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■ Postkarten als Medium zur Verbreitung von Schadenfreude, Spott und Hass

Zum Transport benötigen Briefe und Postkarten eine Briefmarke. Wird diese abgestempelt, so ist sie zugleich entwertet. Entwertet, in ihrer Menschenwürde herabgesetzt, verspottet und diffamiert werden auch die Menschen auf den judenfeindlichen Karten, die von April bis Anfang August auf einer gemeinsamen Ausstellung des Museums für Post und Kommunikation und des Jüdischen Museums in Frankfurt/Main gezeigt wurden. Eine Auswahl der Exponate ist nun auch in Buchform erschienen – wie die gesamte Ausstellung auf Grundlage der fast tausend Postkarten umfassenden Sammlung des Berliners Wolfgang Haney. „Ich sammle nicht für mich alleine“, erklärt der nach 1933 als sogenannter „Mischling 1. Grades“ verfolgte Sammler Haney, „sondern habe meine Sammlung schon verschiedenen Institutionen für Ausstellungen zur Verfügung gestellt, weil ich gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus Stellung nehmen und die Leute aufklären möchte.“

Bildpostkarten, eigentlich eine Erfindung des 19. Jahrhunderts, wurde erst 1885 für den Postverkehr zugelassen. Ihre Blütezeit erfuhren sie im Kaiserreich. Neue Mitteilungsformen und erhöhte Mobilität liessen Produktion und Gebrauch gewaltig ansteigen. Gleichzeitig wurde die Postkarte Sammelobjekt. Bei den Exponaten der Ausstellung handelt es sich vor allem um „Spottkarten“. „Gott, was ne faine Familie!“ (um 1900) etwa zeigt eine jüdische Familie aus dem Bürgertum, dessen Attribute deutlich sichtbar sind: der Sonntagsstaat der Eltern, der Matrosenanzug des Jungen, sein Schmetterlingsnetz. Die judenfeindliche Typisierung spiegelt sich in den akzentuierten „jüdischen“ Physiognomien wider: In wulstigen Lippen und überdimensionierten Hakennasen, die bis zum Haaransatz führen.

Alle präsentierten Karten wollten Schadenfreude, Spott oder Hass erzeugen. Die Andersartigkeit, die angebliche Auffälligkeit von Juden werden durch Übertreibung und/oder Verzerrung herausgestellt. Die antisemitische Karikatur stellt Juden als Fremdkörper dar, als (Art-)Fremde, und bedient sich dabei durchaus abwertender, rassenbiologischer Muster. Die Forderung nach Vertreibung der Juden als Volk und Rasse erscheint so ganz logisch.

Der zur Ausstellung erschienene umfangreiche illustrierte Katalog vereinigt Aufsätze von mehr als 30 Autoren. Ihre Beiträge ordnen sich in vier Kapitel: Antisemitische Postkarten in Deutschland und Österreich vor 1918, danach, und Karten aus Europa und den USA. Neben den Beiträgen renommierter Historiker wie Moshe Zimmermann, Volkhard Knigge und Detlev Claussen sei der systematisierende Beitrag von Iris Hax hervorgehoben, die unter der Überschrift „Gut getroffen, wie der Isaac schmunzelt, nicht wahr?“ die Medien- und Rezeptionsgeschichte antisemitischer Bildpostkarten untersucht. Rainer Erb, Mitarbeiter des Zentrums für Antisemitismusforschung in Berlin, verweist in seinem Beitrag „Weltmacht Zionismus recycled“ auf unsere jüngste Gegenwart: Er untersucht antisemitische Karikaturen in der rechtsextremen Subkultur der Bundesrepublik. Winfried Weinke

Helmut Gold, Georg Heuberger (Hg.), „Abgestempelt. Judenfeindliche Postkarten“. Heidelberg, Umschau Braus 1999, 380 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 68 Mark.

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