: Kirche ohne Kirchenmusik
■ Kirchenmusik-StudentInnen erhalten auf Jahre hinaus keine Stellen / Musikhochschule will darüber nächste Woche beraten
Stellen wir uns vor: In drei Jahren gibt es am Dom, aber auch in den Kirchen St. Ansgarii und Unser Lieben Frauen keine Musik mehr. Derartig Unvorstellbares kann passieren: Denn die Kirchengemeinden müssen sparen und sind deshalb gehalten, auch ihr Personal zu kürzen. Und weil evangelische Kirchengemeinden autonom sind, entscheiden sie selbst, welches Aushängeschild ihnen wichtig ist – und ob dabei die KirchenmusikerInnen hinten runterfallen. In der kommenden Woche wird es dazu eine Sitzung in der Musikhochschule geben.
Personalpolitik betreiben die Gemeinden nach einem „Personalpunktekontingent“. Es wird auf der Basis der „Seelen“– wie man Gemeindemitglieder im Kirchenjargon so schön nennt – errechnet: Für einen Punkt gibt es 7.500 Mark pro Jahr. So könnte die Dom-Gemeinde eine Punktzahl für eine A-Kirchenmusiker-Stelle (so benannt nach Größe der Gemeinde und Ausbildung des Musikers) gar nicht mehr erreichen. Sondern die Gemeinde könnte entscheiden, die ihnen zustehenden Punkte für einen Diakon, eine Kindergärtnerin aber nicht für einen Kirchenmusiker einzusetzen.
„Theoretisch kann das sein. Praktisch nicht“, bestätigt Landeskirchenmusikdirektor Günter Koller. Dazu müßten aber Sonderkonditionen geschaffen werden, die der übergreifenden und überregionalen künstlerischen Arbeit Rechnung tragen. „Dafür habe ich schon vor Jahren gekämpft, bin aber hinten runtergefallen“, so der Präsident der Bremischen Evangelischen Kirche Heinrich Brauer. „Nun werden diese Überlegungen bedrohlich aktuell“. In Hamburg wird mit den rein künstlerischen Stellen zum Beispiel an der Katharinenkirche diese Sonderkonstruktion bereits praktiziert.
Noch gibt es in Bremen zehn A- und 26 B-Stellen. Bei derzeit 290.848 Mitgliedern ist nicht nur die Zahl der Kirchenaustritte – 4.000 pro Jahr bei 500 Eintritten – dramatisch fortgeschritten. Auch der Finanzausgleich mit Niedersachsen ist ungewohnt gestiegen: „Wir müssen heute an Niedersachsen 40 Prozent der Kirchensteuer abgegeben gegenüber noch vor kurzem 25 Prozent“, so Brauer. „Im Jahre 2000 werden die Rücklagen, aus denen wir jetzt schon viele Stellen bezahlen, aufgebraucht sein“. Schon in einer Sitzung im März 1996 wurde nach einem Beschluß des Kirchentages die Sparquote von 25 Prozent bekannt.
Zurückgetreten ist Kirchenmusikdirektor Günter Koller kurz vor den Sommerferien. Das allerdings habe – nach seiner Aussage – mit den aktuellen Problemen nichts zu tun. „Ich bin überlastet. Der Posten wurde immer mehr Verwaltungsarbeit“. Koller ist davon überzeugt, daß die Kirchenleitung die derzeitige Ausstattung der Kirchenmusik im Prinzip erhalten will. Nur: „die Gemeinden sind autonom“.
So nutzt zum Beispiel die Gemeinde St. Ansgarii 63 Personalpunkte, nur 45 stehen ihr mit unter 5.000 „Seelen“zu. Vierzehn Punkte besetzt Kirchenmusiker Wolfgang Mielke, dessen Aufführungen längst einen überregionalen Ruf genießen. Angst? „Jein“.
Schlechte wenn nicht gar keine Chancen haben da die 24 bremischen Kirchenmusik-StudentInnen. Denn freie Stellen sollen mit Menschen besetzt werden, die bereits eine Stelle haben. „Die Studenten gehen ohnehin schon zu 80 Prozent ins Rheinland oder nach Nordrhein-Westfalen, hier ist Wüste“, bedauert der Kirchenmusikdirektor. Daß in dieser Situation einer der berühmtesten Organisten der Welt, Hans Ola Ericsson, mit einer Professur ausgestattet wird, zeigt: An der Musikhochschule geht man in die Offensive.
„Überragendes künstlerisches Können“ist sein Credo, und auch die Studentin Karin Gastell meint: Immer weitere Qualifizierung ist heute die einzige Chance“. „Aber die Angst bleibt, in was man da eigentlich investiert. In Bayern wird man nur mit fünf Jahren Berufserfahrung angestellt. Wo sollen wir die denn herkriegen?“Ob und wie die bremische Musikhochschule den neuen Anforderungen Rechnung trägt, welche Ausbildungskonzepte sie entwickelt, wird sich in der kommenden Woche entscheiden. Ute Schalz-Laurenze
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