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Meilensteine im rechtsfreien Raum

Umweltverband WWF zieht Bilanz nach Internationalem UNO-Jahr des Ozeans: Lob für Ende der Chemieverklappung, Tadel für Mängel bei Seerecht und Walschutz und für Schießstand im Wattenmeer  ■ Aus Hamburg Sven-Michael Veit

„Das war mehr als nur ein symbolisches Gedenkjahr“, sagte Holger Wesemüller. „Es war ein großer Erfolg für die Meersesumwelt.“ Durchaus zufrieden zog der Fachbereichsleiter Meere und Küsten des World Wide Fund for Nature (WWF) Deutschland gestern Bilanz des von der UNO ausgerufenen Internationalen Jahr des Ozeans. Zu den wichtigsten Erfolgen für den Naturschutz zählt Patricia Cameron, WWF-Expertin für Meeresumweltschutz, den Beschluß der EU-Umweltminister vom Sommer, die Einleitung von Chemikalien und radioaktiven Stoffe in den Nordostatlantik bis 2020 zu stoppen. Das sei zwar noch lange hin, gab Cameron zu, „ist aber dennoch ein Meilenstein für den Naturschutz“.

Ebenfalls positiv bewertete sie das internationale Verbot organozinnhaltiger Schiffsanstriche ab 2008. Diese hochgiftigen Verbindungen gelangen von den Unterwasseranstrichen der Schiffe ins Wasser und schädigen Meeresflora und -fauna.

Die Umweltschützer äußerten aber auch Kritik. Das Desaster um den vor Amrum gestrandeten Frachter „Pallas“ sei eine Katastrophe und typisch für „den rechtsfreien Raum auf See“. Das internationale Seerecht „muß angewendet und verschärft werden“, forderte der WWF und machte Vorschläge: Die Ausweisung des ökologisch weltweit bedeutsamen Wattenmeers als „besonders empfindliches Meeresgebiet“ durch die EU würde den Anrainerstaaten weitreichende Eingriffsmöglichkeiten bieten. Dazu zählt Wesemüller „die Einführung der Lotsenpflicht“ für alle Schiffe in der östlichen Nordsee sowie die Durchsetzung höherer Sicherheitsstandards auf den Schiffen. Diese Ausweisung, klagt der WWF, „wurde bislang von deutschen Hafenstädten verhindert“. Vor allem Bremen und Hamburg hätten „Wettbewerbsnachteile gegenüber Rotterdam und London“ befürchtet, wenn Billigflaggenschiffe und rostige Seelenverkäufer künftig nicht mehr in ihre Häfen dürften.

Der WWF kritisierte zudem, daß die (alte) Bundesregierung „das dringend notwendige Walschutzgebiet“ vor den nordfriesischen Inseln nicht ausgewiesen habe. Dort befindet sich die „Kinderstube der Schweinswale“, der kleinsten Delphinart. Die einzigen in Nord- und Ostsee heimischen Meeressäuger seien inzwischen in ihrem Bestand bedroht und müßten dringend geschützt werden. Vor allem durch die Treibnetzfischerei, weiß WWF-Fischereiexperte Christian von Dorrien, werden jährlich Tausende Schweinswale getötet. Der WWF hofft nun auf die rot-grüne schleswig-holsteinische Landesregierung. Die will im nächsten Jahr bei der Novellierung des Landesnaturschutzgesetzes eine solche Schutzzone für die Kleindelphine einrichten. „Das“, so von Dorrien, „ist lange überfällig.“

Harsche Worte fand Wesemüller für die Waffentests der Bundeswehr in der Meldorfer Bucht im südlichen Teil des Nationalparks Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer. Die Ballerei in einer „der ökologisch sensibelsten Regionen Europas ist unverantwortlich“ und müsse so schnell wie möglich eingestellt werden. Das Bonner Verteidigungsministerium hatte vorgestern erklärt, „bis März 1999“ zu prüfen, ob die Übungen anderswo stattfinden könnten. Es gebe Verträge, so Staatssekretär Walter Kolbow (SPD), die der Bundeswehr die Schießübungen erlaubten. Er widersprach damit der verteidigungspolitischen Sprecherin der Grünen, der schleswig-holsteinischen Abgeordneten Angelika Beer, die von einem „Testmoratorium“ gesprochen hatte. In der vorigen Woche erst hatte die Bundeswehr eine 200 Kilogramm schwere Rakete ins Wattenmeer abgeschossen. Sie war „unplanmäßig“ abgestürzt, soll aber „keinen Schaden angerichtet“ haben. Aber auch nur, weil auf der Vogelschutzinsel Trischen, die sie haarscharf verfehlte, im November keine Enten, Möwen und Austernfischer mehr brüten.

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