: Patina des ausrangierten Sozialamts als kreativer Kick
■ Die Internet-Firma „Farm“ ist in das alte Sozialamt in der Langenstraße gezogen / Die neue Kreativ-Adresse ist nicht für die Ewigkeit gedacht
Rainer Krause zeigt auf zwei dunkle Flecken auf dem klassisch-grauen PVC-Fußboden: „Hier sieht man noch das jahrelange Füßescharren unter den Sozialamts-Schreibtischen. Die Angestellten haben anscheinend viel Energie in die Füße geleitet.“ Im dritten Stock der Langenstraße 35, direkt an der Martinistraße, sieht noch alles aus wie nach dem Auszug des Sozialamtes vor wenigen Monaten.
Doch ein Stockwerk tiefer ist eine neue Zeit angebrochen: Junge Menschen mit Powerbooks und Handys geben leise fluchend Zahlenreihen in ihre Tastaturen ein. Die Wände sind in poppig sanften Tönen von Lachs bis Sand gestrichen, jedes Zimmer hat einen anderen Ton – ein Konzept, das für das ganze Haus umgesetzt werden soll. Im Konferenzraum hängt ein rundes Bild, Putten auf blauem Grund. Die stilvolle „Odenwald-Decke“, quadratische feuerfeste Platten in formvollendetem Alu-Gestell in drei Meter fuffzich Höhe, eignet sich ideal, um provisorisch Kabel durch die Etagen zu verlegen. In diesem neuen Interieur passt sogar die original-ätzende Farbe aus den siebziger Jahren an den Türen wieder ins Konzept.
Raier Krause ist einer von drei Geschäftsführern der Internet-Firma „Farm“. Die Farm hat sich auf die „Konzeption und Gestaltung von websites“ spezialisiert, wird auf der Homepage geworben (www.farm.de). Zu den Kunden gehören Firmen von Gewoba bis Feodora-Chocolade, von Fleurop bis zum Museum Wiesbaden. Es gibt enge Verbindungen zur „Ständigen Vertretung“ in Berlin. Die Farm ist eines jener jungen Unternehmungen mit viel kreativem Elan und bislang wenig finanzieller Schubkraft, die in den Sonntagsreden der Politiker immer wieder vorkommen, die aber ansonsten in Bremen wenig gefördert werden.
Die Farm ist umgezogen. Bis vor wenigen Wochen noch hauste man mit der „Internationalen Stadt“ in einem Großraumbüro in der Faulenstraße. Die Gründerehe der zwei Internetprojekte ging jäh in die Brüche, die Farm suchte sich ein neues Domizil – und fand es in den Räumen des ehemaligen Sozialamtes. 1.200 Quadratmeter hat man nun von der Bremischen angemietet, natürlich viel zu viel für die paar Mitarbeiter. Jetzt will Hauptmieter Farm sich kreative Untermieter mit ins Boot holen und lockt mit Quadratmeterpreisen, die „unter den Marktüblichen zwölf bis 17 Mark liegen“, so Krause. Die Kollegen von tamito.com haben zeitgleich das äußerlich verlotterte Haus bezogen, jetzt wartet man auf die Zusage von einer Designerinnen-Combo für das Erdgeschoss und einem „Programmiererpool“ von vier bis acht Leuten, die gerne einen Trakt im dritten Stock mieten würden. Damit wäre das Haus zur Hälfte voll. Und der Grundstock für eine neue hochkarätige Kreativschmiede-Adresse in Bremen gelegt.
Im Hauptflurdes Erdgeschosses brennt noch das alte unbarmherzige Neonlicht. Hinter einer dicken Stahltür verbirgt sich das neue Herz des Hauses. Hier laufen die leistungsstarken zwei MegaBite-Telefonleitungen zusammen. Der videorecordergroße Rooter, ein 10.000 Mark teures Gerät für Internet-Weiterleitung steht provisorisch auf einem Schemel. Daneben ein Server, die Pforte zur weiten Internet-Welt. Der Großrechner wurde an einem anderen, kühleren Ort abgestellt. „Mit dem High-Tech-Zeug kann man wirklich leicht umziehen“, sagt Krause.
Das ist sein Glück. Denn für die Ewigkeit ist die Lösung in der Langenstraße 35 nicht gedacht. Darf nicht. Will auch niemand, derzeit. Der Mietvertrag mit der Bremischen, die das Haus für die Stadt verwaltet, gilt nur für ein Jahr. Solche kurzen und billigen Verträge kommen den kleinen Firmen entgegen – Internet-Firmen expandieren entweder in rasenden Geschwindigkeiten oder gehen mit wehenden Fahnen unter.
Vermietet wurde eigentlich nur, damit das Haus in einer Übergangszeit nicht leersteht. Eine Verlängerung des Mietvertrags ist möglich – aber eher unwahrscheinlich. Denn die Stadt will das Grundstück an Peek & Cloppenburg verkaufen, auf das das Bekleidungsgeschäft einen großangelegten Neubau pflanzen kann. Deswegen musste auch das Sozialamt ausziehen. Die ganzen Problemfälle treffen seitdem im Volkshaus zusammen, eine unheilvolle und undurchdachte Planung (die taz berichtete).
Noch für dieses Jahr hofft man in den Bremischen Behörden auf eine Entscheidung des Modekonzerns. Doch Peek & Cloppenburg gibt sich verschlossen. In blumigen Worten wird mitgeteilt, dass nichts mitgeteilt werden könne.
Jetzt hofft die Farm vor allem, dass die Heizung im Winter nicht schlapp macht, damit keine neuen Kosten entstehen. Zwei Techniker waren unabhängig voneinander ganz optimistisch, sagt Krause. Auch für das Dach, unter dem derzeit eine schicke Hausmeister-Wohnung leersteht, muss der Mieter verantwortlich zeichnen. Und ob der zusammengebrochene Fahrstuhl wirklich nötig ist, wird sich auch noch herausstellen. Derweil rüsten Techniker das Haus provisorisch auf Hochtechnologie um.
Bis zum nächsten Jahr will man es sich hier dennoch gemütlich machen und das triste Ambiente stört die Internet-Designer nicht. „Die Patina des Sozialamts scheint unsere kreativen Geister zu beflügeln“, sagt Rainer Krause, „dieser veraltete Charme ist hochwillkommen.“ Im zweiten Stock soll ein Raucherzimmer eingerichtet werden, voll im Stil der siebziger Jahre. Um den Charme der vergangenen Zeiten wiederzubeleben wird man gerade ein paar ausrangierte Möbel brauchen. Krause träumt von hochkurbelbaren Tischen und Synthetik-Lampen. „Das passt“, meint er.
Christoph Dowe
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