: Otto John – Patriot oder Landesverräter?
■ Wolfgang Brenner hat die Lebensgeschichte des ersten Verfassungsschutzpräsidenten Otto John zu einem fesselnden Roman verarbeitet – die Hauptfrage bleibt weiterhin ungeklärt
Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde. Wolfgang Wohlgemuth, Gynäkologe und in Berlin auch als Partyhecht gut bekannt, war so einer. Im Juli 1954 wandte sich Otto John, der erste Verfassungsschutzpräsident der Bundesrepublik, völlig entnervt an seinen „Wowo“ genannten Kumpel. John witterte in Adenauers Kabinett eine Verschwörung, gegen sich und die junge Republik gerichtet. Als seine mächtigen Feinde hatte der Geheimdienstmann den Kanzler selbst, dessen umstrittenen Staatssekretär Globke und vor allem den von den Amerikanern protegierten Geheimdienstchef Gehlen ausgemacht. Besonders die von Adenauer angestrebte Politik der Westintegration hatte John, der während der Nazizeit der Widerstandsgruppe des 20. Juli 1944 angehörte, zutiefst enttäuscht.
Überall um sich herum wähnte John klandestine Machenschaften am Werke, getätigt, um die gesamtdeutschen Interessen zu verraten. Adenauers geplante Wiederbewaffnungspläne und der Aufstieg ehemaliger NS-Funktionäre in der Politik paßten dem Kölner Geheimdienstpräsidenten ganz und gar nicht.
In einem Akt der Verzweiflung wollte John die Welt vor diesen aus seiner Sicht verhängnisvollen Entwicklungen warnen. Und dazu brauchte er, der im eigenen Land keine Zuhörer mehr fand, die früheren Kameraden vom 20. Juli. Wenn schon nicht er, so würden doch wenigstens diese gehört werden. Das ganze hatte nur einen Schönheitsfehler: die Kameraden saßen im Osten.
Otto John bat den Freund Wowo, er möge heimlich ihn zu einer Gedenkfeier für die Opfer des 20. Juli in den Osten der Frontstadt bringen. Dort wollte er die früheren Gefährten sprechen, die einen wesentlichen Einfluß auf die Führung des ersten deutschen Arbeiter- und Bauernstaates hatten.
Wohlgemuth, der in seiner Freizeit eher laienhaft über Krebsursachen forschte, hatte aber andere Pläne. Der Frauenarzt, den die Nichtanerkennung seiner medizinischen Bemühungen zutiefst kränkte, träumte von einer Karriere als Forscher an der international anerkannten Ostberliner Charitée. Und da ihm, dem kleinen Gynäkologen, der Weg dahin versperrt war, sollte ein mächtiger Bundesgenosse dem Wunsch zur Realität verhelfen: der sowjetische Geheimdienst KGB, der früher zum Arzt Kontakte aufgenommen hatte, und der über die von Wowo behandelten Ehefrauen an untergetauchte Größen aus der NS-Zeit kommen wollte.
Der Arzt brachte dann seinen Geheimdienstfreund in den Ostteil der Stadt, doch nicht wie abgesprochen zu einer Gedenkfeier – er liefert John statt dessen in Karlshorst bei der Ostberliner Residenz des russischen Geheimdienstes ab. Wenige Tage später präsentierte die Führung der DDR John bei einer internationalen Pressekonferenz als Chefankläger gegen den bundesdeutschen Revanchismus – die junge Bundesrepublik erschütterte der erste richtig dicke Skandal.
Voilà – das ist die Kurzfassung der Geschichte, die der Autor und Drehbuchschreiber Wolfgang Brenner seinem Roman „Der Patriot“ zugrunde gelegt hat.
Bis heute ist umstritten, auf welche Weise Otto John tatsächlich in die DDR gelangte. Nicht nur für Adenauer stand fest, daß John „übergelaufen“ war. Otto John, der nur 17 Monate später zurück in die Bundesrepublik „flüchtete“, beteuerte aber bis zu seinem Tod am 26. März vergangenen Jahres immer wieder, er sei unter Drogen gesetzt und in den Osten entführt worden. Der Bundesgerichtshof schenkte dieser Version keinen Glauben, der frühere Verfassungsschützer wurde im Dezember 1956 wegen „landesverräterischer Konspiration“ zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt. Auch unter Historikern, Politikern und Journalisten geriet die Causa John schon bald zur streitbaren Glaubensfrage. Bundespräsident Richard von Weizsäcker gewährte John schließlich eine schmale Gnadenrente, nachdem dieser wiederholt bei Gericht mit seinen Anträgen auf eine Wiederaufnahme seines Verfahrens gescheitert war.
Selbst die heute zugänglichen Akten des Staatssicherheitsdienstes der DDR und die des KGB geben keinen letzten Aufschluß über die Frage Verschleppung oder Flucht. Brenners romanhafte Erzählung bewegt sich in der Mitte der beiden Pole. Er spannt ein düsteres Netz aus Intrigen und Vormachtkämpfen (in Adenauers Kabinett und unter den eifersüchtigen Geheimdiensten), aus menschlichen Schwächen (Johns überaus starker Alkoholismus und seine Bisexualität) und aus machtpolitischen Kalkülen (Adenauers Festhalten an Globke, obwohl dieser als Jurist im Nationalsozialismus die Nürnberger „Rassegesetze“ kommentiert hatte). Brenners Roman endet mit Johns Ankunft und einem fürchterlichen Zechgelage in der Berliner KGB-Vertretung. Erst nach zwei Tagen lichtet sich der Verstand des Verfassungsschützers, der daraufhin umgehend zurück in die Bundesrepublik möchte. Doch dazu ist es zu spät. „Verfassungsschutzchef Otto John übergelaufen“, verkünden die Schlagzeilen der Westzeitungen. Wolfgang Gast
Wolfgang Brenner: „Der Patriot“. Roman, Eichborn Verlag, Frankfurt/Main 1998, 478 S., 39.80 DM
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen