piwik no script img

„Hippy“ hilft türkischen Eltern

In einem Projekt der Arbeiterwohlfahrt können türkische Eltern und deren Kinder zu Hause Deutsch lernen. Die „Hausbesucherinnen“ sind selber türkischer Herkunft    ■ Von Julia Naumann

Den größten Triumph hatte Kubilay vor zwei Wochen im Gesundheitsamt. Dort wurde der Vierjährige von einem Amtsarzt routinemäßig untersucht. Neben Nasen- und Ohrencheck mußte er auch verschiedene Farben und Formen von Gegenständen benennen. Als der Arzt ihm ein Quadrat aus Plastik zeigte, riß Kubilay es ihm aus der Hand und sagte begeistert und im klarsten Deutsch: „Das hier ist ein Quadrat.“ Dann lachte er stolz .

Kein Wunder, Kubilay ist im Training. Jeden Tag lernt er mit seiner Mutter: Er übt, wie man Zahnstocher zu Zickzackmustern legt, lernt daß seine Mutter größer wird, wenn sie auf einen Stuhl steigt, und kleiner, wenn sie sich unter den Tisch hockt. Daß auf dem einen Bild erst ein Junge mit einem Buch ist, und auf dem anderen zwei Jungen mit zwei Büchern sind. Daß diese beiden Bilder verschieden sind.

Cühal Kurt und ihr Sohn nehmen seit vier Monaten am sogenannten „Hippy“-Projekt teil, das von der Arbeiterwohlfahrt (AWO) initiiert ist und Eltern türkischer Herkunft und ihren Kindern mehr Sprachfähigkeit, eine bessere Feinmotorik und mehr Selbstbewußtsein vermitteln soll. „Hippy“ ist die englische Abkürzung für „Heim-Unterweisungsprogramm für Vorschulkinder“ und wurde bereits in den 60er Jahren in Israel für Einwandererkinder entwickelt. Die Kinder sind alle um die vier Jahre alt und werden bis zur Schulpflicht trainiert. In Bremen und Nürnberg arbeitet „Hippy“ bereits seit Jahren erfolgreich. In Berlin wurde das ABM-Programm erst bewilligt, als im vergangenen Jahr in der Öffentlichkeit eine hitzige Diskussion über die häufig desolate Sprachfähigkeit von MigrantInnen und ihren Kindern entbrannte, die jedoch mehr ideologisch als fachlich geführt wurde.

Dabei ist das Hippy-Konzept äußerst simpel und leicht zu erlernen: Sogenannte „Hausbesucherinnen“, selbst alle türkischer Herkunft, arbeiten einmal in der Woche rund eine Stunde einen Stapel Lernblätter mit der Mutter durch, zeigen, wie man mit Schere und Kleber Figuren aus Papier bastelt, und lesen gemeinsam eine Geschichte aus dem Hippy-Heft. Die Mutter wiederum trainiert die erlernten Fähigkeiten dann mit ihrem Kind. In kleinen Häppchen, jeden Tag 20 Minuten lang.

Heute geht es bei Famillie Kurt um „hinauf und hinunter“: Im penibel aufgeräumten Wohnzimmer bittet Hausbesucherin Arzu Karakkasli Frau Kurt am Anfang der Stunde, die Hände zu heben. Sie sagt klar und deutlich: „Schau, meine Hände sind oben. Hebe deine Hände hoch.“ Brav befolgt Cühal Kurt die Anweisungen, spricht die Sätze, ohne zu stocken, nach. Während die Hausbesucherin da ist, spielt Kurt das Kind, lernt selbst für sich und gibt das später an den Sohn weiter. Beide, Mutter und Kind, profitieren davon.

„Ich merke, wie mein Deutsch wieder besser wird“, sagt die 29jährige, „ich merke aber auch, wie das Deutsch von Kubilay besser wird.“ Cühal Kurt lebt seit zwanzig Jahren in Berlin. Sie machte den erweiterten Hauptschulabschluß, arbeitete einige Jahre in einer Chemiefabrik. Vor zehn Jahren heiratete sie ihren Mann, den sie aus der Türkei nach Berlin holte. Heute ist Cühal Kurt Mutter der achtjährigen Tochter Esra und des vierjährigen Sohnes Kubilay. Wegen der Kinder schmiß sie den Job. Dadurch verschlechterten sich auch ihre Deutschkenntnisse, erzählt Kurt: „Nicht in der Schule, sondern bei der Arbeit habe ich am besten Deutsch gelernt.“ Sie verwechselt jetzt häufig die Artikel, der richtige Gebrauch von Genitiv und Dativ ist ihr ein Graus.

Mit ihren Kindern würde sie dennoch, „sooft es geht“, Deutsch sprechen. Eine bessere Aussprache und die richtigen grammatikalischen Formulierungen lernt sie erst wieder, seitdem sie am Hippy-Projekt teilnimmt, denn Cühal Kurts Welt ist eine fast ausschließlich türkische: Mit ihrem Mann spricht sie nur türkisch, in ihrem Wohnhaus in Tiergarten leben „nur Türken“, wie sie sagt. Auch in Kubilays Gruppe in der nahe gelegenden Kindertagesstätte seien nur zwei deutsche Kinder. „Das finde ich schade“, sagt Cühal Kurt und zuckt mit den Schultern. Ein wenig Kontakt habe sie zu einer deutschen Mutter, deren Tochter in Esras Klasse geht. „Doch insgesamt ist es sehr schwierig“, sagt Kurt und zupft an ihrem Kopftuch. Auch die Kopfbedeckung sei ein Hinderungsgrund, Deutsche kennenzulernen. „Da sind die wenig offen“, sagt Kurt, die sich als „sehr religös“ bezeichnet. So sind ihre Freundinnen alle Türkinnen.

Die Verständigung müsse von beiden Seiten kommen, findet auch Hausbesucherin Arzu Karakkasli, die von der Ausländerbeauftragten des Senats, Barbara John (CDU), auch schon mal gerne als „Integrationshelferin“ bezeichnet wird. Doch die Anregung zu mehr Kommunikation entstehe nur, wenn diese hierachiefrei vermittelt werde. „Ich habe zwar eine Vorbildfunktion, übe aber keinen Druck aus“, sagt die 32jährige Türkin, die mittlerweile einen deutschen Paß hat. Das Verbindende zwischen Hausbesucherin und den Frauen sei, daß „wir alle Sprachschwierigkeiten hatten oder haben“, sagt sie. Nur so funktioniere das Projekt. Deshalb sei es auch nicht wichtig, daß die Hausbesucherinnen alles Laien sind.

Derzeit beschäftigt die AWO 15 Frauen in rund 120 Familien, will langfristig auf 200 aufstocken. Die Familien wurden durch Mundpropaganda in Kitas, Schulen, auf dem Markt oder im Bezirksamt gesucht. Es seien die unterschiedlichsten Familien dabei. Mütter, die alleinerziehend seien, gut Deutsch sprächen und ihr Kind bei einer türkischen Tagesmutter hätten. „Die wollen ihrem Kind einfach was Gutes tun“, sagt Projektleiterin Christiane Börühan. Aber auch viele Familien, in der ein oder beide Elternteile schlecht Deutsch sprächen.

So wie Familie Kurt. Dort möchte am liebsten die ganze Familie am Hippy-Projekt teilnehmen. Doch dazu, Lehrerin für die ganze Familie zu spielen, konnte sich Cühal Kurt noch nicht durchringen. Ihren Mann hatte sie nach der Heirat immerhin sechs Monate auf eine Sprachschule geschickt. „Aber das hat nicht viel gebracht“, sagt sie und lacht. „Vielleicht sollte ich es doch mal mit den Hippy-Büchern versuchen“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen