piwik no script img

Die moderne Macht und ihre Masken

■ „Der Kandidat“ Schröder ist keiner mehr, aber die gleichnamige Langzeitdokumentation von Thomas Schadt zeigt ihn nochmals auf dem undankbaren Weg zum Wahlsieg (23 Uhr, ARD)

Beim Wahlkampfauftritt in Stendal sagt Schröder mit donnernder Stimme: „Danke, Helmut, jetzt reicht's!“ In Potsdam, Bayern, Sachsen-Anhalt, stets sagt Schröder das gleiche, stets mit der gleichen donnernden Intonation: „Danke Helmut, jetzt reicht's!“ Manchmal improvisiert Schröder auch. In Stendal beginnt er seine Rede mit der Erinnerung an ein „unvergeßliches Erlebnis“: „1990 habe ich hier ein paar Schmalzbrote gegessen.“ Wahlkampf ist ein undankbares Geschäft.

Der Dokumentarist Thomas Schadt hat Schröder von Februar bis zur Bundestagswahl beobachtet. „Der Kandidat“ bietet keinen Schlüssellochblick, er führt uns nicht hinter die Kulissen der Macht, er beobachtet die Oberfläche. Wir sehen, wie sich Gerhard Schröder alltäglich als das Kampagnenprodukt Schröder inszenierte. Im Prolog erläutern zwei Werbefachleute, worum es ging: die Leute davon zu überzeugen, daß sie ein Produkt kaufen sollen – „in diesem Fall ein lebendes“. Schadt geht es um die Analyse dieser Spannung: Wie verhält sich ein lebendes Produkt? Wieviel Leben bleibt in dem Produkt, wenn es sich verkaufen soll? Schadt verzichtet auf Privates. Doris Köpf ist nur im Bild, als die Schröders Urlaub in Bayern machen. Oder vielmehr: Sie führen Urlaub vor, denn ausgewählte Kamerateams sind stets dabei.

Meistens sehen wir Schröder aus der Ferne, umringt von Journalisten, Reportern, Mikrophonen, Kameras, Fotografen. Schadts Kamera geht selten nah an den Kandidaten heran. Wenn, dann oft in dem Moment nach dem Interview, nach dem Auftritt, nach der Rede. Die strahlende Maske der Medienfigur Schröder fällt ab, die Person Schröder tritt hervor. Und die hat es eilig.

In seinen besten Szenen ist Schröder ironisch, meistens gibt er sich jovial. Er streichelt Kinderköpfe und scherzt kurzangebunden mit dem Wahlvolk, das greifbar ist. Wenn nichts zu tun ist, wird Schröder schnell übellaunig. In Rom, zum Interview bestellt, steht die Leitung nicht. Wenn etwas nicht funktioniert, wird Schröders Ton abrupt unangenehm. Er ist ein Profi. Profis haben keine Zeit. „Der Kandidat“ leuchtet keine unbekannte Innenseite der Macht aus, er lenkt den Blick auf den mühsamen Wahlkampf-Alltag. Und der heißt, nicht nur in Wahlkampfzeiten, Medienpräsenz. Wer sichtbar ist, gilt als mächtig. Die Telepräsenz ist das Insignium der modernen Macht.

Schadt zeigt, daß das Fernsehen für den Politiker gleichzeitig eine erbarmungslose Disziplinierungsmaschine ist. Das Fernsehen registriert jeden Fehler, jede Unsicherheit, jedes Schwanken. Deshalb neigt der Politiker dazu, jeden Fehler, jede Unsicherheit, jedes Schwanken zu vermeiden. So produziert das Fernsehen jene farblosen, graumäusigen Gestalten, denen die Medien gern ihre farblose Graumäusigkeit vorhalten. „Der Kandidat“ zeigt keinen dämonischen Propagandaapparat und enthüllt kein Geheimnis der Macht. Das Geheimnis der Macht in der Mediendemokratie ist ihre Transparenz. Stefan Reinecke

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen