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„Unreflektierte“Hakenkreuze

■ Heute beginnt der Prozeß gegen einen 20jährigen, der die Lübecker St. Vicelin-Kirche in Brand gesetzt haben soll

Die Hakenkreuze auf den Mauern waren unübersehbar. Und dennoch: Als in der Nacht auf den 15. Mai 1997 die katholische St. Vicelin-Kirche in Lübeck ausbrannte, wollte die Stadt einen rechtsradikalen Anschlag lediglich „nicht ausschließen“. Drei Wochen später mußten die Behörden der Realität ins Auge sehen: Ein 19jähriger gestand die Tat und bezeichnete sich selbst als „rechtsradikal“. Heute beginnt vor der Jugendkammer des Lübecker Landgerichts der Prozeß gegen Christian P., der wegen besonders schwerer Brandstiftung und der Verwendung verfassungswidriger Symbole angeklagt ist.

Der Brandanschlag auf die Vicelin-Kirche ist nur eines der vielen Attentate, die Lübeck in die Schlagzeilen brachten. 1994 versuchen junge Männer aus der rechten Szene, eine Synagoge in Brand zu setzen. 1996 sterben beim Anschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft zehn Menschen. Im Mai 1997 brennt dann die St. Vicelin-Kirche restlos aus. Neben Hakenkreuzen haben die Täter mehrfach „Harig“an die Mauern gemalt – den Namen des Pastors einer evangelischen Nachbargemeinde, der einer algerischen Familie Kirchenasyl bietet. Nur wenige Wochen später, am 25. Juni, werden an die evangelische Jakobikirche und an die Haustür des Schriftstellers Günter Grass Hakenkreuze und der Schriftzug „Harig“gesprüht. Am 29. Juni brennt es im Gemeindehaus der evangelischen St. Augustinus-Gemeinde – auch dort finden sich die genannten Symbole.

Drei Wochen nach dem Feuer in der St. Vicelin-Kirche gestand der 19jährige Gärtnerlehrling Christian P., er habe mit Leuchtspurmunition Camping-Gasflaschen in Brand gesetzt, die in einem angrenzenden Schuppen gelagert waren. Sein jüngerer Bruder hatte Christian P. beschuldigt. Gegen ihn und einen Freund wird gesondert ermittelt, weil sie die Hakenkreuze und den Namen „Harig“auf die Mauern gemalt haben sollen.

Der inzwischen 20jährige Christian P. sitzt in Untersuchungshaft. Gegenüber der Polizei bezeichnete er sich als „rechtsradikal“, wie der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Klaus-Dieter Schultz, der taz bestätigte. Er sei jedoch in keiner neonazistischen Gruppe organisiert; darüber lägen auch den Ermittlern keinerlei Erkenntnisse vor.

Grund genug für den Leiter der Polizeidirektion Lübeck, Winfred Tabarelli, von einer „unreflektierten politischen Ideologie“zu sprechen, die die Jugendlichen „aufgeschnappt“hätten. Auch für Schultz haben die drei jungen Männer aus einer „dumpfen, unreflektierten ausländerfeindlichen Grundhaltung auf der Grundlage von Parolen wie –Ausländer raus– gehandelt“.

Das Tatgeständnis hat Christian P. inzwischen widerrufen. Seine Anwältin hat dem Gericht offenbar signalisiert, daß er im Prozeß nicht aussagen wird. Die Jugendkammer nämlich lud den ersten Zeugen bereits für 9.15 Uhr – nur eine Viertelstunde nach Prozeßeröffnung.

Elke Spanner

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