: Kleindealer müssen weiter kotzen
■ OLG-Urteil gegen Brechmittel–Zwang gilt in Bremen nicht
In Bremen werden Polizeiärzte weiterhin unter Zwang Nasensonden legen und Brechmittel verabreichen, wenn die Polizei den Verdacht hat, daß der Festgenommene Rauschgift-Kügelchen verschluckt hat. Dies erklärte gestern die Pressesprecherin des Ressorts, Lisa Lutzebäck. Der Staatsrat im Justiz-Ressort, Michael Göbel, hatte seinem Senator zwar empfohlen, die Brechmittel-Praxis in Bremen zu beenden, nachdem das Frankfurter OLG-Urteil diese Praxis als „Verstoß gegen die Pflicht zum Schutz der Menschenwürde und gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht“ verworfen hatte (vgl. taz 14.10.). Senator Scherf hat nun aber anders entschieden.
In dem Urteil hatte das Oberlandesgericht sehr grundsätzlich argumentiert. „Es widerspricht der menschlichen Würde, den Menschen zum bloßen Objekt im Staate zu machen“, heißt es da. „Seine Entscheidungsfreiheit, die darin liegt zu entscheiden, ob er sich seines Mageninhaltes auf diese Weise entledigen will oder nicht, wird ihm genommen.“ Da der Vorwurf der Kleindealerei, der dem vorgeführten Mann gemacht worden war, ein „nicht allzuschwerer Tatvorwurf“ sei, „verbot sich (der zwangsweise Brechmittel-Einsatz) auch bei einer einfachen Gegenüberstellung von Mittel und Zweck“. Es gehe um den „allgemeinen Grundsatz, daß die Wahrheit in Strafverfahren nicht um jeden Preis, sondern nur auf justizförmige Weise, d.h. in einem rechtsstaatlich geordneten Verfahren erforscht werden darf“.
Für die Bremer Justiz geht diese Argumentation zu weit. Danach wäre ja selbst die erzwungene Blutprobe bei Alkohol-Sündern ein Eingriff in die Menschenwürde, meinte Lutzebäck. Für Bremen sei weiterhin ein Düsseldorfer OLG-Spruch von 1994 entscheidend, in dem der Brech-Zwang als angemessenes Mittel zur Beweissicherung bezeichnet wird.
In Bremen sind zwischen Mai und Oktober 1996 insgesamt 55 Personen als verdächtigte Kleindealer zur Brechmittelvergabe vorgeführt worden. Bei 36 Personen wurden Rauschgift-Kügelchen, meist Kokain, gefunden.
70 Prozent der Betroffenen waren unter 21 Jahren alt. Empfindliche Strafen werden von den dafür zuständigen Jugendgerichten normalerweise nicht verhängt.
Die minderjährigen schwarzafrikanischen Asylbewerber werden, so die Vermutung der Justiz, systematisch von den Drogen-Ringen für den Straßenverkauf angeworben, weil dieser Personenkreis unter keiner besonderen Strafandrohung stehe und schnell ausgetauscht – da nach Abschluß des Asylverfahrens abgeschoben – werdeden könnten. Das Risiko für die Hintermänner des Drogenhandels sei bei diesen kleinen Straßen-Dealern denkbar gering. K.W.
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