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■ Karlsruhe urteilt differenziert über Kündigungen wegen SED-NäheHoher Anspruch, schäbige Praxis

Die Kündigungswelle gegen ehemalige DDR- Staatsbedienstete fußte weitgehend auf verfassungswidrigen Kriterien. Dies hat das Bundesverfassungsgericht nun schon mehrfach festgestellt. Doch die ostdeutsche Politik, insbesondere in den Hardliner-Ländern Sachsen und Thüringen, tut weiterhin so, als wäre nichts passiert.

Nach der Wende wurde eine große Zahl von DDR- Bediensteten wegen allzu großer Systemnähe ausgesiebt. So wurden in Sachsen 5.700, in Thüringen 1.400 LehrerInnen gekündigt, vor allem weil sie SED- Funktionen ausübten. Zwar konnten sich die Betroffenen durch den Nachweis nonkonformistischen Handelns entlasten. Die Beweislast hatten aber die Gekündigten und nicht der Staat. Genau diese Rasenmäher-Praxis hält Karlsruhe für verfassungswidrig.

Gute Nachrichten für die Entlassenen? Keineswegs, denn nur wenige haben den Rechtsweg bis zum Ende, also bis nach Karlsruhe, ausgeschöpft. Viele gaben zuvor entmutigt auf, andere ließen sich auf einen Vergleich ein. Formal sind die Länder im Recht, wenn sie in diesen Fällen eine Wiederaufnahme verweigern.

Doch so einfach sollten es sich die Landesregierungen in Erfurt und Dresden nicht machen. Wenn das oberste deutsche Gericht sagt, daß die ostdeutsche Kündigungswelle generell falsche Kriterien anlegte, dann kann man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen und den Betroffenen sagen: „Pech gehabt. Ihr hättet ja weiterklagen können.“ Dies ist arrogant und läßt zudem jedes Unrechtsbewußtsein vermissen.

Mag sein, daß viele der Kündigungen politisch berechtigt waren. Das hat auch das Verfassungsgericht nicht bestritten. Aber häufig hat es eben keine Einzelfallprüfung gegeben, die diesen Namen verdient. Der Staat hätte den Betroffenen konkrete Verfehlungen nachweisen müssen – und das blieb aus. Wenigstens eine solche Einzelfallprüfung steht den Gekündigten heute moralisch zu.

Doch die Regierungen in Sachsen und Thüringen wissen schon, warum sie sich nicht darauf einlassen. Wenn einer LehrerIn vor fünf Jahren kein konkreter Vorwurf zu machen war, dann dürfte dies heute nicht anders sein. Eine neue Einzelfallprüfung würde daher wohl zur Wiedereinstellung führen, und das könnte die Länder teuer zu stehen kommen.

Nur: Wenn man fiskalisch denkt, sollte man dies wenigstens offen sagen, sich bei den Betroffenen entschuldigen und ihnen statt dessen einen ordentlichen Bonus für Neueinstellungen zubilligen. Alles andere ist schäbig. Christian Rath

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