungsbedarf da ist.“

Bei diesem Desinteresse für die Situation der jungen Flüchtlinge wundert es nicht, daß in Bremen die Sechzehnjährigen automatisch als Erwachsenen eingestuft und auf das Schiff verfrachtet werden. Das steht durchaus im Einklang mit dem Asylgesetz, aber, so Pastor Scherrer: „In anderen Bundesländern wie Hessen wird diese „Kann“-Bestimmung differenzierter eingesetzt.“ Dabei sind sich Betreuer wie Hille Lühring vom Arbeiter-Samariter-Bund sicher, daß auch die Heranwachsenden zwischen 16 und 18 Betreuung gebrauchen könnten: „Ein siebzehnjähriger Deutscher ohne Eltern wird auch nicht wie ein Erwachsener behandelt. Woher sollen die wissen, wie man beim Anerkennungsverfahren den eigenen Fall gut vertritt.“

Auf dem Schiff wird der Bedarf deutlich: Von den etwa 40 Heranwachsenden gehen nur 12 zur Schule. Maria Jansen, eine Soziarbeiterin des Schiffes: „Analphabeten können wir nicht helfen. Die lassen es ganz. Andere aber wollen gar keine Hilfe, sondern ihr eigenes Leben leben.“ Einige würden das unreglementierte Leben auf dem Schiff genießen.

Der Sozialbehörde scheint das nur recht. Diese Bequemlichkeit fördere aber, so Emig, „Faktoren, die kriminelle Handlungen begünstigen.“ Die Jugendlichen wachsen in einem Umfeld auf, daß durch Schlägereien und Festnahmen geprägt sei. Sein Fazit: „Das Schiff ist jugendgefährdend. Und wenn die Jugendlichen von den Bedingungen auf dem Schiff die Nase voll haben, gleiten sie fast automatisch in die Illegalität. Und dort sind erst recht Erwachsenen ausgeliefert - auch solchen, die nicht das Beste für sie wollen.“ L.R.

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