■ Bundesumweltminister Jürgen Trittin vertritt voll die Linie der Bundesregierung. Wer allerdings in der eigenen Partei die Kosovo-Entscheidung als Richtungsentscheidung inszeniere, treibe die Grünen in den Abgrund, sagt er im Gespräch mit Dieter Rulff: „Wir stehen am Abgrund“
taz: Herr Trittin, macht die Nato auf dem Balkan Fehler?
Trittin: Deutschland hat sich als Mitglied der Nato entschlossen, sich in letzter Minute an dem Versuch zu beteiligen, die generalstabsmäßige Vertreibung der Kosovaren und damit die Einschränkung der Souveränität der Nachbarstaaten zu unterbinden.
Wir müssen mit Bitterkeit zur Kenntnis nehmen, daß dies bisher nicht gelungen ist. Deshalb würde ich allerdings nicht von einem Fehler sprechen, sondern von einem legitimen Versuch, der nicht das erhoffte Resultat gezeitigt hat. Jetzt kommt es darauf an, die jeweiligen militärischen Aktionen auf das politische Ziel zu konzentrieren. Und das lautet: Wiederherstellung des Rechts, Rückführung der Flüchtlinge.
Dieses Ziel ist allgemein anerkannt: Von der EU, von Nicht-Nato-Staaten, vom Generalsekretär der UN, auch von Rußland. Ob die Auswahl der militärischen Ziele – ich rede dabei nicht von tragischen Unglücken, die in einem solchenKrieg passieren, sondern von Heizwerken, von Fernsehsendern – unter diesem politischen Aspekt immer sonderlich klug ist, bezweifle ich nachdrücklich.
Sie plädieren also für eine Begrenzung der militärischen Ziele?
Ich plädiere nachdrücklich dafür, dafür zu sorgen, daß bei der Auswahl militärischer Ziele nicht der Eindruck entstehen kann, hier werde ein Krieg gegen Serbien geführt. Das gilt auch für den Umfang, in dem Montenegro attakkiert wird.
Wurden Chancen vertan, um zu einer politischen Lösung zu kommen?
Die Bundesregierung muß sich nicht vorwerfen lassen, daß sie nicht alles – bis an die Grenze der Selbstaufgabe – unternommen hätte, um zu einer Lösung auf dem Verhandlungswege zu kommen. Es wird im Kosovo keinen Frieden geben, ohne daß er international überwacht wird. Man braucht dafür eine Überwachung, bei der die Überwacher nicht als Geiseln genommen werden können. Diese Überwachung ist am effektivsten, wenn sie sich auf ein Mandat der UN stützen kann.
Bislang fehlt dieses Mandat für den Einsatz. Der Bundesaußenminister Joschka Fischer und der Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping legitimieren ihn mit den Verweis darauf, daß es sich bei dem Vorgehen Milosevic' um eine barbarische Form des Faschismus handele und die Lehre gelte: „Nie wieder Auschwitz.“ Ist eine solche historische Anlehnung zulässig?
Ich teile die Ansicht des Bundeskanzlers, der solche Vergleiche für nicht angemessen hält, weil sie die Singularität des Holocaust in Frage stellen.
Das Ziel Miloevic' ist es, einen ethnisch reinen Nationalstaat zu arrondieren. Das kann in einem multikulturellen Europa nicht akzeptiert werden. Allerdings halte ich es auch für winkeladvokatisches Geschwätz, davon zu reden, daß es sich um einen Konflikt zwischen der Souveränität Jugoslawiens und der Universalität der Menschenrechte handele. Wer meint, die Anerkennung der Menschenrechte sei eine innerjugoslawische Angelegenheit, hat von Menschenrechten keinen Begriff.
Er verkennt zudem, daß es schon lange keine rein jugoslawische Angelegenheit ist. Die Vertreibung der Kosovaren beeinträchtigt die Souveränität der Nachbarländer. Das ist ein Angriff auf deren Souveränität. Es ist eine völkerrechtlich offene Frage, ob eine solche Vertreibungspolitik nicht als Aggression zu werten ist.
Dann wären die Luftangriffe völkerrechtlich eine läßliche Sünde?
Nein. Die Charta der UN hat eine Lücke, weil solche Fälle wie der Kosovo-Konflikt davon nicht erfaßt werden. Es gibt keine saubere Position. Wer das für sich in Anspruch nimmt, lügt sich in die Tasche.
Außenminister Joschka Fischer und auch Bundeskanzler Gerhard Schröder beharren darauf, daß die jugoslawische Seite verifizierbare Zeichen des Rückzuges geben muß, bevor die Luftschläge eingestellt werden. Der Bundesvorstand Ihrer Partei plädiert für einen einseitigen, befristeten Waffenstillstand. Was ist Ihre Position?
Das ist ein übertriebener Streit um Akzentuierungen. Man darf einseitige Schritte nicht ausschließen. Man muß aber die Voraussetzung klären. Warum sollte es nicht einen Waffenstillstand seitens der Nato geben, wenn damit die Voraussetzungen für den Friedensplan geschaffen werden können?
Wenn man sich nicht auf die Rutschbahn der Eskalation begeben will, muß man sich auf den Bereich der politischen Lösungen einlassen. Das liegt jenseits von Sieg und Niederlage.
Die Nato soll auch einseitig die Kampfhandlungen einstellen?
Seriöse Schritte der jugoslawischen Seite zum Fünfpunkteplan können Anlaß sein, die Kampfhandlungen zu unterbrechen.
Welche Rolle soll die Nato in einer zu bildenden Friedenstruppe spielen?
Wenn sie auf Akzeptanz stoßen will, können Nato-Staaten, müssen aber andere Staaten Teil einer solchen notwendigerweise robusten Friedenstruppe sein.
Robust bedeutet: ein Kampfeinsatz nach Kapitel VII der UN Charta?
Es wird eine Mandatierung nach Kapitel VII notwendig sein.
Im Wahlprogramm der Grünen werden militärische Friedenserzwingung und Kampfeinsätze abgelehnt.
Daß die Praxis durch das Wahlprogramm nicht abgedeckt ist, ist doch bekannt.
Muß das Wahlprogramm überholt werden?
Wir wären schlechte Realisten, wenn wir es einer schlechten Realität anpassen würden ...
Man kann für die schlechte Realität das passende Programm formulieren.
Der Parteitag kommt nicht weiter, wenn er als Revisionsparteitag fungieren würde.
Es gibt nicht nur reine Antifaschisten und reine Pazifisten bei den Grünen.
Es gibt aber zwei Positionen. Die eine des Bundesvorstandes, die eine begrenzte Einstellung der Luftangriffe will, und eine der Linken um die Abgeordneten Ströbele und Buntenbach, die eine bedingungslose Einstellung fordern. Droht die Partei an diesem Zwist zu zerbrechen?
Wenn die Partei einen Glaubensstreit entscheiden will, dann wird sie zerbrechen. Inzwischen haben allerdings viele Seiten erkannt, daß das nicht weiterführt.
Wie lauten die Glaubenssätze?
Die Alternative „Nie wieder Faschismus“ oder „Nie wieder Krieg“ ist nicht prinzipiell zu entscheiden. Man kann sie nur am konkreten Beispiel gewichten. Würde auf dem Parteitag diese Alternative als Glaubensfrage entschieden werden, bliebe der unterlegenen Seite nur noch der Parteiaustritt – mit katastrophalen Folgen für die Grünen als Partei.
Ob sofortiger oder konditionierter Stopp der Luftangriffe ist allerdings weniger eine Glaubens-, sondern eine konkrete politische Frage.
Wir werden zu einer Formulierung finden müssen, die deutlich macht, daß alle Maßnahmen getroffen werden, die zu einer Erreichung des Zieles – Beendigung der kriegerischen Handlungen und Rückführung der Flüchtlinge – führen. Dabei dürfen auch einseitige Maßnahmen nicht ausgeschlossen werden. Wann das der Fall sein kann, würde ich von der realen Entwicklung abhängig machen.
Die SPD hat auf ihrem Bundesparteitag den Kurs von Schröder und Fischer unterstützt. Wenn die Grünen einen einseitigen Stopp der Luftangriffe fordern, ist dann noch eine hinreichende Basis für eine gemeinsame Koalition gegeben?
Die Koalition wird diesen Konflikt überstehen.
In der Führung Ihrer Partei wird befürchtet, daß der Posten einer grünen EU-Kommissarin zur Disposition steht, sollten die Grünen sich auf dem Parteitag in der Kosovo-Frage als unsichere Kantonisten erweisen.
Da wird viel spekuliert.
Gilt die Koalitionsvereinbarung noch, die den Grünen diesen Posten zusichert?
Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, daß die Grünen die EU-Kommissarin vorschlagen und die Koalitionspartner mit einem gemeinsamen Vorschlag in die Bundespräsidentenwahl gehen. Beide Aussagen hängen zusammen und gelten zusammen.
Welche Auswirkungen hat der Kosovo-Konflikt auf die Grünen?
Einen Konflikt mit dieser Auswirkung gab es bislang nicht. Er lähmt die Partei. Er lähmt die politische Handlungsfähigkeit, die Fähigkeit, Wahlkämpfe zu führen. Das muß überwunden werden. Das muß das zentrale Ziel aller Verantwortlichen sein.
Die Grünen liegen in den Umfragen bei fünf bis sechs Prozent. Ihre Akzeptanz ist durch die Kosovo-Auseinandersetzung nicht gestiegen. Sind die Grünen in einer existenziellen Krise?
Wenn wir es nicht schaffen, wieder handlungsfähig zu werden, steht die Existenz der Partei auf dem Spiel. Nicht weil einige in eine Partei übertreten würden, die wahrscheinlich die höchste Offiziersdichte aller Parteien aufweist ...
... Sie reden von der PDS ...
... sondern weil es an der lokalen Basis erodiert, weil die Leute nichts mehr machen.
Es gab bereits vor dem Kosovo-Konflikt heftige Auseinandersetzungen um den Atomausstieg, um die doppelte Staatsbürgerschaft. Hat sich die Regierungsbeteiligung für die Grünen bislang ausgezahlt?
Ich rate dringend dazu, eine solche Frage nach empirisch validen Zeiträumen zu beantworten.
Der erste Stichtag wird die Europawahl im Juni sein.
Deren Ergebnis für die Grünen wird stark davon abhängen, wie der Parteitag in Hagen ausgeht. Wenn der Parteitag zu einem Selbstzerfleischungsprozeß führt, zu Ausgrenzungen, dann wird die Europawahl zu einem Desaster werden. Wir haben es noch in der Hand.
Bereits auf dem letzten Parteitag sprach Joschka Fischer davon, daß der Burgfrieden zwischen Linken und Realos aufgekündigt werden solle. Steht die Partei vor einer Richtungsentscheidung, und wird sie durch die Kosovo-Auseinandersetzung befördert?
Wir stehen bereits am Abgrund. Wer die Kosovo-Entscheidung als Richtungsentscheidung inszeniert, der bringt die Grünen einen Schritt weiter an den Abgrund. Dieser Konflikt ist viel zu ernst, um zu einer machttaktischen Zuspitzung zu taugen.
Sollen sich die Grünen an die gesellschaftliche Mitte orientieren, um neue Wähler zu gewinnen?
Die Grünen werden Wechselwähler nur gewinnen, wenn sie die eigenen Mitglieder mobilisieren. Das hat uns die CDU in Hessen vorgeführt. Deshalb führt es geradewegs in den Abgrund, nur nach den Wechselwählern zu schauen und sich nicht um die eigene Klientel zu scheren.
Was soll die Stammwähler der Grünen aus ihrer Agonie reißen?
Die Ansätze für eine politische Reform müssen in dieser Regierung tatsächlich genutzt werden. Dafür muß man gesellschaftliche Mehrheiten gewinnen. Dafür müssen wir wieder bewegungsfähig werden.
Wollen sich die Grünen wieder stärker in Absetzung zur SPD profilieren?
Wir sind innerhalb der Koalition eine Sechs-Prozent-Partei und durch das Ergebnis der Hessen-Wahl nicht durchsetzungsfähiger geworden. Deshalb sollten wir uns aber nicht schmollend in die Ecke verziehen, sondern für unsere Inhalte streiten.
Sie persönlich wollen Ihre streitbare Rolle in der Regierung beibehalten?
Ich strebe nach einer ebenso streitbaren wie konstruktiven Rolle.
Macht Sie das nicht manchmal amtsmüde?
Wenn ich viel fliegen muß, überfällt mich manchmal Müdigkeit. Aber die ist rein physischer Natur.
Interview: Dieter Rulff
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