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„Die Jungs gehen gnadenlos vor“

Anwohner und Händler der Bergmannstraße fühlen sich von einer Jugendgang bedroht. Sie sprechen von einem heißen Pflaster. Einige beklagen auch einen „nicht gelebten Multikulturalismus“. Polizei spricht von „Problemchen“  ■ Von Kirsten Küppers

Peter* ist Stammgast einer Kneipe in der Bergmannstraße. Eigentlich will er nur in Ruhe sein Feierabendbier trinken. Doch die Jungs mit ihren Kampfhunden vor dem Lokal rauben ihm die Ruhe. Schon des öfteren haben sie gedroht, ihm „den Bart abzufackeln“. Nun überlegt der zierliche Mann, sich „zum Selbstschutz eine Knarre zu besorgen“.

Die Bergmannstraße ist ein heißes Pflaster geworden, glaubt man den Berichten der AnwohnerInnen. Seit über zwei Jahren schickaniere eine Bande von türkischen Jugendlichen den Kiez um Bergmannstraße und Chamissoplatz – eine Gegend, die sonst eher für Lifestyle-Lokale oder als Einkaufsmeile für Schmuckdesign und Secondhand-Ware bekannt ist.

Dem Flaneur fällt auf der rausgeputzten Straße nur eine Gruppe Halbwüchsiger mit weiten Hosen, großen Turnschuhen und teilweise rasierten Köpfen auf. Doch die Liste der Klagen der KiezbewohnerInnen ist lang: Mit „heißgemachten Golfs“ bretterten die Mitglieder der Jugendgang die Straßen hoch und runter, veranstalteten „Wettbeißen“ mit ihren Pitbull- Terriern, vertrieben Kinder von Spielplätzen, bespuckten und beschimpften AnwohnerInnen als „Nutte“ oder „Nazischwein“. Die AnwohnerInnen machen die Jugendgang, deren Größe je nach Angabe zwischen zehn und zwanzig schwankt, für Prügeleien, Brandstiftungen und Rauschgifthandel verantwortlich. Die meisten der Betroffenen kennen die Jugendbande schon von klein auf.

Ralf* erzählt, daß er als Schwuler noch vor einigen Jahren „mit langem weißem Abendkleid auf dem Fahrrad durch die ganze Stadt gegondelt“, sei. Dies sei heute nicht mehr denkbar. Obwohl nicht der „Zierlichste“, traue er sich heute nicht mehr im Fummel vor die Tür.

Fragt man die Gewerbetreibenden rund um Bagelshop und Thai- Imbiß, so sprechen auch sie von zunehmender Gewaltbereitschaft auf der Bergmannstraße. Der Ruf nach mehr Polizei wird laut. So etwa von Renate Scheithauer, Besitzerin eines Zigarrenladens. Sie sei schon wiederholt von türkischen Jugendlichen überfallen worden. Seitdem sieht sie zu, nicht allein im Laden zu stehen. Johannes Sauer von „Noten in Kreuzberg“ um die Ecke ist zuletzt vor zwei Wochen die Kasse geklaut worden. Er konnte die jugendlichen Täter auf der Polizeiwache nicht identifizieren. Mittlerweile hat er sich eine Alarmanlage zugelegt. Der Besitzer eines Plattenladens hat sich mit einer Eisenstange bewaffnet. Er meint: „Die Jungs gehen gnadenlos vor.“

Die Polizei dagegen spricht nur von „Problemchen“ mit einer Gruppe von Jugendlichen, vor allem im Bereich der Bergmannstraße zwischen Zossener und Solmstraße. Kommissar Dietrich vom zuständigen Poizeiabschnitt erzählt, daß die Polizei seit April verstärkt in Uniform und zivil auf der Bergmannstraße unterwegs sei und Platzverweise erteile. Daß sich die Lage in den letzten Wochen etwas entspannt hätte, liege vor allem daran, daß „Angehörige der Gruppe sich woanders seßhaft“ gemacht hätten. Ein neuer Treffpunkt soll der nahe gelegene Marheinekeplatz sein. Die Bergmannstraße sei „eine eher ruhige Ecke Kreuzbergs“. Die Furcht der AnwohnerInnen sei vor allem „subjektives Bedrohungsempfinden“.

Trotzdem denken lang ansässige BewohnerInnen aus Resignation an Wegzug. Die Mieterberatung SPAS bestätigt, daß es vor allem Familien mit kleinen Kindern verstärkt ins Umland ziehe. Die Ursachen der Probleme sieht Wolfgang Bruckschen von SPAS in der schlechten Bildungssituation und mangelnden Arbeits- und Ausbildungsplätzen für die nichtdeutschen Jugendlichen. Um dem entgegenzuwirken, initiierte der Stadtteilausschuß schon Anfang Oktober eine Diskussionsveranstaltung zum Thema „Zoff im Kiez“.

Vergangene Woche fand eine weitere Versammlung statt. Wolfgang Bruckschen denkt beispielsweise daran, den Jugendlichen Räume anzubieten.

Seine Kollegin Bettina Grubner* glaubt, daß auch die Wohnungspolitik schuld an den Problemen sei. Wohnten vor 15 Jahren teilweise bis zu zehn türkische Personen in einer Eineinhalbzimmerwohnung, gingen mit den mit der Sanierung des Viertels verbundenen Haushaltsteilungen teilweise ganze Häuser in türkische Hand über. Eine soziale Mischung sei dadurch nicht mehr gewährleistet. Grubner prognostiziert für einzelne Straßenzüge Kreuzbergs die Perspektive eines Ghettos, in das „in ein paar Jahren kein Deutscher mehr hinziehen wird“.

Auch die langjährige türkische Anwohnerin Kimet C.* sieht das ähnlich. Große Teile der Wohnungen rund um den Chamissokiez würden von Angehörigen dreier Familien aus der Türkei bewohnt. Sie ist sich sicher, daß die jugendlichen Gewalttäter aus diesen Familien stammten. Die Sozialarbeiterin Sabine Reuter* glaubt, daß der große Anteil an linken Mittelständlern, die sonst rund um die Bergmannstraße wohnten, große Schwierigkeiten hätten, auf die Probleme mit nichtdeutschen Jugendlichen zu reagieren. „Aus Angst, in eine rassistische Ecke zu geraten, haben wir Linken uns gescheut, ein kritisches Wort zu sagen.“ Auch Wolfgang Bruckschen kritisiert einen „nicht gelebten Multikulturalismus“ bei den deutschen KreuzbergerInnen.

Aber nicht jeder fühlt sich gleichermaßen von der Jugendbande bedroht. Während Bettina Grubner meint: „Ich fahre nur noch mit dem Auto durch den Kiez“, sieht Trödelladenbesitzer Detlef Motel die Situation anders. Für ihn sind „die marodierenden Jugendlichen“ zwar „nervig“, doch letztlich nur „Eierdiebe“.

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