: Schaufenster des Sozialismus
Von der Architektur rund um das Kino International ist nur wenig geblieben. Letzter Teil der Serie „Hauptstadtdesign 49/90“ ■ Von Hans Wolfgang Hoffmann
Das Kino als Generator das Blicks: Meist setzt dieses Erlebnis erst ein, wenn der Film beginnt. Im Kino International wird bereits der Weg zwischen Kasse und Kinosessel zum Ereignis. Der Cineast wird zum Flaneur. Der Boulevard begleitet ihn durch das ganze Haus. Das Gebäude öffnet sich auf ganzer Breite. Das sanft ansteigende, weit auskragende Obergeschoß scheint seine Besucher förmlich einzusaugen. Das Straßenpflaster setzt sich im Gebäude fort. Die rötlich-grauen Werksteinriemchen sind innen und außen gleich. Unzählige Lichter in goldeloxiertem Aluminiumblech leugnen, daß die Halle gedeckt ist. Sanfte Stufen, eine weitläufige Treppe: Der Weg nach oben ist ein Schreiten.
Dann das Foyer! Raumhohe Glasscheiben, von zerbrechlichen Messingprofilen kaum gehalten, eröffnen ein Panorama. In den riesigen Sesseln scheint man mitten im Geschehen zu sitzen. Die Karl- Marx-Allee, unten eine schnöde Verkehrsschneise, wird von hier oben zum Schauplatz. Die Pavillonbauten, eben noch zusammenhangslose Einzelstücke, verschmelzen zu einem Forum.
Das Ensemble um das Kino International war einst die prominenteste Ecke der DDR. Die Instutionen, die sich hier konzentrierten, strahlten weit über die Kreuzung hinaus: Das Hotel Berolina auf der nördlichen Seite war der erste Neubau, in denen der junge Staat ausländische Gäste empfing, in der Gaststätte Moskau gegenüber präsentierte sich der wichtigste „befreundete Staat“ kulturell und kullinarisch.
Mit dem zweiten Bauabschnitt der Karl-Marx-Allee wurden erstmals jene Prinzipien in Architektur umgesetzt, in deren Rahmen Waren verteilt, freie Zeit verbracht und Öffentlichkeit in der sozialistischen Gesellschaft stattfinden konnte. Die Formensprache, mit denen Josef Kaiser hier Anfang der sechziger Jahre fünf Ladenlokale, Kino und Hotel als Gesellschaftszimmer gestaltete, wurde stilprägend. Das galt für die Geschäftshäuser am Fernsehturm genauso wie für die typisierten Kaufhallen und Betriebsgaststätten der Provinz.
In der individualistisch-kapitalistischen Stadt ist der öffentliche Raum knapp und klar vom Privaten getrennt. Der Staat beschränkt sich auf die Infrastruktur. Die Gestaltung von Geschäftsbauten ist Privatsache. Das Ladendesign versucht jeden Passanten zum Kaufen zu animieren.
In der sozialistischen Stadt dagegen galt das Primat der Öffentlichkeit. Die Ladenlokale, die hier stehen, sind keine Geschäfts-, sondern „gesellschaftliche Bauten“ und daher nicht an die Bauflucht gebunden. Sie stehen frei „in“ der Straße, geradewegs über ihr Pflaster gebaut. Lediglich die spannungsreiche Komposition der Baumassen hält die Solitäre zusammen, sie spannt einen Platz senkrecht über den Boulevard.
Die übergroßen Scheiben, deren Formate wie im Westen durchweg an der Obergrenze dessen liegen, was produktionstechnisch mit Glas machbar ist, heben die Grenze auf zwischen Innen und Außen, zwischen Kaufen und Flanieren. Der Aufenthalt im Gebäude ist genauso ungezwungen wie auf der Straße. Der Boulevard scheint sich im Gebäude fortzusetzen. Man schreitet über großzügige Treppen, Emporen und Galerien, die keine Verkaufsfläche schaffen, sondern nur Architekturqualitäten. Der Raum scheint unbegrenzt. Lichtdecken nehmen dem oberen Raumabschluß die Schwere. Die einzelnen Bereiche des Restaurants Moskau gehen fließend in einander über. Die wenigen Wände, die russisches und ukrainisches Restaurant, Natascha- und Nachtbar, Wein- und Teestube, Ausstellungs- und Verkaufsbereich trennen, bestehen aus Glas und Licht. „Beim Durchschreiten der Räume hat man die Empfindung, daß der ganze Baukörper transparent ist“, schrieb ein zeitgenössischer Kritiker. „In der Mokka-Milch-Eis-Bar hab' ich sie gesehen...“ besang einst „Team 4“ die Magie, die von diesen Blickbeziehungen ausging.
Konsumanimation schied in der Planwirtschaft als Motiv der Ladengestaltung aus: Es gab keine Konkurrenz. In der Theorie gehörten die Handelsgüter dem Volk bereits, somit mußte nur noch verteilt werden. In der Praxis waren die Waren ohnehin knapp und wenig innovativ. Das Design reagierte darauf. Statt Werbung gab es Kunst. Den Eingang des Moskau ziert ein 9 mal 15 Meter großes Mosaik von Bert Heller „Aus dem Leben der Völker der Sowjetunion“. Ein Betongußrelief umspannt den Saal des Kinos International. Nicht die Artikel, sondern die Architektur verhieß Luxus: Die Wände sind mit Esche, Ahorn oder Cebrano verkleidet, die Böden mit Mamor, Silikat- oder Kalk-Werkstein belegt. Die wenigen Regale wurden fest eingebaut. Die Größe der Geschäfte steht in keinen Verhältnis zu ihrer Verkaufskapazität. Die Schaufenster waren keine Warenvitrinen, sondern „Fenster auf das vom Volk Geschaffene“ (Simone Hain).
Von den sieben Bauten des Ensembles ist heute nur noch das Kino International im Originalzustand. Schon die DDR trennte sich in den Achtzigern vom Gedanken des kollektiven Raumes. 1982 begann sie, die Innenräume des Cafés Moskau umzugestalten. Um „die zum Teil vorhandene anonyme Großräumigkeit zu überwinden“, ließ Architekt Gerd Pieper Wände einziehen. Sie wurden mit Wandteppichen in traditionellen Mustern dekoriert. In drei neuen Salons „Minsk“, „Riga“ und „Kaukasus“ feierten geschlossene Gesellschaften hinter verschlossenen Türen. Stammgäste erkannten das Moskau nach der Umgestaltung kaum wieder, schrieben die Zeitungen.
Die Wende brachte das zur gewollten Gemütlichkeit passende Entertainment, doch nicht den Erfolg. 1995, nachdem eine Zwischennutzung als Diskothek die Inneneinrichtung vollends ruiniert hatte, machte das Moskau endgültig dicht. Mehrfach scheiterten Versuche des Eigentümers, der Treuhand Liegenschaftsgesellschaft, das Haus zu verkaufen, an den bestehenden Mietverträgen und am Denkmalschutz für die Fassade. Das gleiche gilt für die übrigen Ladenlokale. Die Mokka- Milch-Eis-Bar hat seit der Wende ein halbes Dutzend Lokalitäten beherbergt. Jede brachte ihre eigene Erlebniseinrichtung mit. Auch die derzeitigen Mieter verfolgen entgegengesetzte Konzepte: Während Eis-Henning ein zweites Geschoß eingezogen hat, zog Albert's die Decke bis auf Galeriehöhe herunter, um dahinter die Lüftungsanlage zu verstecken.
Einzig das nördlichste Haus am Platz beweist, daß man die Architektur der DDR durchaus weiterbauen kann. Zwar wurde das alte Hotel Berolina im letzten Jahr abgerissen, doch ensteht an seiner Stelle binnen Jahresfrist das neue Rathaus Mitte. In Absprache mit der Denkmalpflege gehen die Berliner Architekten Bassenge, Puhan-Schulz, Heinrich, Schreiber mit seiner Kubatur nur wenig über die 40 Meter des Vorgängerbaus hinaus. Für die Fassade wählten sie einen lasierten Klinker, dessen Farbe weitgehend dem Hellblau der alten Keramikfliesen entspricht. In einem Punkt geht der Entwurf von Johannis Heinrich sogar noch weiter als die DDR: Während sich das Hotel wie alle Bauten einseitig auf die Karl-Marx-Allee orientierte, wird das Foyer des Rathauses durchgesteckt und den Boulevard mit dem dahinterliegenden Wohnquartier verbinden.
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