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■ Rudolf Bahro starb am 5. Dezember in Berlin. Wenige Wochen vor seinem Tod sprach er über seine Krankheit, Bonner Akteure, über den ökonomischen Selbstlauf und Überlebensstrategien für die Erde Von Manfred Kriener„Es grummelt unter der Erde“

Das Krankenzimmer Rudolf Bahros war fast bis zu seinem Tode für Freunde, aber auch für einige Journalisten geöffnet. Ende August, als er spürte, daß ihm nicht mehr viel Zeit bleiben würde, gab er nochmals ein Interview. Bahro hat diesen Text selbst autorisiert. Wenige Sätze nur strich er: Personen betreffend, denen er – versöhnlich, wie er am Ende war – nichts mehr vorwerfen wollte.

taz: Sie erhalten hier im Berliner Hedwig-Krankenhaus Ihre Chemotherapie. Wie geht es Ihnen?

Rudolf Bahro: Das schwankt mit dem Zyklus meiner Krankheit. Ich muß etwa alle vier Wochen an den Tropf. Fünf Tage Chemotherapie, danach drei bis vier Wochen Erholung. Wenn ich Pech habe und mir nach der Chemotherapie eine Infektion hole, muß ich gleich noch mal rein.

Wie lange geht das schon?

Seit zwei Jahren. Der Rhythmus war anfangs lockerer, jetzt sind die Therapieintervalle immer kürzer geworden. Therapie ist eigentlich nicht der richtige Begriff. Es heilt nicht, es treibt den Krebs nur ein wenig in die Defensive.

Trotzdem sind Sie gut gelaunt.

Die Anpassung an die Krankheit habe ich hinter mir. Wenn man 60 Jahre alt ist, hat man sowieso Glück gehabt im Leben. Die Ideale meiner Jugend – Beethoven, Schubert, Fichte, Hölderlin –, die sind alle nicht so alt geworden. Bei Hölderlin muß man die Zeit im Turm abziehen, da hieß es ja: „April und Mai und Julius sind ferne, ich bin nichts mehr, ich lebe nicht mehr gerne.“

Zwei Jahre mit der Diagnose Krebs und allen Metaphern und Ängsten, die um diese Krankheit kreisen.

Das hat mich nie so ganz getroffen, weil mein „Non Hodgkin“ als behandelbar und niedrigmaligne eingestuft wurde, also weniger bösartig. Man hatte mir sogar in Aussicht gestellt, daß ich ein oder zwei Jahre Ruhe haben könnte. Leider ist das nicht eingetroffen. Aber selbst in der schlimmsten Zeit habe ich das Denken nicht aufgegeben. Meine Produktivität ist trotz allem erhalten geblieben.

Verfolgen Sie noch die aktuelle Politik, Haushaltslöcher, Steuerreform, den Kolossalkanzler?

Ich nehme das schon wahr.

Unter welchem Blickwinkel?

Ich beobachte die grundsätzliche und unvermeidliche Unzulänglichkeit. Das Bonner Theater ist eine – wenn auch nicht bewußte – systematische Ablenkung von allem, was wesentlich ist.

Ein 20-Milliarden-Haushaltsloch ist nicht ganz unwesentlich.

Egal wie viele Milliarden es sind. Es geht doch immer darum, einen Entwurf fortzusetzen, dessen Impuls sich ebenso erschöpft hat wie der des sowjetischen Imperiums vor dem Ende der DDR. Es gibt keine Lösung mehr auf dieser Strecke. Nach der allerletzten Sparsitzung kommt die allerallerletzte. Die meisten wissen das oder ahnen es zumindest. Dabei schlachten sie mit der Zerstörung der Erde das Huhn, das die Eier legt.

Den Metzgern scheint es dabei gar nicht so schlecht zu gehen.

Die sind mit Verve dabei. Das strukturelle Gefängnis, in dem sie sitzen, kitzelt alle Energien aus ihnen heraus. Es ist eine Art fröhliche Verzweiflung der Bonner Akteure. Sie spüren genau wie die Mehrheit der Menschen, daß die Kalamität im Ganzen liegt. Arbeitslosigkeit, soziale Demontage, marode Kassen, es sind immer dieselben Themen – ohne daß noch irgend jemand eine Lösung erwartet. Die Politik ist der ökonomischen und technologischen Dynamik nachgeschaltet. Damit hat sie ihre Würde verloren. Der ungehemmte Selbstlauf der Ökonomie, den wir gegenwärtig erleben, ist angesichts der Reichweite der menschlichen Intelligenz und des menschlichen Vermögens die niedrigste aller denkbaren Frequenzen.

Gibt es dennoch in der politischen Arena jemanden, der Ihnen imponiert?

Es gibt Leute, um die ich es schade finde. Ein Überschuß an Einsicht ist ja bei vielen vorhanden. Aber individuell ist diese Struktur ohnehin nicht mehr beeinflußbar.

Ihr Institut für Sozialökologie existiert nicht mehr. Sie sind jetzt C2-Professor an der Berliner Humboldt-Universität.

Das ist die kleinste Nummer für eine Professur. Das hat man so hingebogen, daß ich ein bißchen Professor bin an der Landwirtschaftlichen Fakultät, aber keinen Beamtenstatus erhalte. Das wurde mit Bedacht so konstruiert. Und ich bin damit nicht mal unzufrieden. Diese Lösung entspricht den Verhältnissen. Die Landwirtschaftliche Fakultät hat mich gut aufgenommen. Das macht auch Sinn. Ökologie und Erde, das gehört zusammen. Meine Professur ist gewissermaßen eine neue Ausdeutung von Nietzsches „Bleibt mir der Erde treu!“

Und Sie halten noch Ihre Vorlesungen im Audimax.

Das habe ich zuletzt nur noch an jedem zweiten Montag gemacht. Mehr schaffe ich gesundheitlich nicht. Es ist nicht ganz voll, aber ein Stamm von etwa hundert Leuten ist mir treu geblieben. Ich spreche zwei Stunden frei über ökologische und philosophische Themen, ganz konventionell wie eine Predigt. Anschließend diskutiere ich mit den zwanzig, dreißig oft älteren Leuten, die dageblieben sind.

Wer kommt zu Ihnen in die Vorlesung?

Sie kommen aus vielen Fachgebieten. Es sind Menschen, die von der Kulturkrise erfaßt sind. Die Ökologie ist dabei der materielle Landepunkt. Wer zu mir kommt, hat ein Gefühl dafür entwickelt, wie fundamental diese Krise ist.

Ihre Kollegen an der Fakultät referieren also über Fruchtfolgen und moderne Kälberzucht, und Sie reden über die ökologische Weltkrise?

Nein. Die Fakultät hat sich selbst auf den Schwerpunkt „Nachhaltigkeit“ festgelegt. Welternährung, Umwelt, Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit, das sind die Themen. Das ist mit meinem Ansatz gut kompatibel. Außerdem war schon mein Vater Landwirt und Tierzüchter. Er konnte nur knapp verhindern, selbst eine LPG führen zu müssen. Die Landwirtschaft ist mir gut bekannt.

In einer Zeit, in der Cash-flow und Rendite zum großen Evangelium geworden sind, werden Ökologen wie Sie immer weniger gefragt.

Ein schwaches Evangelium. Die Verdrängung der Ökologie ist ja keine Lösung. Wir brauchen unbestreitbar den Ausbruch aus der Akkumulationslogik, die darauf hinausläuft, auf einer endlichen Erde unendlich wachsen zu wollen. Das kann nicht gehen, das versteht auch jeder sofort. Der Mensch begrenzt sich, oder er wird begrenzt, und das wird fürchterlich.

Die Veränderung dieser Festlegung des Menschen auf das Anhäufen, auf das „Immer mehr“ bedeutet allerdings eine Herausforderung, wie sie die Menschheit bisher nicht erlebt hat. Das Kennzeichen solch schwerer Krisen ist aber auch, daß sich Neues formiert. Ich glaube nicht, daß wir das Recht haben, auf den Versuch zu verzichten, dieses Neue vorzubereiten.

Wer bereitet denn etwas vor? Es existieren kaum noch Widerstände gegen die bestehenden Strukturen. Die Menschen konsumieren amüsiert vor sich hin.

Am Ende des Römischen Reichs gab es eine Situation, die ich nur so beschreiben kann, daß die menschliche Substanz in ihrem Kern gefragt war. Die heutige Situation hat durchaus Parallelen dazu. Die Leere, die da gegenwärtig vom Fernsehschirm strahlt, ist doch von hohen Graden. Die Sehnsucht des Menschen wird nicht ausgefüllt.

Wo soll sich das Unbehagen darüber bündeln, wo gibt es ein Ventil, einen Ausgang?

Wir halten immer noch Ausschau nach dem Spartakusaufstand, der sich endlich irgendwo formieren soll. Wenn jetzt eine ganze Formation zu Ende geht, dann muß die Erneuerung sehr weit ausholen bis hin zu den geistigen Grundlagen. Es geht um die Denkrichtung.

Konfuzius sprach von der „Berichtigung der Werte“. Die ist notwendig. Ich bin sicher, daß ein paar Millionen Menschen in diese Richtung denken. Auf der ganzen Welt. Nur weiß niemand genau, wie diese Energien zusammenkommen sollen. Vielleicht ist das noch eine Weile hin.

Sehen Sie zumindest Signale für eine Zeitenwende? Es geht doch eher in die andere Richtung.

Von der Zahl her gesehen, gab es natürlich noch nie so viele Idioten und Banausen auf der Welt, Idioten im griechischen Sinne. Aber ich kenne sehr viele Leute, die sich vom Status quo nicht verbrauchen lassen. Das nimmt man auch in vielen Büchern wahr. Es gibt ein Potential unbesetzter Territorien des Geistes und der Seele. Und es mag der Augenblick kommen, in dem größere Teile der Menschen, die noch denken und fühlen, etwas zusammenschießen lassen. Es grummelt gewissermaßen unter der Erde.

Dann bleibt nach Ihrer Logik nur das Warten auf diesen „Zusammenfluß der Energien“?

Das „Warten“ ist für mich das eigentlich Spannende. Die Funktion des Wartens ist ja selbst schon ein Entwurf, wie die Menschheit leben könnte. Ohne Kampf, versöhnt.

Kann man warten, wenn man zugleich das Hamsterrädchen immer weiterdreht?

Ich habe in der DDR eine wichtige Erfahrung gemacht. Ehe sie mich verhaftet haben, saß ich in meinem Büro. Ich habe dort Teile meines Buches „Die Alternative“ geschrieben, während ich zugleich fleißig für die DDR gearbeitet habe.

Ich habe niemals krank gespielt, nichts. Wir unterliegen alle gewissen Zwängen, wir müssen ja unsere Brötchen verdienen. Schon um ein Dach über dem Kopf zu haben, findet Weltzerstörung statt. Wichtig ist, daß unser Bewußtsein nicht verbraucht wird, während wir funktionieren müssen.

Vor dem Hintergrund der ökologischen Krise hat das Zuwarten womöglich katastrophale Folgen.

Das Warten ist ein Stück Vorbereitung. Da habe ich vom jungen Becher einen Anstoß bekommen: „Lernt, vorbereitet, übt euch!“ Ich sehe, daß es keine strukturimmanente Möglichkeit mehr gibt. Die Strategie der Ökomodernisierung bringt nicht mehr als bestenfalls ein wenig Zeitgewinn. Dem Gesamtprozeß der machtorientierten Expansion auf der Erde ist sie untergeordnet. Mehr als Bremsen ist das nicht.

Haben Sie das Gefühl, eine Rückbesinnung auf die Grundlagen des Lebens als ökologische Zäsur noch zu erleben?

Ich weiß nicht, wieviel Zeit mir bleibt. Bestimmt bin ich weniger denn je auf das Eintreten solch einer Zäsur angewiesen. Der Gang des Ganzen hängt sowieso nicht von meinen Bedürfnissen ab. Wir haben natürlich auch keine Garantie, daß diese Art inspirierten Wartens uns retten kann. Es kann auch sein, daß der Mensch tatsächlich verloren ist.

Ich bin allerdings ziemlich zutraulich, daß sich der menschliche Geist noch etwas einfallen läßt. Die reichen Länder sind ja erst einmal vorerschrocken in den Siebzigern und Achtzigern. Jetzt müssen sie begreifen, daß die Situation sehr viel ernster ist.

Herr Bahro, Sie sind 62. Was haben Sie sich vorgenommen, wenn die Krankheit Ihnen noch etwas Zeit läßt?

Ich wollte Hegel noch einmal ganz lesen, das Lebenswerk. Das schaffe ich wohl nicht mehr. Die Bücher sind etwas weggerückt, andere Dinge sind wichtiger geworden. Ich habe mich zu Hause ganz unbescheiden verbessert.

Bisher lebten wir zu viert mit 5.000 Büchern in vier Zimmern. Mit der Krankheit habe ich diese Unzuträglichkeit stärker gespürt. Jetzt haben wir eine Nebenwohnung dazugenommen, mit einem Extrazimmer für die Literatur. Solange ich noch auf die Leiter steigen kann, um die Bücher rauszuholen, werde ich weiter schreiben und arbeiten.

Wenn nicht?

Dazu fällt mir zuerst Michelangelo ein: „Des Todes sicher, nicht der Stunde Wann“. Meine Frau und ich haben kürzlich beim Musikhören die Sechste von Tschaikowsky, die sogenannte Todessinfonie, aufgelegt. Ich empfand sie beim Hören eigentlich freundlich in ihrem Thema. Schon als ich vor zwei Jahren mir nicht mehr sicher war, ob ich am Leben bleiben werde, war ich doch versöhnt.

Damals hatten mich die Ärzte schon aufgegeben. Das haben sie mir erst hinterher gestanden. Aber ich wußte, es ist noch nicht soweit. Das spürte ich deutlich. Genau zu diesem Zeitpunkt hat mich die DDR noch mal eingeholt. Nicht das Gebilde, sondern die Erinnerung an viele Genossen, die in meiner Urwahrnehmung für dasselbe standen wie ich. Mir ist damals bewußt geworden, daß es überhaupt nichts bringt, irgend jemandem etwas nachzutragen, weil ich die persönlichen Schicksale und ihre Entwicklung plötzlich ganz deutlich von innen vor mir sah.

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