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Politik ohne Girlies

Wem zum Thema „Junge Frauen und Politik“ höchstens Claudia Nolte einfällt, liegt richtig: Bundespolitik erscheint als Domäne, die von weiblichem Nachwuchs frei ist. Das liegt weniger am politischen Desinteresse der Jungmädchengeneration, als an einem institutionalisierten Männerklüngel.  ■ Von Christine Apel

Nach sechzehn Jahren Kohl-Regierung haben sich junge Frauen von der Bonner Politik abgekoppelt wie das Wirtschaftswachstum vom Arbeitsmarkt. Die Plätze in den Plenarsälen, die die frauenbewegten Mütter und Tanten einst begehrten, sind nur zu einem Bruchteil von Frauen unter 31 Jahren besetzt. „Eine gefährlich ansteigende Politikverdrossenheit der jüngeren Generation und insbesondere die Distanz junger Frauen zur institutionellen Politik“, stellt die Studie „Frauen in der Politik“ fest.

Die Untersuchung zeichnet den Alltag einer Politikerin nicht gerade verlockend: im Schnitt siebzig Wochenstunden Arbeit bei geringem öffentlichen Ansehen und einem schweren Stand in männerdominierten Gremien. Wer als Frau Politik machen will, muß sich den Spielregeln anpassen. Grund dafür sei, daß „die Institutionen der parlamentarischen Demokratie unter Ausschluß von Frauen entstanden sind“.

Wer als Frau im politischen Alltag bestehen will, muß über gewisse Eigenschaften verfügen: Sturheit, Standfestigkeit und „ein adäquates Maß an Skrupellosigkeit“. Hat eine Frau das, gilt sie als „unweiblich“. Dieser Widerspruch läßt sich nur mit Selbstverleugnung lösen: Um sich vor dauerhaften „professionellen Deformierungen“ zu schützen, empfiehlt eine Politikerin, private und politische Funktion zu trennen und in der Politik die Rolle wie eine Schauspielerin zu präsentieren.

Dieses Theater mitzumachen, verlangt gute Gründe: Die meisten der Befragten geben denn auch an, daß das Engagement „für parteiübergreifende politische Fragestellungen und der Wunsch, bestimmte, meist auf das Alltagsleben der Menschen bezogene soziale Mißstände beseitigen helfen“, sie in die Politik gezogen haben – und dort auch halten.

So betrachtet, hat das Berufsbild Politikerin für junge Frauen nur wenig Anziehungskraft. Das schlägt sich auch in den Zahlen nieder: Derzeit beläuft sich der Anteil der Politikerinnen in Bund, Ländern und Gemeinden auf ein gutes Viertel – lediglich vier Prozent von ihnen sind unter 31 Jahre alt. Die Forscherinnen fordern daher, gerade junge Frauen zu politischen Führungspositionen „durch gezielte Qualifizierung und Professionalisierung“ zu ermutigen.

Die Schwächen der Stellvertreterpolitik machen sich bemerkbar. Funktionierte bis Mitte der achtziger Jahre das Wechselspiel zwischen Volksvertreterinnen und Druck der Straße – mit dem Slogan „Mein Bauch gehört mir“ etwa forderten Tausende Frauen die Abschaffung des Paragraphen 218 –, so arbeiten Politikerinnen heute weitgehend losgelöst von der Basis. Die Folge: Wird am bereits Erreichten gekratzt, bleiben öffentliche Proteste aus.

Die erste Partei mit Frauenquote waren Bündnis 90/Die Grünen. Jedoch: Seit ihrem Einzug ins Parlament vor fünfzehn Jahren haben sie manche Prinzipien über Bord geworfen – so das Rotationsprinzip. Auch entscheidet inzwischen immer seltener die Basis über das Programm, sondern meist der Vorstand. Nadja von Scheidt, Sprecherin des Grün-Alternativen Jugendbündnisses, kritisiert, daß die Jugend im Entwurf des Wahlkampfprogramms gar nicht erst vorkommt. Dennoch leiden die Bündnisgrünen noch am wenigsten unter dem Mangel an weiblichem Nachwuchs. Der bündnisgrüne Frauenanteil beträgt insgesamt 35 Prozent.

Auch die PDS schreibt immerhin die Fünfzigprozentquote für Frauen fest – ansonsten geht sie in ihrem Programm aber nur wenig auf die Belange junger Menschen, geschweige denn Frauen ein. Die Frauen unter 35 danken es der Partei mit acht Prozent.

Die CDU hat erst 1996 das Frauenquorum eingeführt. Danach sollen Frauen an „Parteiämtern und öffentlichen Mandaten mindestens zu einem Drittel“ beteiligt werden. Damit wurde Claudia Nolte in den Sessel des Familienministeriums gehievt. Bemüht sich die CDU darüber hinaus um die Gunst junger Frauen? Im CDU-Zukunftsprogramm heißt es dazu: „Schon heute steht fest: Wir werden in einer Gesellschaft leben mit sehr viel mehr älteren und sehr viel weniger jungen Menschen.“ Wohl ein Hinweis auf die eigentliche Zielgruppe der Konservativen – die Rentner. Das schlägt sich auch im Anteil der unterdreißigjährigen Frauen nieder – der liegt bei rund einem Prozent.

Und die FDP? Die „Wiesbadener Grundsätze“ der Liberalen handeln zumeist vom geschlechtslosen „Bürger“: Erst auf Seite 18 taucht die Vokabel Frauen auf, um kurz darauf in Familie und Gesellschaft wieder unterzugehen. Eine reine Stilfrage? Wohl kaum: In der dreizehnköpfigen Programmkommission haben lediglich zwei Frauen mitgearbeitet. Insgesamt hat die FDP gut 900 weibliche Mitglieder unter Dreißig.

Die SPD dagegen hat sich die Geschlechterdemokratie ins Grundsatzprogramm geschrieben: „Um jungen Frauen gleiche Chancen einzuräumen, muß die Hälfte aller Ausbildungsplätze für Frauen freigehalten werden.“ Dennoch haben die Sozialdemokraten Schwierigkeiten mit dem weiblichen Nachwuchs – der liegt bei sechs Prozent.

Sind junge Frauen nun unpolitisch, resigniert, einem unpolitischen Girlierausch ergeben? Oder haben sie nur erkannt, daß Politik auch anders gemacht werden kann? Wenn es darum geht, Atommülltransporte oder Aufmärsche der Rechten zu verhindern, sind junge Frauen dabei.

Vor kurzem hat sich das Jugendbündnis „Wer, wenn nicht wir – Jugend für eine zukunftsfähige Politik“ gegründet, an dem sich inzwischen 24 Jugendorganisationen von Gewerkschaften über Landesjugendring, Umweltverbände bis hin zu Jusos und Julis beteiligen. „Unter Jugendlichen gärt es. Unsere Unzufriedenheit mit den politischen Zuständen in diesem Land wächst von Tag zu Tag“, beginnt ein Flugblatt. Das Bündnis spricht sich gegen öffentliche Rekrutenvereidigung und Atomenergie aus, thematisiert Schulstreß und Leistungsdruck – und erinnert an den Artikel 3 des Grundgesetzes, in dem Frauen und Männer gleichgestellt werden. Übrigens: Nach Angaben des IG-Metall-Jugendsekretärs Luis Sergio sind in „Wer, wenn nicht wir“ junge Frauen und Männer gleich stark vertreten.

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