: Kebabträume im wilden Osten
Izzet Aydogdu, türkischer Sozialarbeiter aus Kreuzberg, und Ursula Bielack aus Hoyerswerda sind ein ungewöhnliches Paar. Gemeinsam haben sie in den Jahren nach dem Mauerfall versucht, den neuen Osten Deutschlands für türkisches Fast food zu erschließen. Zuerst in Berlin-Mitte, später in Sachsens Hoyerswerda. Daraus wurde ein Leben als Achterbahnfahrt gegen Vorurteile und geschäftliche Widerstände. Eine Langzeitreportage von Eberhard Seidel
Ich kann mir nicht vorstellen, für immer in Izmir zu leben. Da gibt es keine Leberwurst.“ In Ursulas Stimme liegt Trotz. „Aber Ursula ...“ Sie fällt ihrem Lebensgefährten ins Wort: „Izzet, dreh mal lauter.“ – „Heute vor acht Jahren haben hunderte von Skinheads und Neonazis unter dem Beifall der Anwohner Asyl- und Ausländerwohnheime mit Steinen, Flaschen und Molotowcocktails angegriffen.“
17. September 1999. Sonne und Himmel spielen Hochsommer. Wir sind unterwegs auf der Landstraße von Hoyerswerda nach Senftenberg. „Auch damals schien die Sonne“, erinnert sich Ursula Bielack. Für einen Augenblick vergisst sie, dass wir unterwegs sind zum Schauplatz ihrer größten Niederlage. Der Radiosprecher beendet seinen Rückblick: „Es sind noch 105 Tage bis zum Ende des Millenniums.“
August 1991. „Das hier ist der erste Döner Kebab in Hoyerswerda. Nun ist auch hier eine neue Zeit angebrochen.“ Wortreich präsentiert Izzet Aydogdu an einem frühen Sonntagmorgen auf dem nahezu menschenleeren Lipetzkerplatz mitten im Wohnkomplex 8 einen ramponierten, olivgrünen Imbisswagen. Von wegen neue Zeit. Ringsum Plattenbauten, aufgelassene Geschäfte. Der ausufernde Platz hat den Charme eines architektonisch verunglückten Industriegeländes.
Izzet Aydogdu zeigt sich unbeeindruckt und breitet hochtrabende Pläne aus: Er will die Oberlausitz erobern. Mit Dönersandwiches und Hilfe der einstigen Herrscherin des Lipetzkerplatzes – Ursula Bielack. Die steht mit sauertöpfischer Miene neben ihrem Geschäftspartner und der „Frittenbude“. So nennt sie den Dönerimbiss verächtlich. Wären da nicht ihre beiden Kinder Frank und Karina, die schlicht einen Arbeitsplatz brauchen, sie hätte sich nie auf das „Mit oder ohne Sauce?“-Geschäft eingelassen.
Fünfzehn Jahre hat Ursula Bielack in unmittelbarer Nachbarschaft zum Imbisswagen die „Wohngebietsgaststätte“ im Wohnkomplex 8 geleitet, über siebzig Angestellte und fünfzig Lehrlinge im „Treff 8“ dirigiert. Den gibt es nicht mehr. Aber der alte Status klingt nach. Vier Monate nach Eröffnung der Dönerbude verunsichert Bielack das Gefühl: „Ich weiß nicht, was die Leute, die mich von früher kennen, denken, ob sie hämisch auf mich herunterschauen, wenn die alte Chefin nun in einer Frittenbude steht.“
Zu eng und zu piefig war Ursula Bielack ihre Welt eigentlich schon immer. 1987 flieht die damals 46-jährige allein stehende Mutter von zwei erwachsenen Kindern vor den ewigen Protokoll- und FDJ-Veranstaltungen von Hoyerswerda nach Ostberlin. Hier, in der pulsierenden Metropole der DDR, erhofft sie sich einen neuen Kick. In der Friedrichstraße 114a, wo sie das Café „Oranienburger Tor“ übernimmt.
Im September 1990 drängt sich Izzet Aydogdu mit Bratenduft in Ursulas Leben. Auch er sucht nach neuen Herausforderungen. Fünfzehn Jahre lange hat er sich als Sozialarbeiter in Kreuzberg mit renitenten türkischen Jugendlichen herumgeschlagen. Nach der Währungsunion weiß der damals 49-jährige: Jetzt oder nie. Kurzentschlossen baut er einen Imbisswagen vor dem „Oranienburger Tor“ auf. Und macht Geld. Viel Geld. „Die Leute rissen mir den Döner förmlich aus der Hand“, erinnert er sich.
Das beeindruckt Ursula Bielack, deren Stern im Sinken begriffen war. Niemand stand mehr auf den DDR-Chic des „Oranienburger Tors“. Izzet brauchte Ursula. Zunächst ihre Lagerräume im Café und frisches Wasser. Und Ursula brauchte Izzet. Zunächst als Orientierung in einer neuen, irritierenden Zeit. Später kamen gemeinsame Geschäfte, dann die Liebe.
Die Verbreitung von Döner Kebab im Osten ist das letzte große Abenteuer bei der Zivilisierung unseres Landes. Bereits zwei Tage nach Eröffnung wird der Imbisswagen in der Friedrichstrasse von Neonazis abgefackelt. Von nun an begleiten Glatzen Izzets und Ursulas weiteren Weg nach Hoyerswerda. Eine Herausforderung, die der ehemalige Jagdflieger der türkischen Armee mit der Gründung der Dönerix-Imbisskette kontert. Obelix, der anstelle eines Hinkelsteins einen gewaltigen Dönerspieß trägt, dieses Firmensignet erobert den Osten – zumindest die Oberlausitz.
Oktober 1995. Alles wird gut. Aus dem Geschäftspaar ist ein Liebespaar geworden. In allen Dingen erfolgreich. Alles im Griff. Nach vier harten Jahren in der ungeliebten Dönerbranche hat Ursula Bielack den ersehnten sozialen Aufstieg geschafft. „Mit dem City Pub habe ich mir einen alten Traum verwirklicht.“ Müde, aber zufrieden sitzt die Pächterin der Restauration des neuerffneten Congress-Hotels in Hoyerswerda auf dem Barhocker. Kein Zweifel: Hier hat eine Frau ihre Würde zurückgewonnen. Endlich nimmt sie den Platz ein, der ihr gebührt. Noch durchdringt der Geruch von frisch verleimtem Holz und Farbe die Luft des Gastraums, schon schwärmt sie von der Qualität und Vielfalt der deutschen und französischen Küche, die in Zukunft die Gäste locken soll.
„Als kleine Kebabverkäuferin kam sie vor vier Jahren verunsichert in ihre Heimatstadt zurück. Heute führt sie eines der ersten Häuser am Platz“, unterbricht ihr Lebensgefährte übermütig und legt seinen Arm liebevoll um ihre Schulter. Ganz so, als wollte er zu verstehen geben, wie gut es tut, neben einer Frau zu leben, die mit sich im Reinen ist. Er ist aufgeräumt an diesem sonnigen Herbsttag. „Der Döner hat uns die Türen geöffnet, um in der Stadt sesshaft zu werden. Hoyerswerda hat ein schlechtes Image, aber die Stadt hat sich geändert.“ Aydogdu lebt gern in der Stadt, die man inzwischen auch in New York kennt.
Vergessen scheinen die vielen Übergriffe auf Betriebe des Döneriximperiums. Nur noch unliebsame Erinnerung ist der Tag, als der Sohn von Ursula Bielack von Neonazis ins Koma geprügelt wurde. Erinnerung auch der August 1991, als Mitarbeiterinnen des Terassencafés „Dönerix“ am Knappensee unweit von Hoyerswerda als Türkennutten beschimpft und bedroht wurden. So lange, bis sie ihre Stelle eingeschüchtert kündigten. Es war der organisierte Terror von Mitgliedern der „Neuen Deutschen Ordnung“. Im Auftrag eines Berliner Unternehmensberaters und mit Billigung des damaligen Bürgermeisters von Groß-Särchen. Beide betrieben ihre einträglichen Geschäfte am See und wollten die ungeliebte Konkurrenz vertreiben.
Auch der Tag des ersten Nachkriegspogroms, der 17. September 1991, ist bereits Anekdote, als die „Neue Deutsche Ordnung“ mit anderen Neonazigruppen und Bürgern der Stadt die Wohnheime bestürmte. Bielack: „Es war verrückt. Die Neonazis kamen zu uns an den Imbiss. In der einen Hand den Döner, die andere Hand zum deutschen Gruss erhoben, rannten sie zurück zum Wohnheim, um weiter zu randalieren.“ Vergilbt sind die Drohbriefe aus der rechten Szene, in denen das Geschäftspaar aufgefordert wird, monatlich tausend Mark Schutzgeld für einen Imbisswagen zu bezahlen. Verdrängt weitere Brandanschläge und Boykottaktionen von Glatzen.
Im Oktober 1995 ist das alles Geschichte. Auch die Trennung Izzets von seiner Frau, das Zerwürfnis mit seiner Tochter, weil die sich nicht mit der neuen Lebensgefährtin ihres Vaters abfinden mag. Das Döneriximperium ist auf dem Gipfel seiner Macht. Der Schritt ins bürgerliche Leben mit dem Restaurant im Congress-Hotel geschafft.
Die Visionen Aydogdus haben sich erfüllt. Aus dem Imbisswagen am Lipetzkerplatz wurde ein Restaurant – die „Grill Oase“. Daneben betreibt Aydogdu mit dem Sohn und der Tochter von Ursula Bielack weitere Grillrestaurants in Rothenburg und Görlitz nahe der polnischen Grenze sowie zwei Imbisswagen in Bernsdorf nahe Senftenberg. Deutsche wie vietnamesische Kunden in Dresden, Cottbus, Bautzen und Zittau werden von der Dönerix GmbH mit Produkten der Berliner Dönerindustrie beliefert – Dönerspieße, Saucen und Fladenbrote.
Locker macht der Erfolg, er beflügelt die Gedanken. Aydogdu philosophiert: „Der Döner ist mehr als ein billiges Essen. Die Türken wollen sich mit dem Döner beweisen, wie man etwas Gutes billig verkaufen kann, den Deutschen etwas geben kann.“ Das Konzept geht auf. Draußen steht die Kundschaft Schlange. Und ganz Ostdeutschland ist inzwischen mit einem dichten Netz an Dönerbuden überzogen. Es gibt inzwischen viele Izzets und Ursulas. Ostdeutsche und Türken kommen sich näher – geschäftlich und privat. Erfolg macht beliebt. Aydogdu ist 1995 ein angesehener Bürger in Hoyerswerda, nicht mehr nur „der Türke“. In seinem Firmennetz arbeiten dreißig Personen. Fast alle stammen aus der Region.
Nicht nur der Militärstratege, auch der Sozialarbeiter Aydogdu hat ganze Arbeit geleistet: „ ,Ihr habt uns die Arbeitsplätze weggenommen!‘ – ,Was hast du gelernt?‘ – ,Kuhmelker!‘ – ,Ich habe studiert und habe deinen Arbeitsplatz nicht weggenommen.‘ “ Nach endlosen Diskussionen kamen schließlich auch die Glatzen in die „Grill Oase“ und haben sich bei Izzet Aydogdu für die Übergriffe und die Beleidigungen der Vergangenheit entschuldigt.
Am Dönerspieß in der „Grill Oase“ steht nun einer der ehemals Rechten. Izzet, der Fuchs, weiß, was er Hoyerswerda schuldig ist: Symbole. Ein etwas aus der Form geratener Hüne schwingt in der Gluthitze des Grills das Dönermesser und verdient sich seinen Lebensunterhalt im Schweiße seines Angesichts.
Ortsbesichtigung, September 1999. Nichts wird gut. „Dönerix“ ist tot. Draußen am Rande der Stadt, wo der Reisende dem Zug entsteigt, zeigt sich Hoyerswerda ungeschminkt. Aufgelassene Geschäfte, verlassene Wohnungen, abgestürzte Alkoholiker. Eine Stadt im Niedergang. Wer kann, der entflieht der Depression. In den letzten zehn Jahren sank die Zahl der Einwohner von achtzig- auf unter fünfzigtausend. Drinnen im Zentrum spielt man Aufschwung Ost. Im überdimensionierten Lausitz-Center werben Karstadt, C & A, NanuNana, Drospa, Orsay und Dutzende anderer Handelsketten um die zahlungsschwache Kundschaft.
Auch ein paar hundert Meter weiter, am Lipetzkerplatz, schöne neue Welt. Die „Grill Oase“ gibt es nicht mehr. Dafür an gleicher Stelle seit Weihnachten 1998 eine viel zu große, viel zu teure Shopping Mall für Sozialhilfeempfänger und Arbeitslose – „Conny's Container“, „Netto-Marken-Discount“.
An der Bautzener Allee liegt das „HoyWoy“. Ursulas Tochter Karina hat den Laden, einen vergammelten Pavillon, vor ein paar Tagen eröffnet. Die Gäste gehören nicht zur Elite Hoyersweda, dafür fließt reichlich Bier und Korn. Ein kleiner, erbärmlicher Spieß dreht sich im Hintergrund. Traurige Rest des Döneriximperiums. Nicht mehr als eine Remineszenz an bessere Tage. Tradition verpflichtet in der Familie Bielack.
Aus dem Optimisten Izzet ist ein 58-jähriger Skeptiker geworden: „Ich habe mich verschätzt. Der Osten hat keine ökonomische Zukunft.“ Aus der aufstiegsorientierten Ursula Bielack ist eine 58jährige geworden, die mit Krankheiten kämpft und mit der bitteren Erkenntnis: „Wären wir in der Dönerbranche geblieben, hätten wir jetzt unser eigenes Haus und säßen nicht in dieser Zweiraumwohnung.“ Von der Küche im fünften Stock hat man einen weiten Blick in das Karree der renovierten Plattenbauten.
Das Döneriximperium ist zerrieben zwischen Ambitionen, verwildertem Geschäftsgebaren und kriminellen Machenschaften. Erst stürzte der Dönerkonsum ins Bodenlose. „Um mehr als fünfzig Prozent“, so Aydogdu.
Warum? „Es sind zu viele Asylanten, Rumänen und Vietnamesen in die Branche gedrängt, mit schlechten Sprachkenntnissen und schlechtem Service“, meint Ursula Bielack. „Das Image des Döners ist durch Rinderwahnsinn und Negativberichte, von denen leider siebzig Prozent der Wahrheit entsprechen, schwer angeschlagen“, meint dagegen Aydogdu.
Auch das „City Pub“ im Congress-Hotel gibt es nicht mehr. Bielack musste es 1997 wegen drohender Pleite aufgegeben. Es gibt in Hoyerswerda keinen Bedarf an gehobener französischer Küche – Verlust rund zweihunderttausend Mark. Die „Grill Oase“ am Lipetzker Platz fiel dem Einkaufszentrum und überhöhten Mietforderungen zum Opfer. „Rund vierzig Mark für den Quadratmeter, das ist indiskutabel“, klagt Aydogdu.
Das Geschäftsduo wollte es 1997 ein letztes Mal wissen. Tatsächlich manövrierte es sich ins geschäftliche Aus. „Das Angebot war zu gut, um es ausschlagen zu können“, sagt Ursula. Dreihunderttausend Mark investierte sie mit Izzet in das am Senftenberger See gelegene Traditionsrestaurant „Seeblick“. Es ist Teil der Seniorenresidenz Senftenberg und schien eine sichere Bank zu sein. Mit dem Vermieter wurde vereinbart, dass das Restaurant die Alten bekocht.
Es kam anders. Kaum hatten die beiden den Betrieb eröffnet, richteten die Betreiber der Seniorenresidenz über dem Restaurant eine Pflegestation ein. Die versprach üppige Tagessätze. Von nun an war Musik verboten und an Feiern nicht mehr zu denken. Die Alten wurden von einer Großküche bekocht. Stück für Stück wurde dem „Seeblick“ die wirtschaftliche Grundlage entzogen. Ein abgekartetes Spiel.
Inzwischen haben Aydogdu und Bielack erfahren, dass sie nur ein Bauernopfer im miesen Spiel um das große Geld waren. Die Betreiber der schicken und teuren Seniorenresidenz hatten von den Behörden die Baugenehmigung nur unter der Auflage erhalten, wenn sie den Erhalt des „Seeblicks“ garantierten. Das taten sie auch – zum Schein und mit dem Geld Ursulas und Izzets. Der Vermieter des „Seeblicks“ ist der Berliner Baulöwe Jürgen Hanne, Betreiber von siebzehn Seniorenresidenzen im Osten. Gegen ihn ermittelt im Augenblick die Berliner Staatsanwaltschaft wegen Betrugs und Urkundenfälschung. Ein Millionenskandal zeichnet sich ab, berichtet die Bild am Sonntag am 12. September. Aber die Aufklärung kann dauern. Eine Gewissheit bleibt für Ursula – ihre dreihunderttausend Mark am Seeufer sind in den Sand gesetzt.
Der wilde Osten war stärker als Izzets Visionen. Für einen weiteren Anlauf reicht die Kraft nicht mehr. Izzet will nach Izmir. Dort hat er wenigstens Sonne, Meer und eine Wohnung. Und einflußreiche Jugendfreunde aus seiner Armeezeit. „Vielleicht“, sagt Izzet, „läßt sich mit deren Hilfe etwas in der Tourismusbranche drehen.“ Ursula zögert – wegen der fehlenden Leberwurst in der Türkei. Doch dann besinnt sie sich: „Zu DDR-Zeiten habe ich die auch selbst gemacht.“
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