Kontaminationsgefahr

Sendbote schädlicher Strahlen, Wirklichkeitskonstrukteur und Kommunikations- manipulator: Das Fernsehen ist ein Experte der Paranoia  ■ Von Harry Nutt

Die ersten Fernsehsendungen meines Lebens sah ich Mitte der sechziger Jahre bei Tante Sefa in Ovenhausen. Sie überließ uns der Kinderstunde „Basteln mit Tante Erika“, meist mit der Mahnung, nicht zu nah an den Kasten heranzurücken. Allgemein galt die Vorstellung, daß vom Fernsehapparat gefährliche Strahlen ausgehen, weshalb das Bildmöbel dieser Zeit vielfach in Truhen gehalten wurde, denen man nach Empfangszeit eine Klappe vorschieben konnte.

Daß das Fernsehen in der allgemeinen Vorstellung ein Sendbote gefährlicher Strahlen blieb, läßt sich bis heute an den verschiedenen Beiträgen zur Mediendebatte ablesen. Kommunikation erscheint darin als eine Art sensibles System, das allerlei Strahlenbelastung und Verschmutzungsgefahren ausgesetzt ist. Die Bilder, die zu erhellen vorgeben, haben einen düstren Nachschein: „(...) die vollends aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils“, heißt es apokalyptisch gleich zu Beginn von Horkheimer/Adornos „Dialektik der Aufklärung“, dessen Kapitel über „Kulturindustrie“ zum heiligen Text aller Medienkritiker wurde. Etwas umweltgruppenmäßiger wurde die Verstrahlungsthese in der Nachfolgezeit von Adepten wie dem Amerikaner Neil Postman gehandhabt: „Ich behaupte, daß eine auf dem Fernsehen beruhende Epistemologie die öffentliche Kommunikation und die sie umgebende Landschaft verschmutzt“, schreibt er in seinem berühmten Buch „Wir amüsieren uns zu Tode“.

In der Vorstellung der Verunreinigung von etwas vormals Sauberem wird Kommunikation als etwas Organisches aufgefaßt, das nach Befall offenbar nur unter größten Mühen wieder zu heilen ist. Manipulation ist demnach gar kein politischer, sondern ein ökologischer Begriff. Es herrscht permanente Kontaminationsgefahr. So mutmaßte Ulrich Greiner in der Zeit vom 30. August 1996: „Die Gehirnverschmutzung, die Abend für Abend an den Fernseh- und Videogeräten geschieht, hat ja wohl ihre Folgen.“ Die Halbwertzeit der Bilder mag kurz sein, aber ihre Flut führt den Schlamm sozialer Verheerungen mit sich. Die drohende Gefahr rührt her von einer anderen Seite der Vernunft. Sie hat die Ausmaße eines Naturereignisses. Sie kriecht, flutet oder strahlt. Jeder Versuch einer Begrenzung erscheint zwecklos.

Daß Strahlen im Zusammenhang mit Paranoia von symbolischer Bedeutung sind, zeigt der in der Psychologiegeschichte prominente Fall des früheren Dresdener Senatspräsidenten Schreber, dessen Buch „Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken“ im Jahre 1903 erschien. Die schwere Nervenkrankheit Schrebers war zunächst vom Leipziger Psychiater Flechsig erfolgreich behandelt worden. Acht Jahre lang blieb Schreber völlig gesund, ehe die Wahnvorstellungen wiederkehrten, in denen nun auch Flechsig eine Rolle spielte: Der Nervenarzt schickte böse Strahlen gegen Schreber aus, die auf diesen einredeten.

Beobachten und beobachtet werden

Es ist symptomatisch für jede Form von Paranoia, daß die unsichtbare Bedrohung nicht zu entkräften ist. Der Paranoiker sieht sich geheimnisvollen Mächten und Verschwörungszusammenhängen ausgesetzt, gegen die Relativierungen der Vernünftigen nichts ausrichten können, und Beschwichtigung ist ihm nur ein weiterer Beleg für die Reichweite der verborgenen Macht.

Daß Schreber sich durch Strahlen bedroht sah, war nicht bloß metaphorisch zu verstehen. Wilhelm Conrad Röntgen hatte 1895 „neue Art von Strahlen“ entdeckt, die er als X-Strahlen bezeichnete. Deren Durchdringungsvermögen faszinierte die Menschen um 1900. Noch vor Bekanntwerden der gesundheitsschädigenden Wirkung der Strahlen vermochten sie jedoch auch in hohem Maße zu ängstigen. Durch unsichtbare Strahlen, lautete das verbreitete Unbehagen, können wir beobachtet werden bis auf die Knochen. Die Durchdringung des Körpers mit Strahlen war eine weitere Erschütterung des menschlichen Selbstbewußtseins nach der Entdeckung Darwins, der Mensch stamme vom Affen ab.

Dem bürgerlichen Individuum wurden eine Reihe von Entwertungsdiskurse zugemutet. Mit der Entdeckung des Unbewußten behauptete Freud, daß der Mensch nicht mehr Herr im eigenen Seelenhaushalt sei, und Nietzsche propagierte den Tod Gottes. Und Gottesferne war nicht zuletzt ein Bestandteil des Schreberschen Wahnsystems. Wiederholt beklagt er die Unfähigkeit Gottes, der nur mit geläuterten toten Seelen verkehrte, die Lebenden zu verstehen. Gegen Schreber habe Psychiater Flechsig es sogar geschafft, mit Gott ein Komplott zu schmieden: ihn nämlich unter Verwendung von Strahlen um den Schlaf zu bringen, um so seinen geistigen Zusammenbruch herbeizuführen. Ein babylonisches Geflüster stürzte über Schreber herein. „Ich könnte hier Hunderte, wenn nicht Tausende von Namen nennen, die als Seelen mit mir verkehrten. (...) In der Tat wird, seitdem die Welt steht, wohl kaum ein Fall wie der meinige vorgekommen sein, daß nämlich ein Mensch nicht bloß mit einzelnen abgeschiedenen Seelen, sondern mit der Gesamtheit aller Seelen und mit Gottes Allmacht selbst in kontinuierlichen Verkehr getreten wäre.“

Womit wir wieder beim Fernsehen wären. Hatte nicht Margarethe Schreinemakers stets den Eindruck erweckt, mit der Gesamtheit aller Seelen in Kontakt treten zu wollen? Gottes Allmacht trat ihr schließlich in Gestalt des Bundesfinanzministers gegenüber. Sie glaubte die Ministerferne, mit der der Normalmensch in der Regel wenig Probleme hat, herausgefordert zu haben. Als später eine Steueraffäre um ihre in den Niederlanden beheimatete Produktionsfirma bekannt wurde, äußerte diese den Verdacht, der zuständige Minister beabsichtige sie fertigzumachen. Es gehört zu den Eigenschaften des Paranoikers, sich nicht unterkriegen zu lassen. Frau Schreinemakers nahm die Kampfansage des Ministers an. Immerhin hatte dieser öffentlich in einer Rede geäußert, es gehe nicht an, daß hochbezahlte Fernsehmoderatorinnen Steuervergünstigungen erhalten. Womit wir uns vollends in einer Paranoikererzählung befänden.

Ich erinnere mich gut daran, wie wir in unserer Wohngemeinschaft in den späten siebziger Jahren fest davon überzeugt waren, daß unsere Telefongespräche vom Dezernat „Politische Polizei“ abgehört wurden. Wenn Demonstrationen und Plakataktionen in Vorbereitung waren, bemühten wir uns, die Gespräche zu verschlüsseln. Daß der Feind mithörte, schien uns selbstverständlich. Heute kommt es mir so vor, daß unser Verhalten viel mit der stets gegenwärtigen Befürchtung zutun hatte, daß „wahrscheinlich wieder kein Schwein guckt“, eine Befürchtung, die in einer Zeit, wo jeder auf seine Viertelstunde Berühmtheit pocht, wohl noch zugenommen hat. Wir jedenfalls wären enttäuscht gewesen, wenn sich herausgestellt hätte, daß unsere Telefongespräche nicht abgehört wurden.

Paranoia meint genau dies: eine krankhafte Fixierung auf Fragen des Beobachtens und des Beobachtetwerdens. Schrebers planetarisches System, das er bis ins Detail ausmalte, war ein Versuch, mit der Gottesferne, die fürchterliche Ahnung, nicht beobachtet zu werden, zu Rande zu kommen.

Demaskierungs- und Kausalitätssucht

Wie sehr eine Paranoia Einfluß auf die sozialen Verhältnisse gewinnen kann, zeigt ein Beispiel aus den siebziger Jahren: Linke Gruppierungen waren in ihrer politischen Radikalität inständig darum bemüht, das Schweinesystem zum Abreißen seiner demokratischen Maske zu bringen, daß darunter das faschistische Gesicht des Polizeistaates zum Vorschein käme. Zwei Absichten, die für den Paranoiker von fundamentaler Bedeutung sind, Entlarven und Demaskieren, hatten sich die Politaktivisten zu ihrer Hauptaufgabe gemacht. Es ging nicht darum, etwas zu tun, sondern darum, etwas zu zeigen. Weltverbesserung mit Zuschauer. Das System war nicht so, wie es sich zeigte. Das wahre Gesicht des Staates mußte, so die Logik, die den Terrorismus zu legitimieren versuchte, mit allen Mitteln zum Vorschein gebracht werden. So gesehen war der Terrorismus eine Form wahnhaften publizistischen Aktivismus.

Die Medien ihrerseits sind paranoid in ihrer Konstruktion von Welt. Neben ihrem Drang, zu demaskieren, ist Kausalitätssucht ein auffälliges Merkmal. Ist erst einmal ein katastrophischer Anfang gemacht, fallen plötzlich überall Flugzeuge vom Himmel. Gegen alle Statistik verstärkt sich der Eindruck des Immer-öfter und Immer-mehr. Das Fernsehen ist ein Experte der Paranoia. Frau Schreinemakers hatte also recht. Und wer sich in der bayerischen Politik auskennt, stößt unweigerlich auf psychopathische Traditionen. Gegendarstellung zwecklos.

Gekürzte Fassung eines Essays, der in der nächsten Ausgabe der Zeitschrift „Der Alltag“ erscheinen wird