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Zurück zur dampfenden Scholle

■ Wenn sich beim Bergdoktor Naturmystik und Rassegeilheit paaren: Ein Buch über den täglichen Faschismus in TV-Serien

Amerika, du hast es besser! Steven Spielberg ist es in „Schindlers Liste“ gelungen, Art Spiegelman mit „Maus“ ebenso: Das Nichterzählbare des Nationalsozialismus zu erzählen. Schon die Soap- opera „Holocaust“ hatte hierzulande den Mythos der „Faszination Hitler“ durch die Frage nach Schuld ersetzt. Und die populäre Kultur von Film und Fernsehen der Bundesrepublik? Georg Seeßlen meint, sie habe „so kläglich, so verräterisch versagt“. Statt dessen habe sich die Kultur des Faschismus, wenn auch in modifiziertem Gewand, fortgesetzt. Nicht braun, sondern „bonbonfarben“.

Ein provokanter Essay über die „Wiedergeburt der alten deutschen Unterhaltungsmythen“ und die „Rekonstruktion des ,alten Glücks‘“ ist Seeßlen da gelungen. „Das deutsche Fernsehen von heute ist, grob gesagt, das politisch entschärfte und privat verschärfte Fernsehen des Faschismus“, lautet seine Hauptthese; und die Fakten, die folgen, sind alles andere als grob und füllen eine lange Liste. Nach den leisen Tönen der Sechziger und dem pädagogischen Eifer der Siebziger sei das Fernsehen heute wieder da, wo es unter Goebbels schon einmal war: bei Blut und Boden, Schwert und Pflug, bei der dampfenden Scholle.

In der Heimatserie verbinde sich der reiche Adlige mit dem Ökologen, der alte mit den neuen Reaktionär. Eine „bizarre Melange aus ökologischen, ständischen und völkischen Impulsen“ bilde sich da, „in der auch die Frau wieder auf ihren Platz geschickt wird: in die Küche“. Die adlige Welt werde als Traumreich rekonstruiert, und in den Bergserien entdeckt Seeßlen eine neue Naturmystik, die sich mit alter „Rassegeilheit“ paare.

Die Arztserien, in denen sich der Doc als „Berufener fühlt, der einer Bestimmung folgt“, seien „Einfallsschneisen für die mythische Konstruktion der ,Gemeinschaft‘“. Ohne Scham würde der Mythos der zwei größten deutschen Problemlöser neu geschaffen: Arzt und Mutter. Die Familienserie propagiert die hundertprozentige Mutterolle der Frau. Pfarr- und Lehrerserien zaubern Kleinstadtidyllen – die Unternehmer sind alle nett und alteingesessen. „Der Kapitalismus in den deutschen Fernsehserien sieht genau so aus, wie der Kapitalismus in den Ufa-Filmen ausgesehen hat.“ Völkisch, familiär und hierarchisch.

Serienautor Herbert Reinecker, „der zu den personalen Kontinuitäten der deutschen Unterhaltung (und Propaganda) vom ,Dritten Reich‘ in die Postmoderne des Deutsch-Seins gehört“, erklärte sein Credo so: „Aufbruch- und Umbruchzeiten, irgendeine gewaltige Denkunruhe ist unterwegs. Ruhige Plätze, Zuhauseplätze, sind selten geworden.“ Reinecker schafft diese Zuhauseplätze, indem er die Provinz idealisiert, und die Stadt, in der die Intellektuellen leben, verteufelt. Der emanzipierten Frau wird die natürliche entgegengestellt. Das Fremde wird abgewehrt, eine reaktionäre Moral hoffähig gemacht. Peter Köpf

Georg Seeßlen: „Natural Born Nazis: Faschismus in der populären Kultur“. Edition Tiamat, 192 Seiten, 28 DM

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