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Ägypterinnen dürfen wieder unters Messer

Verwaltungsgericht in Kairo hebt Verbot der Mädchenbeschneidung auf – Sieg für konservative Islamisten. Untersuchungen zufolge sind vor allem Frauen für Beschneidung  ■ Aus Kairo Karim El-Gawhary

Der Verwaltungsgerichtshof Ägyptens hat gestern in einer überraschenden Entscheidung ein Dekret des Gesundheitsministers vom letzten Sommer aufgehoben, laut dem Mädchenbeschneidung unter Strafe gestellt worden war. Mit dieser Entscheidung kann die Verstümmelung weiblicher Genitalien von nun an wieder uneingeschränkt vorgenommen werden.

Mit Siegeszeichen erschien der Kläger, Scheich Jussuf al-Badri, nach dem Urteil auf den Stufen des Gerichtsgebäudes in Kairo. „Gott sei Dank, ein Sieg auf der ganzen Linie“, verkündete der erzkonservative Scheich selbstbewußt. Al- Badri hatte im Oktober gegen die Entscheidung des Gesundheitsministers geklagt. Vorher hatte er es bereits durch seine Verfahren gegen angeblich vom Islam Abtrünnige zu zweifelhaftem Ruhm gebracht. Feierstimmung herrschte auch bei einer Gruppe seiner Anhänger vor dem Gerichtssaal. Einige anwesende Frauen begrüßten das Urteil mit Jubeltrillern.

Al-Badri bezieht sich in seinem Einsatz für die Mädchenbeschneidung auf verschiedene Überlieferungen des Propheten Muhammad. Diese Interpretation wird allerdings von vielen anderen islamischen Rechtsgelehrten abgelehnt, laut denen die Mädchenbeschneidung eine afrikanische Tradition ist, die nichts mit dem Islam zu tun hat. Auch der Großscheich der Azhar-Universität, Muhammad al- Tantawi, hat sich bereits vor Jahren auf die Seite der Beschneidungsgegner geschlagen. Dennoch übernahm das Gericht in einer ersten Begründung Badris Interpretation und zitierte ebenfalls aus der Überlieferung des Propheten. Offen bleibt zunächst noch, ob der Gesundheitsminister Ismail Sallam in Berufung gehen wird. Glaubt man früheren Erklärungen des Ministers, wird es unter ihm keine erneute Zulassung von Frauenbeschneidung geben.

Ägyptische Menschenrechts- und Frauengruppen sind über das Urteil schockiert. Als „eine Katastrophe“ bezeichnete Maha Atiya von der Menschenrechtsorganisation EOHR die Entscheidung. „Wir werden unsere Aktivitäten verstärken. Das Urteil bedeutet nichts anderes, als das wir uns mehr anstrengen müssen, den Leuten zu erklären, welchen Schaden dieses Praxis bei Frauen anrichtet“, erklärte Amal Fahmi vom „Infozentrum Frauenbeschneidung und Gewalt gegen Frauen“ in Kairo. „Das ist total demoralisierend für alle, die in den letzten Jahren dagegen gearbeitet haben“, sagte die Gynäkologin Mawehed El-Mouelhy vom Kairoer Familienplanungszentrum sichtlich unter Schock. „Wir sind wieder auf dem Nullpunkt gelandet.“

Noch vor weniger als einem Jahr hatten die Beschneidungsgegner die Entscheidung des Gesundheitsministers als einen gewaltigen Schritt nach vorne und als erste Frucht ihrer langjährigen Arbeit begrüßt. Das Verbot, so meinten damals viele von ihnen, müsse allerdings auch von einer Aufklärungskampagne ergänzt werden, da es ansonsten nur schwer durchsetzbar sei. Nach neueren Studien sollen bis zu 90 Prozent aller ägyptischen Frauen, sowohl Musliminnen als auch Christinnen, beschnitten sein. In den letzten zwei Jahren sind offiziell fünf Mädchen an den direkten Folgen der Beschneidungsoperation gestorben. Die Dunkelziffer liegt wahrscheinlich weit höher.

Nach einer Studie der Kairoer Ain-Schams-Universität setzen sich vor allem Frauen für die Beschneidung der nächsten Generation ein. Bei fast der Hälfte aller Befragten in Kairo hatte die Mutter die Entscheidung herbeigeführt. Ein Drittel der Befragten gab Tradition als Grund für die Beschneidung an, ein weiteres Drittel Religion. Vergleicht man die verschiedenen Generationen, geht die Beschneidungsrate nach dieser Studie in Kairo langsam zurück. Wurden vor 20 Jahren danach noch 94 Prozent der Frauen beschnitten, liegt die Rate heute bei ungefähr 80 Prozent. Als Grundregel gilt: je höher der soziale Stand und die Bildung, desto geringer die Beschneidungsrate.

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